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# taz.de -- Umsiedlung für Braunkohle: Die rheinische Geisterburg
> Zehntausende werden in den nächsten dreißig Jahren dem Tagebau in NRW
> weichen müssen. Einer von ihnen ist Wilfried Lörkens.
Bild: Wilfried Lörkens vor seiner Wasserburg. Auch die muss gehen – Denkmals…
ERKELENZ taz | Eine grüne Oase – so nennt Wilfried Lörkens, 62, sein
Anwesen, stolz und wehmütig zugleich. Hinter dem kleinen Mann mit Brille
und Schnauzbart erstreckt sich ein mächtiges Gemäuer. Es ist das Haus
Paland, eine denkmalgeschützte Wasserburg. „Fast 400 Jahre alt“, sagt
Lörkens, und zeigt auf das zweistöckige Herrenhaus mit geschweiftem Giebel.
Nach Osten schließt sich ein Turm mit Pyramidendach an.
Er erzählt vom rheinischen Geschlecht Palant, das der Burg den
ursprünglichen Namen gab. Und dass der einstige Adelssitz 1837 an die
bürgerliche Familie Lörkens verkauft wurde. Ein monotones Surren begleitet
seine Reise in die Vergangenheit. Es ist das Geräusch eines
Braunkohlebaggers.
Doch Lörkens ignoriert den schwarzen Koloss aus Stahl, fährt unbeirrt fort.
„Ich bin hier geboren. Hier in diesem Haus, das schon so lange im Besitz
unserer Familie ist“, sagt er und erinnert sich dann selbst daran, dass er
Haus und Gelände im vergangenen Jahr an den Energiekonzern RWE verkauft
hat. „War“, korrigiert er. Doch darüber möchte der Mann mit den grauen
Haaren und dem ordentlich gekämmten Scheitel gerade nicht sprechen.
Lieber erinnert sich Lörkens zurück an die Zeit, in der Haus Paland noch
der inoffizielle Mittelpunkt Borschemichs war, eines ländlichen Ortsteils
der Stadt Erkelenz. Auf der großen Wiese feierte er mit seinem Verein jedes
Jahr das Schützenfest.
## Gemeinsame Umsiedlung
Auf dem Wassergraben lief er mit seinen Freunden im Winter Schlittschuh.
„Nach der Schule. Die war ja direkt gegenüber“, sagt Lörkens und deutet m…
dem Kopf zu dem verfallenen Gebäude auf der anderen Straßenseite. Die Sonne
scheint in sein rundes Gesicht, der Wind weht eine Strähne zur anderen
Seite des Scheitels. Lörkens streicht sie nicht zurück, ihm stehen die
Tränen in den Augen.
Im Juni muss der Burgherr sein Haus Paland verlassen. Die „gemeinsame
Umsiedlung“ Borschemichs wird abgeschlossen sein, die „bergbauliche
Inanspruchnahme“ beginnen. So heißt das Schicksal von Wilfried Lörkens in
Amtssprache.
## Fackelketten und Proteste
Mit dem Vokabular ist der ehemalige Bankangestellte seit Jahren vertraut.
Nicht nur als Betroffener, auch als Mitglied im Bürgerbeirat und
Vorsitzender des CDU-Ortsverbandes. Seine Partei war gegen den Tagebau, den
die damals in Düsseldorf regierende rot-grüne Koalition auf den Weg
brachte. Ja, groß sei der Protest gewesen, erinnert sich Lörkens. „Aber das
ist lange her“, sagt er. Habe ja alles nichts gebracht. Von Fackelketten
und Protesten unbeeindruckt wurde Garzweiler II 1995 abgesegnet.
Noch die nächsten dreißig Jahre darf der Energieriese RWE hier Kohle
scheffeln. Die ockerfarbenen Gruben haben sich bereits bis an den Rand
Borschemichs gefressen. Gut 600 Menschen lebten hier einmal. Die ersten
sind 2006 weggezogen, 2012 wurden die ersten Gebäude abgerissen. Geblieben
sind außer Wilfried Lörkens noch eine Handvoll Bewohner und riesige
Flächen, auf denen die Abrissbagger nichts als tiefe Furchen hinterlassen
haben.
