# taz.de -- Kommentar Ehe für alle: Zum Nachbarn schielen | |
> Das Referendum zur Ehe für alle in Irland hat eine Debatte in Europa | |
> ausgelöst – nun ist auch Deutschland im Zugzwang. | |
Bild: Hier jubelt die europäische Öffentlichkeit über das gewonnene Referend… | |
Im hippen Berlin reibt man sich die Augen und nicht nur da: Ausgerechnet | |
das urkatholische Irland zeigt, wie es geht mit der Gleichberechtigung. | |
Unbehagen macht sich breit. Immerhin hält man sich hier nicht nur für den | |
Nabel Europas, sondern auch für mordsmäßig aufgeklärt. Und jetzt dieses | |
Debakel: CSU/CDU lassen uns Sparweltmeister ordentlich alt aussehen – und | |
auch reaktionär. | |
Die Union nämlich will keine Ehe für alle und konnte sich mit dem Beharren | |
auf dem Sonderstatus für Heteropaare bislang ohne wesentliche Probleme | |
durchsetzen. Doch just das, was bis zum Referendum am Wochenende | |
hierzulande ganz normal wirkte, erscheint nun peinlich aus der Welt | |
gefallen. Selbst die konservative Welt jubelte: „Kulturrevolution“! | |
Die neue Debatte über die Ehe für alle, also dafür, dass | |
gleichgeschlechtliche Paare keine Einschränkungen ihrer partnerschaftlichen | |
Rechte hinnehmen müssen, ist ein schönes Beispiel für eine echte | |
europäische Öffentlichkeit. Wo sonst sämtliche Gesellschaftsthemen stur im | |
nationalstaatlichen Rahmen diskutiert werden, wird auf einmal zum Nachbarn | |
geschielt und darüber Emanzipation zur realpolitischen Option. | |
Wobei: Die Realpolitik will noch nicht. Aber nach der Sommerpause können | |
alle AktivistInnen noch einmal in die Hände spucken. | |
## Bei der Pisa-Studie war es genauso | |
Das letzte Mal, dass die deutsche Seele sich narzisstisch kränken lassen | |
musste und ihre Hausaufgaben dann eben doch machte, das war im Zusammenhang | |
mit einer anderen heiligen Kuh: der Bildung. Die Pisa-Studie zeigte, dass | |
die Kinder im Land der Dichter und Denker vergleichsweise schlecht lesen | |
können. Auch das hatte man sich bis dahin nicht vorstellen können. Und also | |
wurde nachjustiert. | |
Und genau so muss es weiterlaufen. In einer gelebten (und nicht nur | |
behaupteten) europäischen Öffentlichkeit werden nicht mehr nur Nachrichten | |
über die Erfolge der Rechtspopulisten ausgetauscht, sondern auch | |
Etappensiege von emanzipativen Bewegungen. Das wiederum treibt den | |
symbolischen Preis für retardierte Gesetzgebungen und Haltungen in die | |
Höhe. | |
Seit Irland nämlich lässt sich nicht mehr behaupten: Wo die katholische | |
Kirche stark ist, gibt es keine Gleichberechtigung für Homosexuelle. Wenn | |
Italien und Polen nicht beidrehen, geht das auf ihr nationales Konto. | |
Ja klar, nur weil ein winziges Land wie Irland überraschend abgestimmt hat, | |
wird sich nicht das ganze große alte Europa zeitgemäßen Lebensformen | |
zuwenden. Die Rechten werden nicht einfach ihre Aktentasche zuklappen und | |
das Feld räumen. Im Gegenteil, die Polarisierung bei lebensweltliche Themen | |
wie Sexualität, Migration und dem Umgang mit Kindern dürfte sich weiter | |
verschärfen. | |
## Neue Möglichkeitsfenster | |
Aber sei’s drum. Jedes Beispiel, das in Richtung emanzipiertes Europa | |
weist, öffnet ein Möglichkeitsfenster. Bislang wissen die jeweiligen | |
Öffentlichkeiten viel zu wenig von sinnvollen (Gesetzes-)Initiativen und | |
Referenden, die zu kopieren im eigenen Land vielversprechend wäre. Hier | |
gilt es dazuzulernen. Nicht zuletzt seitens vieler Medien, die in erster | |
Linie nationalstaatlich arbeiten und europäische Vergleiche scheuen. | |
Die nächste Gelegenheit für etwas mehr europäische Öffentlichkeit dürfte | |
Spanien bieten. Dort finden Ende des Jahres (der Termin steht noch nicht | |
fest) Wahlen statt. Es besteht die Chance, dass sich die | |
Anti-Austeritäts-Bewegung Podemos durchsetzt. Auch das könnte sich | |
wohltuend auf die visionslosen Besserwisser in Berlin auswirken. | |
27 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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