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# taz.de -- Kontextfreie Informationshäppchen im neuen Museum: „Die Hansen h…
> Das am Wochenende eröffnende Europäische Hansemuseum in Lübeck inszeniert
> die Geschichte als Mix aus Reenactment und klassischer Vitrinenschau.
Bild: Fast eine Festung à la Nowgorod: Europäisches Hansemuseum in Lübeck.
Woran man sich erinnert? An die Pestkreuze: goldbraune Markierungen, die
1367 an alle Lübecker Häuser gemalt wurden, in denen jemand an der Pest
gestorben war - ein Quarantäne-Zeichen. Dazu ein Leichenkarren, Grabsteine,
düstere Musik, Schummerlicht: Diese Inszenierung hat alle Zutaten eines
Gruselfilms.
Das wäre nicht besorgniserregend, fände sich dieser Raum nicht im
Europäischen Hansemuseum in Lübeck, das am Samstag offiziell eröffnet wird.
Die Pest grassierte im Mittelalter ja auch anderswo. Und dass sie für
Lübeck so besonders war, weil sie - übertragen durch Ratten an Bord der
europaweit pendelnden Koggen - als Indiz für die Reichweite der Hanse galt:
Das ist ein zu komplexer Gedanke für eine so schrille Inszenierung. Das
muss man nachlesen und man muss willens sein, sich aus der Inszenierung
herauszuziehen, hinein in die trockene Wissenschaft einen Raum weiter.
Dieses Changieren zwischen Event und Vitrine prägt den gesamten Parcours.
Entworfen hat ihn der Themenmuseen-Architekt Andreas Heller, der auch das
Bremerhavener Auswandererhaus konzipierte. Heller findet solche
Hybrid-Museen gut: „Die Besucher auf verschienen Ebenen anzusprechen ist
das A und O.“
Was bei einem Museum über etwas so schwer Fassbares wie die Hanse nicht
einfach ist. Die war nämlich nicht, wie lange vermutete, ein
machtpolitisches Bündnis, sondern, „ein Zweckbündnis niederdeutscher
Kaufleute zwecks Gewinnmaximierung, das europaweit agierte - unter anderem
von vier Auslandsniederlassungen aus“, sagt Rolf Hammel-Kiesow,
Hanseforscher und Mitgestalter des Museums. Diese vier Kontore, in Brügge,
London, Bergen und Nowgorod, sind Fixpunkte des Rundgangs, vom Architekten
historisch exakt inszeniert, allerdings als Collage - damit eine Brechung
bleibt.
Aber was ist so gebrochen an einem mit peppiger „Auf in die wilde
Hansezeit!“-Musik unterlegten Raum, in dem zwei Koggen im Schilf liegen?
Nun, sagt ein freundlicher Museumsführer, das symbolisiere das Treffen
niederdeutscher Kaufleute, die sich 1193 vor Nowgorod zusammentaten:
einerseits, um sich vor Überfällen zu schützen, andererseits, um gemeinsam
zu verhandeln.
Dieser Zusammenschluss sei eine der Wurzeln der Hanse gewesen, erklärt der
Führer noch, und für die damalige Zeit extrem modern. Das mag sein, aber
aus den Wandtexten über das Nowgoroder Kontor geht beides nicht hervor. Die
liefern nur Informations-Häppchen, Mosaiksteine, deren Muster man nicht
versteht. Den Kontext erfährt nur, wer ausdrücklich beim Personal
nachfragt.
Dieses Defizit kompensiert auch der nächste Raum nicht: fensterloser Beton
mit wenigen, recht leeren Vitrinen. Sicher, sie sollen bis zur Eröffnung
gefüllt sein. Aber wie lässt sich über eine Didaktik urteilen, die zur
Pressevorbesichtigung nicht fertig ist? „In diesen Arealen“, sagt Heller,
„soll das Vorausgegangene nachbereitet werden.“ Trotzdem wirkt der Raum wie
ein pflichtschuldiges Zugeständnis der Erlebnis-Fans an die Forscher. Oder
fürchtete man, den Besucher durch zu viele Exponate zu überfordern? Und
warum eigentlich führt der Rundgang von den Auslandskontoren immer wieder
nach Lübeck, statt weitere niederdeutsche Hansestädte zu streifen? Die
souveräne Lübecker Possehl-Stiftung, die den Großteil der 50 Millionen Euro
Baukosten trug, wird es nicht gefordert haben.
