# taz.de -- Antikapitalistin zu Tsipras‘ Referendum: „Ja bedeutet Sendepaus… | |
> Wenn die Griechen am Sonntag abstimmen, haben auch in Deutschland | |
> Aktivisten Angst um ihre Zukunft. Margarita Tsomou erklärt, wieso. | |
Bild: Die Idee ist ja gut, aber was, wenn das auch nichts mehr nützt? | |
taz: Frau Tsomou, die griechische Regierung will das Volk abstimmen lassen. | |
Lacht da Ihr Revoluzzerherz? | |
Margarita Tsomou: Natürlich lässt sich die Geste feiern, die Bevölkerung | |
als politische Akteure in die Verhandlungen einzubeziehen. Das ist | |
demokratisch. Aber wir müssen uns ja nichts vormachen: Ein erfolgreiches | |
„Ja“ im Referendum bedeutet Sendepause für alleKapitalismuskritiker. | |
Wieso das? | |
Ein „Ja“ wäre die demokratische Legitimitation und der Freischein für die | |
Sparpolitik der Europäischen Union. Damit wäre in Europa die letzte Bastion | |
für progressive Politik gefallen. Tsipras würde abtreten. | |
Ja und? | |
Wegen ihrer Nähe zu sozialen Bewegungen war Syriza für viele linke | |
Protestbewegungen in Europa eine große Hoffnung, aber auch eine | |
Projektionsfläche. Ihr Erfolg oder Misserfolg strahlt in die sozialen | |
Bewegungen Europas aus. | |
Wie nehmen Sie denn die Rolle Syrizas unter deutschen Kapitalismuskritikern | |
wahr? | |
Hier wird vieles idealisiert. Die deutschen Linken sind etwa viel stärker | |
auf Parteilinie mit Syriza als die Griechen selbst. Um sich zu | |
solidarisieren, folgt die deutsche Linke der griechischen Linken. Wenn die | |
Griechen nein sagen, sagen auch die Deutschen nein. | |
Sollten sie denn lieber „Ja“ zu den Auflagen der Gläubiger sagen? | |
Natürlich nicht. So gut wie alle progressiven Griechen mobilisieren für das | |
große „Nein“. Auch unter jungen, undogmatischenKünstlern oder Musikern, d… | |
Syriza kritisch gegenüberstehen, gibtes diese Tendenz. Für sie bedeutet ein | |
„Ja“ beim Referendum, dasssie für die kommenden zehn Jahre einer | |
postdemokratischenRegierungsform zustimmen, bei der über die Politik nicht | |
mehr beigriechischen Wahlen abgestimmt wird. Es gibt in Griechenland | |
eineTendenz dazu, diesen Bruch als Erlösung zu sehen. Das Problem istnur: | |
Die Leute erfahren nicht, was dieser Bruch ganz konkret bedeutet. | |
Wie meinen Sie das? | |
In Griechenland haben alle, die Angst vor dem „Ja“ haben, auch Angst vor | |
dem „Nein“. Ministerpräsident Alexis Tsipras hat in seinerAnsprache an die | |
Bevölkerung mit keinem Satz gesagt, was dieses Nein der Bevölkerung zu den | |
europäischen Vorschlägen genau bedeuten würde. Seine Botschaft lautet: | |
Sendet mit Eurem „Nein“ ein Signal für ein Europa der Demokratie. Das mag | |
politisch wünschenswert sein. Er sollte aber auch sagen: Wir werden dann | |
eventuell zunächst mal alle nur von solidarischen Ökonomien leben, mit | |
allen positiven und negativen Konsequenzen. Die WählerInnen müssten darauf | |
vorbereitet werden und überlegen, ob und vor allem wie sie diese | |
Verantwortung zur Selbstorganisierung auf sich nehmen wollen. | |
Was soll das sein: Solidarökonomie? | |
Seit Jahren wächst in Griechenland ein Netz von nicht-monetären Ökonomien: | |
soziale Kliniken, Umsonsapotheken, alternative Währungen und Tauschmärkte. | |
Meine Eltern etwa haben gemeinsam mit Nachbarn eine Recyclingfirma | |
gegründet, weil der Staatdafür nicht genug Geld hat. Da brauchte es keinen | |
Bürgermeister und keine Regierung. Die Leute organisieren sich in einer | |
neuen Weise und so entsteht auch ein neues Politikempfinden. Sie sind nicht | |
mehr nur Konsumenten, sondern teilhabende Bürger, die selbst eine neue Form | |
des Staates herstellen. Das ist beeindruckend... | |
...und hört sich etwas romantisch an. Es ist doch vor allem die pure Not, | |
die die Menschen dazu treibt. Sie stehen vor Geldautomaten und es kommt | |
nichts raus. | |
Natürlich ist Not ein entscheidender Aspekt. Man muss da nichts | |
romantisieren. Ich will nur sagen: Es gibt inmitten dieser Krise etwas | |
Neues: die Erfahrung der Selbstaktivität und gegenseitigen Hilfe. Viele der | |
Menschen haben gerade in den letzten Jahren erst gelernt, was es bedeutet, | |
solidarisch zu sein, nachdem ihnen zuvor jahrelang keine Regierung helfen | |
konnte. Das erklärt auch, weshalb ein „Nein“ beim Referendum für viele | |
naheliegend ist. Aus Deutschland heraus gibt es eine Tendenz zur | |
Beurteilung der Krise aufgrund des eigenen Status Quo. Ich glaube aber, man | |
muss diese griechische Kollektiverfahrung begreifen, um zu verstehen, was | |
da am Sonntag passiert. | |
2 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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