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# taz.de -- Militär in Russland: Zwei-Sterne-Hotel im Schützengraben
> Bei einer Messe auf dem Areal Patriot vor den Toren Moskaus präsentiert
> der Kreml Kriegsgerät. Hier soll auch ein Erlebnispark entstehen.
Bild: Es richtig krachen lassen: Russische Rakte vom Typ Iskander.
MOSKAU taz | Der Wald scheint nicht von dieser Welt zu sein, wenn Sonne und
Wolken in den Baumkronen spielen. Es ist das gleißende russische
Sommerlicht, das die Waldlandschaft rechts und links der Chaussee Richtung
Westen unwirklich erscheinen lässt. Wie auf einer Wackelpostkarte. Dieses
Licht und diese Wipfel gehören zu Russland wie Wodka und Kalaschnikow. In
der Ikonographie der sowjetischen Kriegsfilme haben auch sie einen festen
Platz. Eine längere Einstellung kündigt an: Unvorhergesehenes, wenn nicht
gar Schreckliches steht zu erwarten.
Vom „Park des Sieges“ (Pobedy) in Moskau über die Minsker Chaussee ist der
Bus eine Stunde unterwegs, bis er über eine zerlegbare Behelfsbrücke von
„Oboronstroi“, dem militärischen Bauunternehmen, zum Areal des neuen Parks
„Patriot“ abbiegt.
Dort herrscht „Anschlag“. Mit dem Lehnwort meint das Russische „Andrang�…
Abertausende drängeln sich vor den Toren, um auf das Gelände der
mehrtägigen Messe „Armija 2015“ zu gelangen, von wo Kremlchef Wladimir
Putin in dieser Woche der Welt bekanntgab: 40 neue strategische
Interkontinentalraketen werde Russland bis Jahresende anschaffen.
Mit dem Atomarsenal hatte der Oberkommandierende der russischen
Streitkräfte seit der Annexion der Krim im März 2014 schon mehrmals
gerasselt. Jetzt wurde er konkret. Die jungen Besucher Igor und Jewgenij
freuen sich besonders über den Zusatz des Präsidenten: Raketen, die von
keinem feindlichen Luftabwehrsystem aufzuhalten seien. Kurzum, etwas
Einmaliges. Die beiden schwelgen in Stolz und Überlegenheit wie ihr Land.
Die Nachfrage, wofür dieser Aufwand betrieben wird, wenn sie doch niemand
bedroht, verstört die beiden.
## Militärisch-patriotische Zone
Die Idee zu diesem Park soll Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor einem
Jahr gekommen sei. Die Anlagen verteilen sich auf 5.400 Hektar. 1700 Hektar
sind als „militärisch-patriotische Zone“ ausgewiesen, wo Besucher Russlands
Militärgeschichte studieren, Museen besuchen oder real nachgestellte
Schlachten verfolgen können, darunter auch Panzerschlachten des 2.
Weltkrieges. Dazu wurden eigens Tribünen wie bei der Formel-1 errichtet,
auf denen 20.000 Zuschauer Platz finden.
Militärische Profis aller Waffengattungen verfügen über eigene Areale.
Selbst ein Marine-Cluster wurde angelegt. Das Modell eines russischen
Helikopterträgers ist zu sehen. Paris hatte zwei bestellte „Mistral“
-Träger wegen der Krim-Sanktionen nicht ausgeliefert. Überall können sich
die Messebesucher an Schießübungen beteiligen, ein Vorgeschmack auch auf
die Ausbildungsmöglichkeiten des späteren Erholungszentrums.
Sascha, ein 8jähriger, ist mit der Oma gekommen und versucht sich an einer
Panzerfaust, die um Köpfe länger ist als er. „Patriotismus“,
„staatsbürgerliches Engagement“ und „Stolz auf die Streitkräfte“ will…
Verteidigungsministerium vermitteln und natürlich auch für Nachwuchs
werben. Die Ausbeute sei schon am ersten Tag nicht schlecht, freut sich ein
Generalmajor der Fallschirmjäger. Eine Anstellung bei der Armee wird vor
dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise und der geschürten
Bedrohungsparanoia auf Jahre hin ein sicherer und gutbezahlter Job sein.
