# taz.de -- Kommentar Revolution in Ägypten: Wo Bush recht hatte | |
> Muss das Urteil über den Ex-US-Präsidenten George W. Bush revidiert | |
> werden? Die arabische Revolte bestätigt die Programmatik der | |
> Neokonservativen. | |
Die Sache schien längst ausgemacht: George W. Bush und die Seinigen sind im | |
Nahen Osten kolossal gescheitert: Die Verbreitung der Menschenrechte? | |
Misshandelt in Abu Ghraib. Die Demokratisierung der Region? Begraben unter | |
einem Berg von Wikileaks-Dokumenten. Das Urteil der Geschichte? Vollstreckt | |
mit einem Schuh. | |
Nach den revolutionären Erhebungen in Tunesien und in Ägypten aber stellt | |
sich die Frage erneut: Lagen die Bush-Regierung und ihre neokonservativen | |
Souffleure - ungeachtet etwaiger sonstiger Motive - richtig, als sie einen | |
regime change propagierten? Dürfen sie sich nun in ihrer Überzeugung | |
bestätigt fühlen, dass die meisten Menschen auch im Nahen Osten nichts | |
anderes wollen als ein besseres und freieres Leben? Erscheint ihre | |
Zuversicht, ein Regimewechsel in einem arabischen Land würde auf die Region | |
ausstrahlen, nicht plötzlich plausibel? | |
Und sind die atemberaubenden Entwicklungen umgekehrt keine Ohrfeige für | |
alle, die aus Eigennutz, Einfältigkeit oder Feigheit jede Arschkriecherei | |
zum "kritischen Dialog" verklärten? Strafen sie nicht diejenigen Lügen, die | |
mit der Ablehnung ihres bewaffneten Exports auch bezweifelten, ob | |
Demokratie im Nahen Osten machbar und erwünscht wäre? | |
Einen Peter Scholl-Latour etwa, der nimmermüde behauptete, dass "andere | |
Kulturen und Kulturvölker auch in anderen politischen Strukturen leben | |
wollen", was nur heißen konnte: "Der Araber" ("der Muslim") will gar nicht | |
anders leben als unterjocht von selbstgefälligen Potentaten, bevormundet | |
von einer archaischen Moral und, sofern nicht aus Ölmonarchien stammend, | |
verdonnert zu Kichererbsen und Fladenbrot. | |
Der Idealismus der Neocons | |
Das Programm der Neokonservativen war ein anderes. Ein Jahrzehnt nach dem | |
vermeintlichen "Ende der Geschichte" war es ausgerechnet ein frömmelnder | |
US-Präsident, der daran erinnerte, dass Befreiung möglich ist, man sich im | |
Kampf gegen mörderische Diktaturen aber nicht auf Sitzblockaden verlassen | |
kann. An die Adresse autoritärer Regime in aller Welt formulierte er: | |
"Alle, die in Tyrannei und Hoffnungslosigkeit leben, sollen wissen: Die | |
Vereinigten Staaten werden eure Unterdrückung oder die Ausflüchte eurer | |
Unterdrücker nicht hinnehmen." | |
Doch gerechtfertigt wurde der Irakkrieg nicht allein mit derlei | |
revolutionärem bürgerlichem Idealismus, sondern auch mit Argumenten, die | |
sich als kontraproduktiv erweisen sollten: dem Wort vom "Kreuzzug", das | |
Bush ein fatales Mal benutzte; dem Verweis auf Massenvernichtungswaffen, | |
die es nicht gab; der Behauptung, der Irak sei das Al-Qaida-Territorium, zu | |
dem ihn erst die US-Armee unfreiwillig machte. | |
Hinzu kamen die vielen haarsträubenden Fehler, die Amerikaner und Briten | |
nach dem Sturz des Regimes begingen, die dem ohnehin schwierigen | |
Unterfangen, Befreiung von außen zu erzwingen, den Rest gaben und deren | |
Folgen der Irak erst allmählich überwindet. | |
Rice' rotznäsige Rede in Kairo | |
Dennoch: Wer sich heute über die Unterstützung des Westens für einen | |
Mubarak oder einen Ben Ali - die neben Saddam Hussein trotz allem wie | |
