# taz.de -- Begeisterung in Syrien: Hoffnung auf Reformen | |
> Die arabischen Revolutionen lösen Begeisterung aus. Die einen wittern | |
> hinter Protestaufrufen den Arm des Regimes, andere setzen auf dessen | |
> Willen zur Veränderung. | |
Bild: Präsident Baschar al-Assad meint, die syrische Führung habe einen sehr … | |
DAMASKUS taz | Wie ein Lauffeuer hat sich die Meldung von einer spontanen | |
Demonstration aufgebrachter Menschen in Hariqa, einem Platz im Zentrum von | |
Damaskus, und ein Video über die Vorgänge verbreitet. Zunächst tauchten die | |
Bilder in einigen Blogs auf, dann auf internationalen Nachrichtenwebsites. | |
Dem Video zufolge riefen die Demonstranten "Das syrische Volk lässt sich | |
nicht demütigen". Anlass des Protests soll gewesen sein, dass Polizisten | |
einen jungen Mann zusammenschlugen. Daraufhin kam es zu einer | |
Menschenansammlung. | |
Vielleicht widerlegt diese kleine Begebenheit doch die Selbsteinschätzung | |
von Präsidenten Baschar al-Assad, die er Ende Januar im Wall Street Journal | |
äußerte. Die syrische Führung habe, im Gegensatz zu jenen in anderen | |
arabischen Ländern, einen viel engeren Kontakt zum Volk, sagte er. Daher | |
glaube er nicht, dass es zu einem Aufstand kommt. | |
Wie um diese These zu untermauern, bemüht sich der Präsident, sich | |
volksnahe zu zeigen. Am Geburtstag des Propheten nahm er nach dem Gebet in | |
der Omayyaden-Moschee ein Bad in der Menge und unterhielt sich mit einer | |
alten Frau, wie staatliche Medien berichteten. | |
Auf den ersten Blick scheint der Vorfall in Hariqa ein Einzelfall zu sein. | |
Der Aufruf zu einem "Tag des Zornes" Anfang Februar blieb weitgehend | |
ungehört. Viele Syrer hielten ihn für eine Falle oder einen "Test" der | |
Behörden. Ein Blogger schrieb: "Ebenso wie die Syrer es leid sind, in | |
verfälschten Märschen ihre Loyalität für den Präsidenten zeigen zu müssen, | |
halten sie nicht viel von verfälschten Aufrufen zu Demonstrationen des | |
Zornes." | |
Feiern im privaten Kreis | |
Doch quer durch alle Bevölkerungsschichten herrschte eine grenzenlose | |
Freude über den Fall der Diktaturen in Tunesien und Ägypten. Die Feiern | |
mussten jedoch im privaten Rahmen stattfinden - aus Angst vor Scherereien | |
mit den Sicherheitskräften. Spricht man mit Regimekritikern in Damaskus, | |
werden die zahlreichen Unterschiede zu Tunesien und Ägypten ins Feld | |
geführt: Die absolute Loyalität der syrischen Armee zu den Machthabern, die | |
bedeutungslose Rolle der Gewerkschaft oder die konfessionelle | |
Zusammensetzung des Landes. | |
Die Bevölkerung setzt sich aus einer sunnitischen Mehrheit und Minderheiten | |
von Christen, Alawiten und anderen religiöse Gruppen zusammen. Ein | |
ehemaliger politischer Gefangener, der viele Jahre wegen seiner | |
Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei in Haft saß, geht noch weiter | |
und meint, dass die Syrer wegen dieser konfessionellen Zusammensetzung | |
Angst voreinander hätten, was eine Vernetzung verhindere und gemeinsames | |
Handeln erschwere. | |
Hoffnung auf al-Assad | |
Andererseits sind die Gemeinsamkeiten mit den Protestierenden in anderen | |
arabischen Ländern nicht von der Hand zu weisen. Die Forderungen nach Würde | |
und Bürgerrechten würden wohl die meisten Syrer unterschreiben. Aber viele | |
hoffen auf Veränderungen von oben. Nach elf Jahren im Amt genießt der | |
45-jährige al-Assad noch eine erstaunliche Popularität. Bis jetzt hat er | |
sich zwar nur in Interviews und Reden zu politischen Reformen bereit | |
erklärt, ernsthafte Schritte erfolgten nicht. Gleichzeitig ging er hart | |
gegen jegliche Regung der Zivilgesellschaft vor. Trotzdem glauben viele an | |
sein Reformprojekt. | |
Mazen Darwish, Leiter des Syrischen Zentrums für Medien und | |
Meinungsfreiheit SCM, ist überzeugt, dass dass die politische Lage in der | |
Region und innere Widerstände bisher eine Öffnung verhindert haben. Sein | |
Zentrum wurde von den Behörden 2009 geschlossen, Darwish darf nicht | |
ausreisen und muss sich regelmäßig beim Geheimdienst melden. Er geht davon | |
aus, dass die Sicherheitsapparate versuchen, ihre Interessen zu schützen | |
und gegen jede Veränderung seien. | |
Der 35-jährige Anwalt ist überzeugt, dass al-Assad jetzt unter Zugzwang | |
steht: "Der Ball liegt im Spielfeld des Regimes. Es gibt keine Möglichkeit | |
oder die Zeit mehr, weiter zu experimentieren." Finanzielle Unterstützung | |
für die Ärmsten und die Senkung der Einfuhrzölle für einige Lebensmittel | |
reichten nicht aus. | |
Das erste kleine Signal seitens der Regierung, die Sperrung von Facebook | |
und anderen Websites aufzuheben, hat unterschiedliche Reaktionen | |
hervorgerufen. Einige sehen darin ein Fünkchen Hoffnung, andere nur eine | |
weitere Möglichkeit des Staates, die Nutzer besser kontrollieren zu können. | |
21 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Mona Naggar | |
## TAGS | |
George W. Bush | |
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