Andererseits konnten die Ausstellungsmacher wenig dafür, dass man während
der Bauarbeiten wichtige archäologische Funde zur Stadtgründung auf dem
Museumsareal fand - die musste man integrieren. Aber man hätte es erklären
können, denn der Besucher versteht nicht, warum er zu Beginn des
Hanse-Rundgangs per Fahrstuhl erst mal in Lübecker Grabungsfunde aus dem
Jahr 800 fährt. Damit wolle man zeigen, dass die Hansen nichts neu
erfanden, sagt Hammel-Kiesow. „Sie haben Handelswege genutzt, die schon
seit der Römerzeit hier, unweit von Lübecks Burghügel, zur Ostsee führten.�…
Die Museumsbegleiter erzählen das aber nicht, und man gewinnt den Eindruck,
dass sich hier ein Stück Lübischer Provinzialität ins Museum verirrt hat -
wie auch bei der Inszenierung der Landgewinnung von 1226: Damals hat man
der Trave ein Gebiet abgetrotzt, größer als die heutige Hamburger
Hafencity.
Die hölzernen Spundwände sehen aus, als bräche jeden Moment die Trave
herein, und vielleicht steht diese sehr regionale Abteilung auch für den
Kampf der Architekten mit dem Museumsstandort: Auf Lübecks Burghügel stand
im 14. Jahrhundert ein Dominikanerkloster, das vom Ende des 19.
Jahrhunderts bis 1962 als Gerichtsgebäude diente. 1943 wurden hier vier
Geistliche, die „Lübecker Märtyrer“, zum Tode verurteilt. Später residie…
hier das Archäologische Museum. Ein vielfältig aufgeladener, schwer zu
gestaltender Ort.
Heller hat das über eine Treppe gelöst, die von seinem Neubau an der Trave
- ein 3.735 Quadratmeter großer Klotz aus eigens entworfenen Ziegeln - hoch
zum Kloster führt. Und die einstigen Dominikanermönche gehören tatsächlich
zur Geschichte der Hanse: „Sie haben sich“, sagt Hammel-Kiesow, „auch um
das Seelenheil der Kaufleute gekümmert, die wegen des Zinses stets mit
einem Bein in der Hölle standen.“ Die Mönche entwarfen eine spezielle
Predigt, wonach „der Zins bloß das unternehmerische Risiko des Kaufmanns
kompensiere“ - dieser wirds ihnen gedankt haben. Im Museum steht nun eine
Gruppe murmelnder Mönchsfiguren.
Zum Ausklang gibts fünf dekadent gekleidete Kaufleute auf einem Podest.
Dazu ein Film über die Hansegeschichte, schnelle Bilder zu lauten Rhythmen:
die Hansezeit als Reenactment, das weder Empathie noch Differenzierung
fördert.
Wie der Rundgang endet? Mit dem am längsten bestehenden Hansekontor in
Bergen, vorgeführt als Stockfisch-Markt. Es löste sich 1774 auf, als die
niederdeutschen Kaufleute die norwegische Staatsbürgerschaft annahmen. Dass
die Hansen aber vor allem daran scheiterten, dass ihnen für den beginnenden
Atlantikhandel das Kapital fehlte - und dass die Zielländer begannen, ihre
eigenen Kaufleute stärker zu fördern: Das weiß einer wie Hammel-Kiesow. Der
Museumsbesucher erfährt es nicht.
Europäisches Hansemuseum, An der Untertrave 1, Lübeck www.hansemuseum.eu
30 May 2015
## AUTOREN
Petra Schellen
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