Borschemichs Hauptstraße ist noch gesäumt von alten Backsteinhäuschen. Ihre
Fenster sind mit dunklen Spanplatten verrammelt oder eingeschlagen, Türen
aufgebrochenen. Der Wind pfeift durch zerbrochene Scheiben und die Äste der
alten Linde gegenüber. Sie war einmal das Wahrzeichen des 1.100 Jahre alten
Ortes. Heute ist sie der Mittelpunkt eines Geisterdorfs. „Seit Jahren
treibt sich hier eine Menge Gesindel rum“, sagt Lörkens. „Beim Nachbarn
waren sie fünf Mal drin, haben alles auf links gedreht.“ Einbrüche,
Plünderungen und Altmetalldiebstähle.
## Mit Werkzeug und Herzblut
„Das zu erhalten, war meine Lebensaufgabe“, sagt er beim Blick auf sein
Haus. Dreißig Jahre Renovierungsarbeit und viel Herzblut stecken darin:
Lockere Steine habe er befestigt, Risse im Mauerwerk beseitigt, das Dach
neu eingedeckt. „Alles selbst gemacht, mit meinen Schützen“, erzählt er.
„Damals half jeder jedem. Kannste ma anpacken? Oder willste lieber ’n Bier
trinken?“ Lörkens lächelt bei dem Gedanken an die Vergangenheit.
Am Ende der Auffahrt steht sein Auto, bis unters Dach mit Werkzeug beladen.
„Mein Baustellenfahrzeug. Ist ja ein ganz schönes Hin und Her“, sagt
Lörkens. Denn „Borschemich (neu)“, wie der Ort offiziell heißt, in den
Wilfried Lörkens mit seiner Lebensgefährtin ziehen wird, ist zehn Kilometer
entfernt. Den Standort, im Norden von Erkelenz gelegen, haben die Umsiedler
vor gut 15 Jahren selbst ausgewählt, darüber abgestimmt. Auch in den
Entwürfen für die neue Siedlung wurden die Wünsche der Alt-Borschemicher
berücksichtigt.
Das Ergebnis ist noch immer nicht fertig. In der Mitte des am Reißbrett
geplanten Ortes steht eine neue Linde. Klein und mickrig streckt das
Bäumchen die Äste in die Höhe. Die Hauptstraße ist gesäumt von geklinkerten
Mehrfamilienhäusern. „Eigentlich sollten hier keine Zweigeschosser stehen“,
sagt Lörkens. Aber irgendwelche Investoren hätten es dann wohl doch
geschafft. Dann schweigt er.
Ja, doch angefreundet habe er sich schon mit dem Gedanken an das neue
Leben. Sei ihm ja nichts anderes übrig geblieben. Er habe zwar woanders
nach einem Ersatz für seine Burg gesucht, aber nichts gefunden. Also musste
er sich mit dem neuen Borschemich arrangieren. „Hier kennste wenigstens die
Leute, weißt wie jeder so tickt“, sagt er. Und die Nachbarn können mal mit
anpacken? „Ach“, sagt Lörkens und winkt ab. Das laufe nicht mehr wie
früher. „Wenn wir alle fertig sind, vielleicht“, sagt er. Aber jetzt habe
erst mal jeder mit sich zu tun. Auch Lörkens.
Glücklich macht ihn der Anblick seines Neubaus nicht. „Wer früher weggeht,
sitzt jahrelang in dieser Großbaustelle. Ist der eine Nachbar mit Kloppen
fertig, fängt der nächste mit der Kreissäge an“, erklärt Lörkens. „Hier
haste Dreck und Lärm, da lebste in ’nem Geisterdorf“, sagt er und lässt d…
Schultern hängen. Es klingt wie die Antwort auf eine Frage, die ihm schon
oft gestellt wurde: Warum hat er nicht früher angefangen? Es ist nur ein
Problem von vielen, die Garzweiler II mit sich bringt.
## Die fehlende Absicherung
Erkelenz liegt am Rande des Tagebaus und wird insgesamt ein Drittel seines
Stadtgebiets verlieren. Mit dem Kugelschreiber demonstriert Bürgermeister
Peter Jansen den Verlust auf einer großen Karte, die an der sonst kahlen
Wand in seinem Büro hängt. „So eine Umsiedlung ist für uns als Verwaltung
ein sehr komplexer Prozess“, beginnt der CDU-Politiker seinen Vortrag, wie
er ihn wohl seit Jahren hält.
