# taz.de -- Kommentar Aufstände in Arabien: Sieg der Sitzblockade | |
> Auch wenn es seine neokonservativen Apologeten behaupten: George W. Bush | |
> ist nicht der geistige Vater der arabischen Demokratiebewegung. | |
Bild: Ob ihm die Herzen der Menschen zuflogen, bleibt umstritten. Bei den Schuh… | |
Muss die Geschichte der Bush-Ära neu geschrieben werden? Mit Blick auf die | |
Revolten in Tunesien und Ägypten forderte [1][Deniz Yücel in der taz] | |
Gerechtigkeit für den Expräsidenten ein. Er griff damit eine Debatte auf, | |
die in den USA angestoßen wurde. Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld | |
behauptet sogar, die "Freedom Agenda" seines einstigen Dienstherrn habe der | |
arabischen Demokratiebewegung den Weg geebnet. Und andere fragen: habe | |
nicht Bush damit aufgeräumt, dass sich die USA Stabilität im Nahen Osten | |
viel zu oft auf Kosten der Freiheit erkauft hätten? | |
Das ist aber bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn die Ideen der | |
Neokonservativen, wie sie in diversen Think Tanks erdacht, im "Project for | |
the New American Century" formuliert wurden und die Politik der Bush-Jahre | |
prägten, gingen weit über das uramerikanische Credo hinaus, die Demokratie | |
weltweit zu fördern - basierend auf der richtigen Einsicht, dass | |
Unterdrückung bloß Terror und Gewalt nährt. | |
Zu ihrem Programm gehörte auch die Überzeugung, dass zur Wahrung | |
amerikanischer Interessen jedes Mittel recht sei - bis hin zum präventiven | |
Angriffskrieg gegen "Schurkenstaaten", mit der die Neocons den Boden des | |
Völkerrechts verließen. | |
Hinzu kam ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken, das in Bushs Rede von der | |
"Achse des Bösen" kulminierte, sowie ein "Safety First", das die Sicherheit | |
der USA über alles stellte und die scharfen "Homeland-Security"-Gesetze, | |
Guantánamo und Folter mutmaßlicher Staatsfeinde erlaubte. Und nicht zuletzt | |
der Glaube an die segnende Kraft von entfesseltem Kapitalismus und | |
Deregulierung, der geradewegs in die Finanzkrise führte. | |
Imperiales Testfeld Irak | |
Naiv wäre es zu glauben, dass es der Bush-Regierung vor allem um die | |
Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten gegangen wäre, als sie ihren | |
Krieg gegen den Irak vom Zaun brach. Schlimme Diktatoren gab es auch | |
anderswo, in Nordkorea oder Simbabwe. Und hätte sie wirklich die Ursachen | |
beseitigen wollen, die zum Terror des 11. Septembers geführt hatten, dann | |
hätte sie auf Reformen in Ägypten und Saudi-Arabien dringen müssen. Denn | |
von dort - nicht aus dem Irak, dem Iran oder Palästina - kamen die meisten | |
Attentäter vom 11. 9. | |
Nein, für den Irakkrieg gaben imperiale Gründe und geostrategische wie | |
wirtschaftliche Interessen - ja, Öl - den Ausschlag. Eher nebenbei wurde | |
der Irak dann zum Testfeld für die neokonservative These erklärt, man könne | |
Demokratie durch Einmarsch und Besatzung quasi herbeibomben. Diese Hybris | |
kostete über 100.000 Menschen, überwiegend Iraker, das Leben und führte der | |
Welt den Wert von Stabilität deutlich vor Augen. | |
Dass sich die USA für diesen Krieg auf willige Diktatoren in Pakistan, | |
Ägypten und Zentralasien stützten, ließ ihre Rhetorik von "Freiheit und | |
Demokratie" umso hohler klingen. George W. Bush unterschied fein säuberlich | |
zwischen "moderaten" und "radikalen" Regimes. Als "moderat" galten ihm die | |
Diktaturen in Tunesien, Ägypten oder gar das fundamentalistische | |
