# taz.de -- Gedenken an Genozid in Srebrenica: Noch immer tiefe Wunden | |
> 20 Jahre nach dem Massaker an 8.000 Muslimen in Srebrenica ist Versöhnung | |
> weit entfernt. Manche Orte verweigern das Gedenken. | |
Bild: Es gibt immer noch Trauer: Frauen an einem LKW mit Leichen, die erst kür… | |
SARAJEVO taz | Die Moschee am Hauptplatz von Srebrenica ist wieder | |
aufgebaut, sie liegt nur 100 Meter von der orthodoxen Kirche entfernt. | |
Dazwischen gibt es einen kleinen Park, im Schatten eines hohen Baumes | |
sitzen zwei ältere Männer. Sie heißen Darko und Mujo. | |
„Ich bin orthodox, der Herr hier neben mir ist muslimisch“, sagt der eine. | |
Die Sprachregelung lässt aufhorchen. Der ehemalige Busfahrer sagt über sich | |
nicht, er sei Serbe, sondern Orthodoxer, sagt nicht Bosniake, sondern | |
Muslim. Wie in Zeiten vor dem Krieg. „Die Nationalisten haben Jugoslawien | |
zerstört“, sagen beide. Sie outen sich als Anhänger des alten Regimes. Im | |
sozialistischen Jugoslawien des Jozip Broz, genannt Tito, habe es diesen | |
Hass nicht gegeben. „Uns war es egal, wer was war. Wir lebten „bratsvo“ u… | |
„jedinstvo“, Brüderlichkeit und Einheit.“ | |
Mehr wollen sie nicht sagen. Es fällt ihnen schwer. Der Blick schweift über | |
die leeren Straßen an diesem heißen Nachmittag. Die in „Silberstadt“ noch | |
lebenden Menschen haben sich in ihre Wohnungen zurückgezogen. Ein paar | |
hundert Meter weiter befindet sich der Platz, auf dem Ratko Mladic am Abend | |
des 11. Juli 1995 erklärte, er übergebe das „ befreite Srebrenica“ dem | |
serbischen Volk. Und er forderte von hier aus seine Truppen auf, „Rache an | |
den Türken zu nehmen“, die 1389 in Kosovo Polje die serbische Armee | |
geschlagen haben sollen. | |
Vorbei an dem Gräberfeld von Potocari, wo über 6.000 ermordete Bosniaken | |
begraben sind, und am nächsten Samstag 136 weitere begraben werden sollen, | |
führt die Straße nach Bratunac. Hier treiben sich nur einige Alkoholiker in | |
den Bars herum. Die serbischen Nationalisten, die kurz vorher bei einem | |
Denkmal für serbische Gefallene in dem Dorf Kravica behauptet hatten, die | |
bosnischen Truppen in Srebrenica hätten 3.500 Serben ermordet, sind | |
verschwunden. Geblieben ist das Denkmal mit kriegerischen Figuren. Für die | |
in Kravica rund 1.000 erschossenen Männer aus Srebrenica gibt es nicht mal | |
eine Erinnerungstafel. | |
## Keine Forschung | |
In Banja Luka, der Hauptstadt der Republika Srpska, ist mehr Leben auf der | |
Straße. Man flaniert, trifft Bekannte, schwatzt bei einem Getränk. Der | |
22-jährige Philosophie-Student Darko und seine Freunde gehören zum Kreis | |
der Menschenrechtsaktivisten um die Internetzeitung Buka. Sie haben gerade | |
ein Statement von Mladen Mirosavljevic, einem kritischen serbischen | |
Kommunikationswissenschaftler, gelesen. | |
Die Behauptung der Nationalisten in Kravica sei aus der Luft gegriffen, es | |
gebe darüber von serbischer Seite keine Forschung und Beweise, schreibt er. | |
„Wenn man Behauptungen aufstellt“, so Miroslavjevic, „stellt sich die | |
Frage, warum man nicht wirklich geforscht hat. Warum hat man nicht | |
versucht, die Beweisführung des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag mit | |
eigenen Forschungen zu konterkarieren?“ | |
Darko und seine Freunde verfolgen die Diskussionen im Internet. „Guck mal | |
hier“, sagt Mladen aus Prijedor. Da meint einer: Nicht Bosniaken, die | |
Serben wurden im letzten Krieg getötet, Den Haag ist eine große Lüge, alles | |
wird vom Ausland geleitet, um uns Serben klein zu halten. Der Krieg fand | |
statt, um uns Serben zu vernichten, in Srebrenica wurden Tausende serbische | |
Frauen und Kinder umgebracht.“ Wenn Bosniaken und Serben auf Facebook | |
diskutierten, ende das meist mit Flüchen. | |
## Funktionalisierte Geschichte | |
In der Nachbarstadt Prijedor steht vor dem Rathaus das Denkmal des | |
Partisanengenerals Mladen Stojanovic. Er war in Jugoslawien ein Kriegsheld. | |
Als deutsche Truppen mit ihren kroatischen Ustascha-Verbündeten und einigen | |
serbischen Tschetnik-Einheiten im Frühjahr 1942 die Erzbergwerke der Region | |
unter ihre Kontrolle bringen wollten, kam es zu Kämpfen mit den | |
multinationalen Partisaneneinheiten. Zehntausende Menschen, vor allem | |
Serben, flohen in die Wälder rund um den Berg Kozara. Sie wurden von den | |
deutschen und den Ustascha-Truppen eingeschlossen. | |
Einige tausend Partisanen versuchten die Menschen dort zu verteidigen. | |
2.000 von ihnen gelang es, einen Ausbruch zu erzwingen. Die eingeschlossen | |
Zivilisten kamen in die Ustascha-Konzentrationslager. Zehntausende verloren | |
ihr Leben – ein Verbrechen, das tiefe Spuren im Bewusstsein der Serben der | |
Region hinterlassen hat. Der Partisanengeneral Stojanovic wurde vier Wochen | |
später von serbischen Tschetniks ermordet. | |
„Die Geschichte wird für den heutigen serbischen Nationalismus | |
funktionalisiert“, sagt der Pädagoge Srdjan Puhalo. Nach einer neuen | |
Version soll Stojanovic von Partisanen in Tschetnik-Uniform ermordet worden | |
sein. Die serbischen Nationalisten wollten alle Spuren verwischen, die sie | |
als Kollaborateure der Nazis bloßstellen könnten. | |
Der 1946 als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte Tschetnik-Führer Drazen | |
Mihailovic wurde in Serbien und der serbischen Teilrepublik rehabilitiert. | |
Nicht mehr die Partisanen, sondern die nationalistischen Tschetniks sollen | |
Vorbilder für Serbiens Jugend sein. Alles, was an „Brüderlichkeit und | |
Einheit“ erinnert, soll ausgelöscht werden. Die beiden alten Genossen in | |
Srebrenica haben allen Grund, weiter traurig zu sein. | |
10 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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