# taz.de -- Deutscher Kolonialismus in Namibia: Das Ende der Geduld | |
> „Wir sind nicht bereit, nochmal 100 Jahre zu warten“, sagen die | |
> Nachkommen der Opfer des Völkermords an Namibias Herero und Nama. | |
Bild: Namibische Frauen mussten Schädel ihrer von Deutschen ermordeten Männer… | |
Das einzige Berliner Mahnmal zur Erinnerung an den deutschen Völkermord an | |
den Herero und Nama befindet sich in einer entlegenen Ecke des | |
Garnisonsfriedhofs, nicht weit von einem Freibad. Eine kleine schwarze | |
Steinplatte in der Form Namibias, gestiftet von der Bezirksverwaltung | |
Berlin-Neukölln, trägt die Aufschrift „Zum Gedenken an die Opfer der | |
deutschen Kolonialherrschaft in Namibia 1884–1915, insbesondere des | |
Kolonialkrieges von 1904–07.“ | |
Die Platte liegt vor einem Denkmal für deutsche Soldaten, die 1904–07 „am | |
Feldzug in Südwestafrika freiwillig teilnahmen“ und den „Heldentod“ | |
starben. 100.000 Opfer liegen sieben Tätern buchstäblich zu Füßen. Das Wort | |
„Völkermord“ kommt nicht vor. Man stelle sich vor, Deutschland erinnere an | |
den Holocaust mit einer Grabplatte vor einem SS-Kriegerdenkmal. Dann | |
versteht man vielleicht, was in den Köpfen der Herero und Nama vorgeht, die | |
an diesem Dienstagnachmittag auf der schwarzen Platte rote und weiße Rosen | |
ablegen und sich verneigen. Mit versteinerten Mienen lauschen sie der | |
Gedenkrede des Herero-Chiefs Vekuli Rukoro zum 100. Jahrestag des Endes der | |
deutschen Herrschaft in „Südwest“. | |
Der traditionelle Führer der Herero-Volksgruppe in Namibia spricht frei und | |
bedächtig, er strahlt natürliche Autorität aus, aber seine | |
Selbstbeherrschung verbirgt nicht vollständig seine Empörung. „Sind wir | |
keine Menschen?“ fragt er. „100.000 starben wie die Fliegen. Wir haben eine | |
Entschuldigung verdient.“ | |
„Wir wollen, dass Deutschland kategorisch erklärt: Was uns angetan wurde, | |
war Völkermord“, sagt er. Und: „Wir wollen, dass das höchste Amt im Land | |
sich entschuldigt.“ Die dritte Forderung: ein Runder Tisch mit den Opfern, | |
also den Überlebenden jener Volksgruppen, die 1904–07 größtenteils | |
ausgelöscht wurden. | |
Der „Vernichtungsbefehl“ des deutschen Generals Lothar von Trotha gegen die | |
Herero, der Befehl zum Völkermord, datiert vom 2. Oktober 1904. In diesem | |
Jahr wird er 111 Jahre alt. Sollte die Bundesregierung den | |
Herero-Forderungen bis zum 2. Oktober nicht Folge leisten, werde man | |
„andere Maßnahmen ergreifen“, kündigt Rukoro an: „Deutschland muss da | |
hingebracht werden, wo sich Apartheid-Südafrika einst befand: ein | |
Pariah-Staat.“ | |
## Als Hilfskraft abgespeist | |
Er selbst reist am Donnerstag nach London, um sich über die erfolgreichen | |
Klagen von Opfern der britischen Bekämpfung des antikolonialen | |
Mau-Mau-Aufstands in Kenia in den 1950er Jahren zu informieren und | |
entsprechende Klagen gegen Deutschland vorzubereiten. „Unser Volk hat 110 | |
Jahre auf Gerechtigkeit gewartet. Wir sind nicht bereit, noch mal 100 Jahre | |
zu warten.“ | |
Es ist nicht das erste Mal, dass Herero und Nama in Deutschland Anerkennung | |
fordern, aber das Ultimatum ist neu. Wütend sind die Namibier darüber, dass | |
sie beim Versuch, ihre Forderungen an Bundespräsident Joachim Gauck zu | |
übergeben, am Tor von Schloss Bellevue von einer Hilfskraft abgespeist | |
wurden. Kein Vertreter der Bundesregierung hat die Delegation offiziell | |
empfangen. | |
„Ist es, weil wir Afrikaner sind?“ fragt der Chief. Der Nichtempfang macht | |
in Namibia Schlagzeilen. „In Berlin abgeblitzt und verärgert“ titelt am | |
Mittwoch die deutschsprachige Allgemeine Zeitung. | |
Offiziell betont die Bundesregierung, ihr Ansprechpartner sei Namibias | |
Regierung. Inoffiziell zweifelt man an der Repräsentativität der nach | |
Deutschland gereisten Delegation. Es gebe zu viele rivalisierende | |
Herero-Vertreter, sagt ein hochrangiger Diplomat. „Das ist eine | |
traditionelle koloniale Ausrede“, sagt dazu Chief Rukoro, der sein Amt 2014 | |
nach dem Tod des Vorgängers Kuaima Riruako antrat. Es gebe zwei | |
Herero-Führungen, aber beim Völkermord seien sie sich einig. | |
Die Opposition im Bundestag hat sich der Herero-Forderungen angenommen. | |
Abgeordnete der Linken und der Grünen begleiten die namibische Delegation. | |
Ihre Fraktionen haben mit weitgehend identischen Anträgen dafür gesorgt, | |
dass das Thema nach der Sommerpause auf der Agenda des Bundestages landen | |
wird. | |
## Deutsche Gründlichkeit | |
Möglicherweise wird das die entscheidende Ebene. Bundestagspräsident Nobert | |
Lammert hat jetzt in einem Zeitungsbeitrag erstmals anerkannt: „An den | |
heutigen Maßstäben des Völkerrechts gemessen war die Niederschlagung des | |
Herero-Aufstands ein Völkermord.“ | |
Vielleicht sollten die Abgeordneten Esther Utjiua Muinjangue einladen, | |
Vorsitzende der namibischen „Ovaherero und Uvambanderi Geocide Foundation“. | |
Die formidable Herero-Politikerin seziert am Abend auf einer öffentlichen | |
Veranstaltung die deutsche Leugnung des Völkermords mit lapidaren Worten. | |
„Diese Sache wird nicht sterben, solange wir auf der Erde weilen.“ | |
Sie zeigt auf ihre Nase und sagt: „Der Vater meines Ururgroßvaters war ein | |
deutscher Soldat. Diese Nase ist das Produkt von Vergewaltigung.“ Sie | |
beschreibt spezifisch deutsche Gründlichkeit: Gefangene Herero-Frauen | |
mussten die abgeschnittenen Köpfe ihrer Männer, Söhne, Väter und Onkel | |
häuten und reinigen, damit die Schädel zu Forschungszwecken nach | |
Deutschland verschifft werden konnten. | |
Daniel Timotheus Frederick, Sohn des aus Krankheitsgründen nicht | |
angereisten Nama-Chiefs, hat nur eine Bitte. Er möchte gern den Schädel | |
seines Urgroßvaters zurück. Damit er würdig begraben werden kann. | |
8 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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