„Die Debatte über die Energiewende hat’s nicht einfacher gemacht“, fährt
Jansen fort. Doch nicht, ohne zu betonen: „Erkelenz war immer gegen den
Tagebau. Wir halten ihn nicht für sozialverträglich und auch
energiepolitisch für unsinnig.“
Doch ein vorzeitiges Ende wäre, mitten in der Umsiedlung, eine ebenso große
Katastrophe wie der Tagebau selbst. Das sei deutlich geworden, als Gerüchte
aufkamen, dass RWE pleite sein soll. „Da stellte sich heraus: Hoppla, das
Kohleland NRW hat ja gar nicht abgesichert, was passiert, wenn das
wandernde Megaloch plötzlich stoppt“, sagt Jansen. „Die schlimmste
Situation wäre eine halbe Neubausiedlung auf der einen, ein halb
leerstehendes Dorf auf der anderen Seite und keiner fühlt sich zuständig.“
Derzeit werden fünf weitere Orte für die Umsiedlung vorbereitet. Nach der
Standortsuche, Planung des neuen Ortes und einem jahrelangen juristischen
Vorlauf bekämen die Betroffenen Umsiedlerstatus, hätten dann zehn Jahre
Zeit, umzusiedeln. Dass das einfacher klingt, als es ist, weiß Jansen. „Die
Menschen müssen solche Berge Papier lesen“, sagt er und hebt die Hand ein
Stück über seinen Schreibtisch. „Oder sie müssen sich drauf verlassen, dass
sie bei der Entschädigung von RWE nicht über den Tisch gezogen werden.“
Diese Angst sei verbreitet, aber unbegründet, sagt er. „Viele denken zwar,
sie könnten frei verhandeln, doch dem ist nicht so.“ Schließlich gebe es
rechtliche Vorgaben für Verkehrswertgutachten und Transparenzerklärungen
für Entschädigungen. Damit ließen sich 80 Prozent aller Häuser relativ
sicher abwickeln. Doch der Bürgermeister muss gestehen: „Na ja, eine Burg
zu bewerten, das ist natürlich in diesem Schema nicht drin.“
## Nur Quadratmeter zählen
Wilfried Lörkens gehört zu den 20 Prozent. Im kleinen Erkerzimmer von Haus
Paland sitzt er an jenem großen Holztisch, an dem er sich in den letzten
Jahren so oft den Kopf zerbrochen hat. Er streicht die weiße Tischdecke
glatt und erklärt: „Das Haus ist zwar groß, hat aber wenig Wohnfläche. Doch
nur die zählt. Die dicken Mauern, das Gewölbe, alles, was das historische
Gebäude ausmacht, kannste vergessen. Für die zählen nur Quadratmeter.“
Die – das ist RWE. Die drei Buchstaben bringt Wilfried Lörkens kein
einziges Mal über die Lippen. Genau wie die Summe seiner
Entschädigungszahlung. „Ich habe schwer nachgeben müssen“, sagt er nur.
Eine Wahl, meint Lörkens schließlich, habe er am Ende ja ohnehin nicht
gehabt. „Wer nicht verkauft, wird enteignet, ganz einfach“, sagt er.
Aufgrund des geltenden Bergrechts mit seiner Enteignungsregelung von 1937
haben die Betroffenen juristisch kaum eine Chance, sich gegen ihre
Umsiedlung zu wehren. Mehrfach hätten „die“ ihn freundlich darauf
hingewiesen. Und auch der Denkmalschutz kommt gegen das Bergrecht nicht an.
Die Strapazen haben dem Mann sichtlich zugesetzt. Darüber können auch das
faltenfreie Hemd und der ordentliche Scheitel nicht hinwegtäuschen. „Als
klar war, dass wir unser Zuhause verlieren, wurde ich krank. Seit November
bin ich Rentner“, erzählt Lörkens. Dann faltet er seine kräftigen Hände u…
schaut aus dem Erkerfenster, lässt den Blick über seine grüne Oase
schweifen und trifft am Horizont auf den schwarzen Koloss aus Stahl. „Tja,
von hier sieht er aus wie ’n Aussichtsturm, is’ aber ’n Bagger“, sagt e…
Und zieht die Mundwinkel nach oben. Ein Lächeln ist es nicht.
3 Jun 2015
## AUTOREN
Anne Golling
## TAGS
NRW
RWE
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Garzweiler II
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