# taz.de -- Spionagevorwurf gegen Edward Snowden: Zersetzung für Anfänger | |
> Medien versuchen, Aktivisten gegen staatliche Überwachung zu | |
> diskreditieren. Das geschieht auf zynische und unprofessionelle Weise. | |
Bild: Natürliche Zersetzungsprozesse sind manchmal hübsch anzusehen, geheimdi… | |
Dass sogenannte Zersetzungsmaßnahmen mit dem Ende des Ministeriums für | |
Staatssicherheit nicht zum historischen Phänomen wurden, sondern | |
Standardrepertoire der heutzutage operierenden Geheimdienste geblieben | |
sind, braucht nicht zu überraschen. Was irritiert, ist, dass Medien sich, | |
wenn es zu Fragen der Staatssicherheit (der aktuellen, nicht jener aus der | |
DDR) kommt, bisweilen wie Handlanger von Behörden und Diensten aufführen. | |
Kaum bekommt Journalist X ein Zuckerchen im Hintergrundgespräch mit dem | |
Ministerialbeamten Y oder der Geheimdienstkoordinatorin Z, kennt er keine | |
kritische Distanz mehr, keine Nachfrage, keinen Faktencheck. | |
Und so kommt es, dass die britische Sunday Times [1][ihren Leserinnen und | |
Lesern erläutert], dass russische und chinesische Geheimdienste Zugang zu | |
den Snowden-Dokumenten hätten und deshalb sogar Agenten aus laufenden | |
Einsätzen abgezogen werden mussten. In Geheimdienstkontexten mag das sogar | |
glaubhaft klingen. Zu beweisen oder widerlegbar ist es jedoch nicht. Einzig | |
die Aussagen nicht genannter und damit nicht überprüfbarer informeller | |
Quellen begründet den schweren Vorwurf, Snowden habe „Blut an seinen | |
Händen“. | |
Wie substanzlos die gesamte Geschichte ist, die da bar aller überprüfbarer | |
Fakten in die Welt gesetzt wurde, belegt ihr Autor Tom Harper [2][in einem | |
Interview mit CNN] gleich selbst. Vier Fragen zum Hintergrund des Berichtes | |
werden Harper gestellt. Dreimal antwortet er mit: „Wir wissen es nicht“, | |
einmal mit: „Da haben wir keine Klarheit“. Was er jedoch feststellt, ist, | |
dass die Times mit dem Bericht „die offizielle Position der britischen | |
Regierung“ präsentiere. Allerdings fehlt selbst dafür eine offizielle | |
Bestätigung. | |
## Botschaft ohne Fakten | |
Glenn Greenwald, der sich als Snowden-Vertrauter verständlicherweise | |
persönlich angegriffen fühlt, nennt diese Art von Journalismus | |
„Stenografie“. Man könnte sie aber auch als „Teilnahme an | |
Zersetzungstätigkeit“ bezeichnen. Die Stasi hat so etwas gefasst unter: | |
„zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten | |
Idealen, Vorbildern usw.“ | |
Allerdings hatte die Stasi (zumindest im eigenen Land) keine tatsächlich | |
unabhängige Presse als möglichen Gegner zu fürchten. So ein armseliges | |
Interview wie mit CNN wäre Tom Harper sicher erspart geblieben. Aber selbst | |
mit allen Fehlern, Ungereimtheiten und offensichtlicher Propaganda in einem | |
einzigen Zeitungsartikel wird dieser nicht einfach die Toilette | |
runtergespült. Nein, er ist Anlass, wenn schon nicht die | |
herbeihalluzinierten Fakten, so doch wenigstens die dahinter stehende | |
Botschaft weiterzutragen. | |
So schafft es die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Frage, inwieweit | |
Fakten für die journalistische Bewertung eines Vorgangs von Bedeutung | |
seien, ohne Umstände vom Tisch zu wischen. [3][Ob die Vorwürfe nun | |
zuträfen, sei zwar nicht klar], dass Snowden die „wichtige Arbeit der | |
Geheimdienste“ geschwächt habe, träfe aber in „jedem Fall“ (!) zu. | |
Nun ist dieser FAZ-Text ein Kommentar, ein Meinungsstück also, in dem es | |
selbstverständlich völlig zulässig ist, Snowden für seine Enthüllungen | |
scharf zu kritisieren. Selbst der literarisch inspirierte Titel „Der | |
talentierte Mr. Snowden“, der wohl die vermeintlich verbrecherische Amoral | |
des Whistleblowers herausstellen soll, lässt sich problemlos als Teil eines | |
