# taz.de -- Libyens Staatschef spricht nach Unruhen: Gaddafi unterm Schirm | |
> Skurril bis zuletzt: Der libysche Staatschef Gaddafi hat sich erstmals | |
> seit Beginn der Unruhen in seinem Land zu Wort gemeldet - aus einem alten | |
> Auto und mit Regenschirm. | |
Bild: "Ich bin in Tripolis und nicht in Venezuela", spricht der libysche Staats… | |
TRIPOLIS/ISTANBUL dpa | Der libysche Staatschef Gaddafi trat in der Nacht | |
zum Dienstag offensichtlich Gerüchten entgegen, er habe Libyen verlassen | |
und meldete sich erstmals seit Beginn der Unruhen in seinem Land zu Wort: | |
"Ich wollte mit den jungen Leuten auf dem Grünen Platz (in der Innenstadt | |
von Tripolis) reden und mit ihnen die Nacht verbringen, doch dann kam der | |
gute Regen. Hiermit zeige ich: Ich bin in Tripolis und nicht in Venezuela. | |
Hört nicht auf die Ansagen der streunenden Hunde!" | |
Während der nur wenige Sekunden langen Aufnahme, die wie ein Comedy-Sketch | |
wirkt, hält Gaddafi einen geöffneten Regenschirm über sich. Er sitzt in | |
einem alten beigen Auto, die Tür ist geöffnet, ein Mitarbeiter hält ihm ein | |
Mikrofon hin, in das er hineinmurmelt. Er habe mit den Jugendlichen auf dem | |
Grünen Platz in Tripolis reden wollen, aber dann habe es angefangen zu | |
regnen, zitiert der arabische Sender Al-Dschasira aus der kurzen Rede. | |
Unterdessen setzen sich immer mehr Verbündete von Gaddafi ab. Nachdem am | |
Montag zahlreiche libysche Diplomaten aus Protest gegen den Einsatz von | |
Gewalt gegen Demonstranten ihren Rücktritt erklärt hatten, sagen sich nun | |
nach Angaben der Opposition auch immer mehr Stämme von ihm los. In der | |
Nacht zum Dienstag riet ihm auch sein ehemaliger Vertrauter Nuri al-Mismari | |
dazu, den Kampf gegen die Aufständischen aufzugeben. "Du siehst doch, dass | |
dich das Volk nicht will, nun geh doch endlich", sagte er im arabischen | |
TV-Sender Al-Dschasira. Al-Mismari, der Gaddafi viele Jahre lang wie ein | |
Schatten überall hin begleitet hatte, hatte sich im vergangenen Jahr nach | |
einer "Palastintrige" nach Frankreich abgesetzt. | |
Die staatliche libysche Nachrichtenagentur Jana sendet schon seit etlichen | |
Stunden keine Nachrichten mehr. Der Strom der verwackelten Video-Bilder aus | |
Libyen, die Oppositionelle in den vergangenen Tagen ins Netz gestellt | |
hatten, ist weitgehend versiegt, nachdem Telefonverbindungen gekappt worden | |
waren. Bei dem Versuch, die Proteste niederzuschlagen, hatten | |
Sicherheitskräfte nach Medienberichten allein am Montag mehr als 150 | |
Menschen getötet. | |
In Bengasi sollen etwa 400 Menschen ums Leben gekommen sein. Nachprüfbare | |
Angaben über die Zahl der Todesopfer gibt es nicht. Die Lage in Libyen ruft | |
den UN-Sicherheitsrat auf den Plan. Das höchste Gremien der Vereinten | |
Nationen kommt am Dienstag zu einer Sitzung hinter verschlossenen Türen | |
zusammen. Das teilten die Vereinten Nationen in der Nacht mit. Das Treffen | |
soll um 9.00 Uhr beginnen. Ein Transportflugzeug des österreichischen | |
Bundesheeres flog in der Nacht 62 EU-Bürger aus Libyen aus. | |
Die Maschine ist mit Stunden Verspätung gegen Mitternacht in Malta | |
gelandet. Von den 62 Passagieren waren neun Österreicher, einige Deutsche, | |
Franzosen und Niederländer. Auch sieben Kinder waren an Bord. Der Abflug | |
hatte sich immer wieder verzögert, da die Passagiere, vorwiegend | |
Geschäftsleute, nicht zum Flugzeug vorgelassen wurden. Zuletzt hatte es aus | |
dem Verteidigungsministerium geheißen, der gesamte Luftraum sei gesperrt. | |
Über Tripolis donnerten am Montagabend nach Augenzeugenberichten | |
Kampfflieger hinweg. Scharfschützen bezogen auf Dächern Stellung, offenbar | |
um Regierungsgegner von außerhalb davon abzuhalten, sich den immer | |
massiveren Protesten gegen Gaddafi anzuschließen. Das Staatsfernsehen | |
berichtete, das Militär habe "die Verstecke der Saboteure" gestürmt. Die | |
Kommunikationsverbindungen in die Stadt war unterbrochen, und auch | |
Handyanrufe nach Libyen waren vom Ausland aus unmöglich. | |
Das Parlament stand in Flammen. Das Regime drohte seinen Gegnern, die | |
inzwischen offenbar die zweitgrößte Stadt Bengasi kontrollieren, mit einem | |
"Kampf bis zum letzten Mann".Nach einem Al Dschasira-Bericht griff am | |
Montagabend das Militär einen riesigen Demonstrationszug in der Hauptstadt | |
Tripolis mit Flugzeugen an. | |
Auch scharfe Munition werde eingesetzt, meldete der Sender unter Berufung | |
auf Informanten. Eine Augenzeugin berichtete über Satellitentelefon von | |
einem Massaker unter den Demonstranten in Tripolis. | |
22 Feb 2011 | |
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