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# taz.de -- Kommentar Hanseatentum: Seid verhanst, Hanseaten!
> "Hanseatisch" bezeichnet einen Habitus, der Herrschaftsverhältnisse
> reproduziert. Nur wer die verfestigen will, sollte es affirmativ
> benutzen.
Bild: Schlüssel zur Weltherrschaft: das Heringsfass.
Preisfrage: Welche Stadt ist die hanseatischste – Hamburg, Bremen oder
Braunschweig? Die historisch korrekte Antwort heißt: Braunschweig. Denn
Hamburg und Bremen gehörten im Städtebund zum sächsischen Quartier. Der
Vorort – also die Hauptstadt der Sektion – war unangefochten Braunschweig.
Trotzdem nennt kaum jemand Hitlers zweite Heimat, wenn es darum geht, das
Hanseatische zu bestimmen.
Das macht das Hanseatische als ein Phänomen des Imaginären erkennbar, als
ein gesellschaftliches Konzept, das sich, fern des Faktischen, über ein
weit gehend schweigendes Einverständnis kommuniziert: Es dient dazu,
Machtzirkel zu konstituieren und abzuschotten, es dient der Herstellung von
Exklusivität.
Dieser Charakter zeigt sich an den rein männlichen Sphären zutiefst
hanseatischer Rituale wie der Bremer Eiswette oder dem Schaffermahl. Noch
wirksamer aber arbeitet diese Mechanik in der Frage nach dem, was denn
hanseatisch sei? Denn mit ihr outen sich Fragende als Nichteingeweihte –
die dem Befragten ein Wissensmonopol zutrauen, sich seiner Herrschaft
unterwerfen. Es sind Klassenunterschiede, die bestätigt und legitimiert
oder geheiligt werden, allein schon durch unschuldiges Fragen.
Zehn zu eins, dass sie weder Hamburger Werftarbeitern noch einer Lübecker
Marzipankneterin je gestellt wurde, geschweige denn bremischen
Sozialhilfeempfängern. Arbeiter sind nicht hanseatisch, Arme auch nicht –
und Juden nie, nie, niemals: Es ist nur folgerichtig, dass einer der
entscheidendsten Impulse für einen politischen Judenhass von einem
Spitzen-Hanseaten wie dem Bremer Bürgermeister Johann Smidt ausging. Smidt,
nicht ordinär Schmidt mit „sch“, sondern Smidt, „Sm“. Das tönt viel, …
hanseatischer.
Die Antworten der befragten Putativ-Hanseaten entziehen sich jeder
Überprüfbarkeit. Sie demonstrieren, dadurch, dass sie den Rückbezug auf die
materielle Basis, die Fakten, die Historie nicht nötig haben. Eine derart
frei flottierende Definitorik ist eine reine Sprache der Macht, und in der
Neigung zu ihr, mag, wer will, tatsächlich ein Kontinuum des Hanseatischen
übers Ende der Hanse 1669 hinaus erblicken.
Neben der größeren militärischen Schlagkraft – das Bündnis hat Dänemark,
die Niederlande und England angegriffen und bekriegt – war für die
Hanseaten die Durchsetzung von Normen und Maßen durch geballte Marktmacht
wichtig: Wer das Volumen des Heringfasses bestimmt, gestaltet den Fisch-
und den Fassmarkt. Fass oder „tunne“ ist das Standardbehältnis, der
eiweißreiche Hering der wichtigste Energielieferant bis weit in die
Neuzeit. Das Heringfass ist Tor und Schlüssel zur Weltherrschaft. Nichts
ist so hanseatisch wie ein Heringfass.
Sollen doch alle vom hanseatischen Habitus schwärmen! Nur: Im Klaren
sollten sie sich darüber sein, dass sie einen ideologischen Apparat am
Laufen halten, der dazu dient, ein bestehendes Herrschaftsverhältnis zu
zementieren – und die Schwärmenden als nützliche Stützidioten den Balkon
tragen lässt. Wer da nicht mittun mag, sollte lernen, den Begriff neu zu
entdecken und seine Schimpfwortqualitäten ausprobieren: Verhanst euch,
Hanseaten!
12 Feb 2014
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Hamburg
Bremen
Lübeck
Braunschweig
Lübeck
Weltkulturerbe
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