# taz.de -- Revolution in Libyen: Ein Land im Aufruhr | |
> Es scheint wenig zu helfen. Obwohl der Gaddafi-Sohn eine Ansprache hält, | |
> die beschwichtigen soll, taucht sein Vater unter. Diplomaten, Stämme und | |
> Militärs wechseln die Seite. | |
Bild: Ein Bild aus Libyen, ausgestrahlt vom TV-Sender "Al-Arabija". | |
Das libysche Regime ist in die Ecke gedrängt und reagiert brutal: Eine | |
Verzweiflungsrede Seif al-Islam Gaddafis, der anstelle seines abgetauchten | |
Vaters, des Revolutionsführers Muammar Gaddafi, im staatlichen Fernsehen | |
spricht. Ein Aufstand, der sich nicht mehr nur im Osten des Landes | |
abspielt, sondern inzwischen die Hauptstadt Tripolis erreicht hat. Ein | |
Militär, das im Osten des Landes zu den Aufständischen überläuft, und | |
Stammesführer, die Gaddafi öffentlich die Gefolgschaft verweigern. | |
Nach konservativen Schätzungen der internationalen | |
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch waren bis Sonntag mindestens | |
233 Menschen in Libyen umgekommen. Die Zahl basiert auf Gesprächen mit nur | |
zwei Krankenhäusern in Bengasi, Libyens zweitgrößter Stadt. Allein in der | |
Nacht von Sonntag auf Montag sollen nach Schätzungen aus Krankenhäusern in | |
Tripolis laut dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira noch einmal | |
mindestens 61 Menschen getötet worden sein. | |
"Das libysche Regime hat aus der ägyptischen und tunesischen Erfahrung | |
gelernt, nicht zu zögern, ein blutiges Massaker anzurichten, um seinen | |
Sturz zu verhindern. Das ist der Grund, warum es alle ihm zur Verfügung | |
stehenden Mittel einsetzt", schreibt die überregionale arabische | |
Tageszeitung al-Quds al-Arabi. | |
Noch in der Nacht zum Montag hatte Seif al-Islam Gaddafi eine lange und | |
doch kryptische Rede gehalten. Die erste Auffälligkeit: Der | |
Revolutionsführer selbst hat sich nicht zu Wort gemeldet. Dafür aber sein | |
Sohn, der schon seit Jahren als der Nachfolger Muammar Gaddafis gehandelt | |
wird und der sich ähnlich wie Mubaraks Sohn Gamal gerne als Reformer | |
verkauft. Seine Rede bestand aus einer Mischung aus wüsten Drohungen und | |
Reformversprechen. "Wir werden bis zur letzten Minute und bis zur letzten | |
Patrone kämpfen", kündigte er an. Und erklärte den Aufstand als von außen | |
gesteuert und die Anzahl der Toten als von den Medien übertrieben. | |
Andererseits gab er sich beschwichtigend und räumte ein, dass sich die | |
Armee falsch verhalten habe, weil sie für so eine Situation nicht geschult | |
sei. Und er versprach eine "historische nationale" Reforminitiative, die | |
bereits am Montag vom Parlament ausgearbeitet werden sollte. Auch die | |
Verfassung soll umgeschrieben werden. Das Problem: Am Montag kamen die | |
ersten Meldungen, das Parlament in Tripolis stehe in Flammen. Der Aufstand | |
hatte die Hauptstadt erreicht. | |
Während das Regime darum kämpft, die Kontrolle in der Hauptstadt zu | |
behalten, mehrten sich die Meldungen, dass die im Osten des Landes liegende | |
Stadt Bengasi sich bereits in der Hand der Aufständischen befinde. Dort | |
soll auch nach Augenzeugenberichten eine ganze Armeeeinheit namens | |
"Donnerschlag" zu den Aufständischen übergelaufen sein. Ein Chirurg, Habib | |
al-Obaidi, des lokalen Al-Dschalaa-Krankenhauses berichtete gegenüber der | |
arabischen Fernsehstation al-Dschasira von 50 Toten und 200 Verletzten | |
allein in seinem Krankenhaus. Einige Verletzte waren von Soldaten | |
eingeliefert worden. | |
Auch die Gefolgschaft der Stämme, auf deren Loyalität Gaddafi seine Macht | |
aufbaut, scheint zu bröckeln. Faraj al-Zuway, der Chef des Zawwaya-Clans im | |
Osten des Landes, hat gedroht, den Ölexport innerhalb von 24 Stunden zu | |
stoppen, wenn die Gewalt gegen die Demonstranten nicht aufhört. Akram | |
al-Warfalli, einer der Chefs des Al-Warfalla-Stammes - einer der größten | |
Clans in Libyen -, hat öffentlich erklärt, dass Gaddafi nicht mehr der | |
Bruder des Stammes sei und das Land verlassen solle. Einige Stammesführer | |
sollen sich verabredet haben, um am Montagabend mit ihren Anhängern in | |
Richtung Hauptstadt zu marschieren. | |
Einer der Gründe für den libyschen Aufstand ist auch die grassierende | |
Korruption im Land. Die libysche Online-Zeitung al-Watan al-Libya beschrieb | |
unlängst die verschiedenen Formen der Korruption: Verbreitet ist die | |
"Schleck deine Finger ab"-Methode. Der Austausch von Dienstleistungen je | |
nach Einflussbereich: Du verschaffst mir ein Bett im Krankenhaus, im | |
Gegenzug erledigst du meine Autopapiere. | |
Oft anzutreffen ist auch die "Essen und lass andere mitessen"-Methode. Ein | |
höherer Beamter oder Chef eines staatlichen Betriebes lässt von seinen | |
Untergebenen Bestechungsgelder einsammeln. Er steckt einen großen Teil ein, | |
verteilt aber auch einen Teil nach unten weiter. Dann gibt es noch die | |
"Kawasheek"-Methode. Dabei geht es um die Veruntreuung von Geldern in den | |
Volkskomitees, wenn etwa für imaginäre Verträge staatliche Gelder abgezogen | |
werden. Und schließlich die "fetten Katzen": hohe Regierungsbeamte oder | |
Sekretäre der Volkskomitees, ohne die kein lukratives Geschäft vonstatten | |
geht. | |
Ein weiteres Zeichen, dass sich das libysche Regime seinem Ende nähert, ist | |
die Tatsache, dass die ersten libyschen Diplomaten bereits ihr Fähnchen mit | |
dem Wind drehen. Der libysche Botschafter bei der Arabischen Liga in Kairo, | |
Abdel Moneim al-Honi, hat verkündet, er nehme fortan an der Revolution | |
teil. Seitdem war er telefonisch nicht mehr zu erreichen. Auch der libysche | |
Botschafter in Indien, Ali al-Essawi, ist aus Protest gegen die Gewalt | |
gegen die Demonstranten von seinem Amt zurückgetreten. | |
21 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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