Klosterschüler anmuten - empört, sei daran erinnert, dass es die damalige | |
US-Außenministerin Condoleezza Rice war, die die schärfste Kritik | |
formulierte, die sich Mubarak jemals in aller Öffentlichkeit anhören | |
musste. | |
Im Juni 2005 sprach sie an der Amerikanischen Universität in Kairo - dort, | |
wo Barack Obama vier Jahre später seine wohltemperierte Rede halten sollte | |
- in fast rotznäsiger Weise von willkürlichen Verhaftungen und | |
niedergeprügelten Demonstranten, um selbstkritisch hinzuzufügen: "60 Jahre | |
lang haben die Vereinigten Staaten in dieser Region Stabilität auf Kosten | |
der Demokratie verfolgt - und weder das eine noch das andere erreicht. | |
Jetzt schlagen wir einen anderen Kurs ein. Wir unterstützen die | |
demokratischen Bestrebungen aller Völker." | |
Blöd war nur: Rice sprach zu einem Verbündeten. Noch blöder war: Auf diese | |
Worte folgten keine entsprechenden Taten. Stattdessen setzten die USA ihre | |
Kumpanei mit den Machthabern in Ägypten, Pakistan oder Saudi-Arabien fort | |
und verfestigten diese unter dem Eindruck des Irakkriegs noch. Das aber | |
erschütterte, was für eine an moralischen Prinzipien orientierte Politik | |
unverzichtbar gewesen wäre: ihre Glaubwürdigkeit. | |
Zu den Folgen zählte, dass man den zivilen, demokratischen Bewegungen in | |
der Region keine nennenswerte Unterstützung zuteil werden ließ. Selbst das | |
einzige arabische Land, das in diesem Jahrzehnt einen demokratischen | |
Aufbruch erlebt hatte, der Libanon, wurde im Stich gelassen - beim Krieg | |
Israels gegen die Hisbollah, erst recht beim Wiederaufbau, den stattdessen | |
Syrien und der Iran übernahmen. | |
Das Scheitern der Bush-Doktrin | |
Ihre finale Niederlage aber erfuhr die Bush-Regierung andernorts: in | |
Palästina. Aber nicht weil sie mit dem Konsens brach, dass ohne eine Lösung | |
des israelisch-palästinensischen Konflikts kein Fortschritt zu haben sei, | |
sondern als sie sich weigerte, den Sieg der Hamas bei der Wahl vom Januar | |
2006 anzuerkennen. Nun gab es gute Gründe, zu zweifeln, ob sich die Hamas | |
im Innern Demokratie und Menschenrechten und nach außen einer Politik des | |
Ausgleichs verpflichtet fühlen würde. Aber sie bekam nicht einmal die | |
Chance dazu. | |
Von Marokko bis Pakistan musste man daraus schlussfolgern: Eine Wahl ist | |
nur dann demokratisch, wenn das Resultat den Amerikanern gefällt. Im Januar | |
2007 reiste Rice abermals an den Nil, wo sie die "strategische | |
Partnerschaft mit Ägypten" lobte - ein Eingeständnis des Scheiterns und | |
auch rhetorisch eine Rückkehr zur altbekannten Politik. | |
Womöglich ist es eine List der Geschichte, dass die Erhebungen, die sich | |
die Neocons erträumt hatten, bislang nur in den von der westlichen Welt | |
protegierten Ländern die Machtfrage stellen konnten. Das macht George W. | |
Bush nicht, wie dessen früherer Nahostberater Elliott Abrams kürzlich | |
triumphierte, zum Spiritus Rector der Aufständischen. | |
Für den Moment könnte man sagen: So, wie sie die Rhetorik der | |
Bush-Regierung bestätigen, falsifizieren sie deren reale Politik. Aber die | |
Entwicklungen zeigen: Für ein abschließendes und restlos vernichtendes | |
Urteil über die Nahostpolitik der Bush-Regierung war es zu früh. | |
11 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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George W. Bush | |
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