# taz.de -- Wolfgang Hammer über Kinderschutz: „Kinder sind wichtiger als Ge… | |
> Wolfgang Hammer, Ex-Abteilungsleiter für Jugendhilfe der Hamburger | |
> Sozialbehörde, fordert Gesetzesänderungen, um Kinder besser zu schützen. | |
Bild: Wolfgang Hammer kritisiert Einrichtungen, die Kinder nach Außen abschirm… | |
taz: Herr Hammer, seit der Schließung des ‚Friesenhofs‘ diskutiert | |
Schleswig-Holstein über die Arbeit der Heimaufsicht. Ein Rechtsgutachten | |
der Heimbetreiber besagt, dass Heimaufsicht das Kindeswohl nur „gerade so | |
eben“ sichern soll. Stimmt das? | |
Wolfgang Hammer: Wenn man das alte Kinder- und Jugendhilfegesetz | |
betrachtet, ja. Seit Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes 2012 ist | |
das differenzierter. | |
Merkwürdig. Was ist das für ein Jugendhilfegesetz? | |
Das ganze Gesetz ist sehr trägerfreundlich. Mitte der 90er haben die | |
Kommunen und Verbände durchgesetzt, dass die Betreiber von Heimen einen | |
Gewerbeschutz erhielten, der fachlichen Vorgaben und der Heimaufsicht enge | |
Grenzen setzte. Man wollte damit Kosten sparen. Das im Grundgesetz | |
verankerte Recht auf freie Berufsausübung hat somit Wirkung auf die Art der | |
Heimaufsicht. Ein Land kann nicht vorschreiben, wie groß die Zimmer der | |
Kinder sein müssen. Und eine Betriebserlaubnis muss bereits erteilt werden, | |
sobald ein Träger ein Konzept vorlegt, das keine Kindeswohlgefährdung | |
beinhaltet. So doof ist kein Träger, dass er so etwas nicht hinkriegt. | |
Kann man den Gewerbeschutz zurücknehmen? | |
Ja, sollte man. Weil Rechte von Kindern einen höheren Wert haben als der | |
Schutz von Gewerbe. Zur Zeit ist es umgekehrt. | |
Was änderte denn das Bundeskinderschutzgesetz? | |
Dort ist verbindlich festgeschrieben, dass Kinder ihrem Alter angemessen an | |
Entscheidungen beteiligt werden müssen. Und dass die Rechte der Kinder und | |
Jugendlichen in Einrichtungen und ihr Schutz vor Gewalt gesichert werden | |
müssen. | |
In Schleswig-Holstein führte dies dazu, dass sich Heimkinder mit | |
Beschwerden direkt ans Landesjugendamt wenden können. | |
Ja. Das ist eine Konsequenz. | |
Die Friesenhof-Betreiberin beklagte sich vorigen August darüber in der | |
Lokalpresse. Das neue Gesetz untergrabe die Autorität der Erzieher. | |
Beschweren gehörten bei den Mädchen zum Programm, schrieb die Zeitung. | |
Man muss Beschwerden von Heimkindern immer ernst nehmen. Es gibt keinen | |
Grund, ihnen nicht zu glauben. Das ist die Lehre aus der Aufarbeitung der | |
deutschen Heimgeschichte und auch des Runden Tisches zum sexuellen | |
Missbrauch. Das ist fachlicher Konsens. Manche Betreiber hatten wohl Angst, | |
ihre uneingeschränkte Macht wird untergraben. Ich sage: Das ist höchste | |
Zeit. | |
Trotz Bundesgesetz erreichte die Betreiberin eine „Vereinbarung“ mit der | |
Heimaufsicht, die achtwöchige Kontaktsperren weiter erlaubte. | |
Generelle Kontaktsperren sind fachlich und rechtlich nicht zulässig. | |
Aber legal, wenn die Sorgeberechtigten zustimmen? | |
Dazu gibt es unterschiedliche juristische Auffassungen. Es stimmt, dass | |
Eltern ihr Erziehungsrecht an Dritte übertragen können. Andererseits dürfen | |
Eltern auch nicht die Grundrechte ihrer Kinder beschneiden. Sie dürften | |
nicht ihr 15-jähriges Kind einfach von einem Hauslehrer unterrichten lassen | |
und sagen, du gehst nicht zur Schule und hast keinen Kontakt zu Freunden, | |
darfst das Gelände nicht verlassen. Das wäre eine Kindeswohlgefährdung. | |
Sie waren bis 2013 Ländersprecher für Kinderschutz. Haben Sie noch Ihr Ohr | |
an der bundesweiten Debatte? | |
Aber sicher. | |
Es gibt nun neu eine Bund-Länder-AG zur Verbesserung des Schutzes von | |
Kindern in Einrichtungen. Die soll prüfen, ob wir im Gesetz eine eigene | |
Definition für Kindeswohlgefährdung in Einrichtungen brauchen. | |
Das ist sehr sinnvoll. Dann wären viele Dinge nicht mehr möglich. Es gibt | |
in Einrichtungen per se eine größere Kindeswohlgefährdung, als wenn ein | |
Kind mit einer offenen Hilfe in der Familie bleibt. | |
Woran macht sich die Gefährdung fest? | |
Einmal ist die Macht, die ein Pädagoge über einen Jugendlichen dort hat, | |
allumfassend. Wenn ein Kind dann auch noch keinen Kontakt außerhalb der | |
Einrichtung hat, ist das per se eine Kindeswohlgefährdung. Das ist zum | |
Beispiel bei einer abgelegenen Einrichtung mit interner Heimschule der | |
Fall. Geht ein Kind noch außerhalb zur Schule, hat es alternative Kontakte. | |
Und wenn Jugendliche um 5.45 Uhr früh aufstehen und erst mal eine Stunde | |
Dienste machen müssen, bevor es Frühstück gibt? | |
Reine Schikane. Das Landesjugendamt sollte auch keine Konzepte genehmigen, | |
die behaupten, für eine bestimmte Zielgruppe zu sein, der man mit | |
Freiheitseinschränkungen und Schikanen Halt und Regeln vermitteln muss. | |
Dort erhalten junge Menschen nicht die nötige Förderung, um in Freiheit zu | |
leben. | |
12 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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