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# taz.de -- Regisseur Christian Petzold: „Autofahren ist wie Fernsehen“
> Erstmals hat er für den „Polizeiruf 110“ Regie geführt. Christian Petzo…
> über „Kreise“ – und Filme, die man nicht zurückspulen kann.
Bild: „Ich möchte in unbekannte Bereiche geraten“: Regisseur Christian Pet…
taz: Herr Petzold, Ihr Film ist so blau. Warum?
Christian Petzold: Er ist auch rot. Das Blau ist der Tag, die Analyse. Rot
ist die Nacht und die Sehnsucht. Deswegen steht Barbara Auer als
Kommissarin Konstanze Hermann nachts in ihrem roten Hotelzimmer rauchend am
Fenster.
Ist „Kreise“ Ihr erster Krimi?
Bei mir sind doch immer alle Verbrecher. Auch im Krimi geht es um ein
Verbrechen. Jemand wagt den Schritt auf die andere Seite – aus Gier,
Leidenschaft oder Verzweiflung. Deshalb ist der Krimi so beliebt, über ihn
kann man das Gemeinwesen erzählen. Von dessen Grenze aus.
Der Krimi ist auch eine Form, eine Erzählung auf ein Ziel hin, das die
Auflösung bringt. Ihr Film unterwandert dieses Prinzip.
Raymond Chandler hat für seine Kriminalromane immer zwei seiner
Kurzgeschichten als Plot verwendet. Das hat mir eingeleuchtet. Deshalb geht
es in „Kreise“ um zwei Polizisten und einen Mann, der den Kreis verlassen
will.
Auch die Polizisten drehen sich im Kreis, wollen sie den nicht auch
verlassen?
Der Polizist oder Detektiv ist jemand, der sich an den leidenschaftlichsten
Punkten der Menschheit aufhält, an wirklichen Tatorten – einer Ehe, Firma
oder Familie –, und gleichzeitig nicht selbst Leidenschaften haben kann.
Das macht seine Melancholie aus.
Weil die Ermittler nur für die Arbeit leben?
Ja. Aber gleichzeitig sind sie wie Vampire. Sie saugen die Leidenschaften
und Schwächen der anderen auf. Walter Benjamin schreibt in seinem Aufsatz
„Der Erzähler“: Literatur war früher Ratgeber-Literatur, man konnte immer
etwas aus ihr lernen. Mit dem Roman sind zum ersten Mal Menschen im
Mittelpunkt einer Erzählung, die keinen Rat mehr geben können. Die Figuren
wissen nicht mehr; sie vergehen, sagt Benjamin. Und an ihrem Verglühen
können wir uns wärmen. Die Kommissare wärmen sich an der Hitze des
Verbrechens und werden dadurch selbst für einen Moment warm zueinander.
Der Hauptverdächtige ist der Exmann des Opfers. Er baut den ganzen Tag
Modelle. Und diese Miniaturwelt kontrolliert er, wie seine Modelleisenbahn.
Was bedeutet das?
Am Berliner Mierendorffplatz ist ein Modelleisenbahnladen, da bin ich
früher oft umgestiegen. Die hatten wunderschöne Landschaften. Der Sohn des
Besitzers erzählte mir, dass der die Schienen noch in Kreisen gebaut hat.
Der Kreis war eine Mauer gegen die moderne Welt, gegen Gentrifizierung,
gegen Krieg, gegen Demonstrationen und Rassismus. Drinnen war alles in
Ordnung. Heute muss sich die moderne Modelleisenbahn der Welt öffnen, der
Kreis muss gebrochen werden. Man sieht Ruinen in den Miniaturlandschaften,
Schlecker-Märkte, Demonstrationen.
„Kreise“ ist ein sehr literarischer Film. Es wird viel gesprochen, wenig
agiert. Es gibt viele Textzitate. Wird dem Fernsehzuschauer da nicht viel
abverlangt?
Dafür gehe ich doch ins Kino! Dafür mache ich den Fernseher an! Durch
YouTube oder Netflix ist Fernsehen das Medium geworden, das die meiste
Aufmerksamkeit verlangt. Ich kann nicht zurückspulen. Ich mag auch das
Zufällige daran: Ich drücke auf den Knopf und dann kommt etwas, was ich
nicht bestellt habe. Ich möchte in unbekannte Bereiche geraten. Diese
Möglichkeit bietet das Fernsehen.
Das Autofahren spielt eine große Rolle in Ihrem Film, die beiden Kommissare
entwickeln ihre Gedanken im Auto. Wie funktioniert das?
Die Schauspieler fahren ja wirklich während wir filmen. Die Kameras sind
nicht größer als ein Außenspiegel und klemmen in der Ecke. Nur ich liege im
Fußbereich der Rückbank und höre nur zu. Das Autofahren ist für mich eine
somnambule Angelegenheit. Man ist im Straßenverkehr, aber gleichzeitig ist
man auch in seinen Gedanken. Das ist so wie beim Fernsehen. Man ist in
seinen vier Wänden, aber gleichzeitig in einer Geschichte.
Gibt es eine Fortsetzung?
Ja. Diesmal treffen wir uns zwei Monate vor Drehbeginn drei Tage mit allen
Schauspielern und gucken Filme. Das wird toll.
27 Jun 2015
## AUTOREN
Lea Streisand
## TAGS
Christian Petzold
Regisseur
Polizeiruf 110
Fernsehen
Netflix
Tatort
Ulrich Tukur
Kolumne Immer bereit
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Dominik Graf
Filmemacher
Holocaust
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