Saudi-Arabien. Als "radikal" dagegen stufte er den Iran, Syrien oder die | |
palästinensische Hamas ein. Nicht, weil die autoritärer als Mubarak, Ben | |
Ali und Co waren. Sondern weil sie sich gegen den Westen stellten. | |
Echo des Antikommunismus | |
So, wie im Kalten Krieg und unter Ronald Reagan der Kommunismus als | |
Weltfeind und die Sowjetunion als "Reich des Bösen" galten, malten die | |
Neokonservativen nach 9/11 den Islamismus als die totalitäre Gefahr an die | |
Wand. Und so, wie sie ihr Antikommunismus einst Foltergeneräle und | |
Todesschwadronen in Südamerika sponsern ließ, war ihnen selbst gegen | |
moderate Islamisten jedes Mittel recht. | |
Jahrelang zeigte die Bush-Regierung mit dem Finger auf den Iran, China oder | |
den Sudan, um Menschenrechtsverletzungen dort anzuprangern. Das war nicht | |
falsch. Falsch war nur, dass man nicht ebenso kritisch den eigenen | |
Verbündeten auf die Finger schaute, was diese mit den Waffen und dem vielen | |
Geld, das in ihre Taschen floss, so anstellten. Donald Rumsfeld lobte | |
Tunesien im Februar 2006 gar als lupenreine Demokratie. Und Dick Cheney | |
nannte Husni Mubarak noch im Februar einen "Freund". | |
Besonders schwer zu ertragen ist die bigotte Selbstgerechtigkeit jener | |
Politiker und Publizisten, die mit dem Argument, dort müssten die | |
Menschenrechte verteidigt werden, bis vor Kurzem selbst einem Angriff auf | |
den Iran das Wort geredet hätten, nun aber der arabischen | |
Demokratiebewegung misstrauen. Sie warnen vor einem "Kalifat" der | |
Muslimbruderschaft ("Tea Party"-Frontmann Glenn Beck) oder setzen, wie der | |
Kolumnist Charles Krauthammer, ihre Hoffnungen auf das ägyptische Militär. | |
Diese Doppelmoral hat die westliche Rhetorik von Freiheit und | |
Menschenrechten als Gerede diskreditiert - und der arabischen | |
Demokratiebewegung mehr geschadet als genützt. | |
Weltordnung in Trümmern | |
Auch wenn bei den Demonstrationen in Kairo keine israelischen und | |
amerikanischen Fahnen brannten, sollte man sich keine Illusionen machen: | |
Ein Teil der Wut auf Mubarak und seinen kleptokratischen Clan geht auch | |
darauf zurück, dass viele Ägypter den Eindruck hatten, ihr Präsident habe | |
sich von den USA kaufen lassen. Dass ausgerechnet Israels Regierung bis | |
zuletzt offen Sympathien für Mubarak zeigte, kam insofern einem Todeskuss | |
gleich. | |
Heute liegt die Weltordnung der Bush-Jahre in Trümmern. Seine einstigen | |
Verbündeten in Ägypten und Tunesien sind gestürzt. Im Libanon regiert ein | |
Präsident der Hisbollah, im Irak ein Präsident von Gnaden des Iran. In den | |
Palästinensergebieten steht das säkulare Fatah-Regime, auf das Bush gegen | |
die Hamas gesetzt hatte, vor dem Offenbarungseid, Israel ist isoliert. Und | |
die Demonstranten vom Tahrir-Platz in Kairo haben gezeigt, dass man mit | |
Sitzblockaden manchmal mehr erreichen kann, als es die größte Militärmacht | |
der Welt mit all ihrer Kraft vermochte. | |
"Wir hatten die besten Absichten", sagte einer der Godfather des | |
Neokonservatismus, Richard Perle. Aber der Weg in die Hölle ist mit solchen | |
guten Absichten gepflastert. Höchste Zeit also, die Ideologie der | |
Neokonservativen endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. | |
18 Feb 2011 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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George W. Bush | |
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