offenen und demokratischen Meinungsstreites verbuchen. Die Behauptung eines | |
Schadens für die Geheimdienstarbeit aber einfach aufrechtzuerhalten, und | |
das bei gleichzeitigem Eingeständnis der mangelnden Faktenbasis, ist | |
schlicht unredlich – und nimmt den Sicherheitsbehörden die | |
Zersetzungsarbeit ab. | |
## „Krankhaftes Misstrauen“ | |
Misstrauen wird gesät, Personen und mit ihnen ganze Bewegungen werden | |
diskreditiert. Die Frage, inwieweit die Enthüllungen Snowdens tatsächlich | |
die Arbeit der Geheimdienste behindern, und zwar bei ihrem (nebenbei | |
bemerkt illegalen) Versuch die eigene Bevölkerung flächendeckend zu | |
überwachen, gerät in den Hintergrund. | |
Ein Rahmen wird gesteckt, in dem ganz im Sinne des Freund-Feind-Schemas | |
Carl Schmitts die Person Snowden und ihr Handeln als „feindlich“ eingestuft | |
und damit der freien gesellschaftlichen Debatte ganz entzogen werden soll. | |
Wer es wagt, sich positiv auf Snowden zu beziehen, ihn gar nachzuahmen oder | |
wie der Guardian und Greenwald seine Dokumente zu veröffentlichen, wird | |
selbst zum „Feind“. Zum Feind einer Gemeinschaft die nach Ansicht der FAZ | |
besser darauf achten sollte, dem Staat nicht so ein „krankhaftes | |
Misstrauen“ entgegenzubringen. | |
Pathologisierung und Dämonisierung und die Konstruktion einer zu | |
verteidigenden Wagenburg: Was bleibt den Apologeten der | |
Überwachungsmaschine auch anderes übrig; und wie müssen sie Edward Snowden | |
verfluchen. Man kann wohl annehmen, dass das Leben des jungen Mannes so | |
umfassend durchleuchtet sein dürfte, dass noch seine kleinste Regung | |
zwischen Geburt und dem 29. Lebensjahr, als er sich entschied, eines der | |
größten Geheimdienstprojekte der Geschichte in die Öffentlichkeit zu | |
tragen, bei den interessierten Geheimdiensten dokumentiert ist. | |
## Mediale Schützenhilfe | |
Dass nun bis heute keine ernsthaften Verfehlungen Snowdens bekannt geworden | |
sind, lässt die Vermutung zu, dass er sich einfach nichts Berichtenswertes | |
hat zu Schulden kommen lassen. Edward Snowden scheint gewissermaßen der | |
langweiligste Mensch der Welt gewesen zu sein – zumindest bis er der | |
meistgesuchte wurde. Das macht die Zersetzung nicht gerade leichter, Medien | |
aber leisten willkommene Schützenhilfe. | |
Tom Harper von der Sunday Times hat recht, wenn er im CNN-Interview über | |
journalistische Arbeit im Geheimdienstkontext sagt, dass es sich dabei um | |
die vielleicht „härteste zu knackende Nuss“ handelt. In seinem Fall wäre … | |
gewiss korrekter gewesen von der unmöglich zu knackenden Nuss zu sprechen. | |
Denn statt zum Verständnis der Sache beizutragen, verkauft Harper einfach | |
Propaganda als Information. | |
Ob es nun also zutrifft, dass Russen und Chinesen Snowdens Material | |
überhaupt in den Händen haben und entschlüsseln konnten und dadurch etwa | |
britische Agenten gefährdet wurden, ist eine zwar interessante, aber | |
bislang gänzlich unbeantwortete Frage. | |
Dass Snowden in den westlichen Gesellschaften dazu beigetragen hat, die | |
Kenntnis über den „Geheimdienstleviathan“ zu schärfen und damit bis in die | |
Parlamente hinein eine Debatte um die Methoden der Sicherheitsorgane | |
angestoßen hat, trifft aber in jedem Fall zu. Wer nun die Aktiven gegen | |
staatliche Überwachung diese Tatsache vergessen machen möchte, wird sich | |
eventuell etwas mehr Mühe geben müssen mit der Zersetzung. | |
18 Jun 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Geleakte-NSA-Dokumente/!5204094/ | |
[2] http://edition.cnn.com/videos/us/2015/06/14/tom-harper-nsa-files-snowden-ho… | |
[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/kommentar-zu-snowden-gest… | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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