Die Verquickung aus Profieinrichtung und Freizeitpark verspricht ein großer
Erfolg zu werden. Demnächst eröffnen in kilometerlangen Schützengräben
kleine Hotels. Sie sind in Unterständen eingerichtet. Wer es komfortabler
wünscht, der kann im gepanzerten Zug übernachten oder in einem Bau unter
Tarnnetzen. Dazu werden Gretschka (Buchweizen) und dunkle Sauce aus der
Armeekantine gereicht. Ein Herrenmenü, sozusagen.
## Nur eine adäquate Antwort
Auffallend ist, wie viele junge Familien gekommen sind. Mit Buggys oder
noch mit Kinderwagen. Begeistert hieven junge Mütter die Kleinen in die
Fahrerkabine des riesigen Topol-M-Gefährts, der schnellsten
Interkontinentalrakete der Welt. Die Titelseite der Zeitschrift der
Rüstungsindustrie zeigt die letzte Topol-Entwicklung mit einem Putin-Zitat:
„Wir haben nur eine adäquate Antwort“. Auch die Besucher wollen sich
unbedingt vor der lenkbaren Rakete fotografieren lassen.
5.000 Produkte russischer Firmen werden auf der Messe angeboten. Die
Raketen scheinen der Renner zu sein, auch wenn die Trauben vor den
Exemplaren der Iskander kleiner sind. Nur wenige machen unterdessen vor der
BUK halt, mit der im Juli 2014 die malaysische MH 17 über der Ukraine
abgeschossen wurde. Drei Exemplare stehen dort, nur ein Satz ist komplett –
mit dem zweiten Wagen, der die Kommandozentrale enthält. „Nur Leute aus dem
Westen erkundigen sich genauer“, meint ein Mitarbeiter des Herstellers aus
Uljanowsk. Auskunftsfreudig ist auch er nicht gerade. Vielleicht sind es
die Kunden aus der Dritten Welt beim Nachbarn, auf die er noch wartet. Auch
ein Raketenhersteller.
Wladimir Putin forderte bei der Eröffnung die Rüstungsindustrie auf, wieder
zur Lokomotive zu werden. Wie in der Sowjetzeit, als die gesamte Produktion
dem Militärischen untergeordnet war. Die zivile Gesellschaft musste mit dem
vorliebnehmen, was abfiel. Viele scheinen sich wehmütig daran zu erinnern.
„Volk und Armee sind eins“ hieß es in der sowjetischen Propaganda, meint
die Rentnerin Valentina Gorbunowa. „Erst heute ist das Realität“, klagt
sie. Präsident Putins Bikerfreund Alexander Saldostanow bestätigt dies: „In
der Sowjetunion war die Armee für uns weit weg.“ Er hält es für eine gute
Sache, dass die Armee jetzt romantisiert werde. Er verspürt auch Stolz
angesichts der Produktpalette der Rüstungsindustrie. „Wir haben den
Amerikanern etwas entgegenzusetzen. Wenn wir die Kinder nicht erziehen,
machen das die USA...wie wir das gerade in der Ukraine erleben.“
Es klingt abstrus, aber er spricht vielen aus der Seele. Ein Brei aus
Vorurteilen, Lügen und Unkenntnis trübt die Einsichtsfähigkeit der
Menschen. Es sei ein „Disneyland der Armee“ schwärmen russische Beobachter
über die Doppelfunktion des Parks. Gleichsam spielerisch wird der Besucher
auch an den Tod herangeführt, den der russische Soldat ohnehin weniger
fürchten soll.
Vor den Ständen des Armeegeschäfts „Woentorg“ wartet unterdessen noch ein
Eisverkäufer. Seine Botschaft muss er nicht mehr unter die Leute bringen,
jeder kennt sie hier: „Wer auch im bitteren Winter Eis ißt, ist
unbesiegbar“. Unterdessen spielt die Bigband der Armee die US Andrew
Sisters aus dem 2. Weltkrieg zum Zapfenstreich: „Bei mir biste shein...“.
Vom 60 Meter hohen Fahnenmast grüßt zu guter Letzt noch die größte Flagge
der Welt: 200 Quadratmeter russische Trikolore.
19 Jun 2015
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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