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# taz.de -- Proteste in Iran: Die Twitter-Revolution erwacht wieder
> Aus dem Iran gibt es keine Live-Berichterstattung, der Zugang zum
> Internet ist erschwert. Dennoch mobilisiert die Opposition erneut und
> diskutiert im Netz.
Bild: Schon 65.000 Menschen unterstützen das Profil "25 Bahman" (14. Februar) …
Unter dem Motto „Warnung an den Diktator“ hat die Opposition in Iran für
Sonntag, 20. Februar, im Internet zu neuen Protesten aufgerufen. Radio und
Fernsehen sind fest in den Händen der Hardliner und die meisten
reformorientierten Zeitungen sind verboten. Das Internet ist zwar schwer
zugänglich, die Übertragungsgeschwindigkeit wird im Land häufig als
„quälend“ beschrieben, viele Seiten sind gefiltert und soziale Netzwerke
wie Facebook und Co sind verboten. Für die Opposition bleibt es dennoch das
letzte Medium, um die Öffentlichkeit anzusprechen.
Um die Internet-Sperren zu umgehen werden seit Monaten Proxyserver und
Antifilterprogramme im Ausland bereitgestellt, deren Zugänge im Land per
SMS und Mund-zu-Mund verbreitet werden.
Dass dadurch eine Mobilisierung übers Netz gelingt, hat sich am Montag, den
14. Februar (25 Bahman im iranischen Kalender), gezeigt: Tausende
Demonstranten gingen auf die Straße, um gegen das Regime zu protestieren –
als Solidaritätskundgebung mit dem tunesischen und dem ägyptischen Volk.
Die nach dem Aufruf auf Facebook erstellte Seite „25 Bahman“ hatte
innerhalb weniger Tage über 60 Tausend Mitglieder: „Wir haben weniger als
eine Woche bis zur Demo, jeder von euch ist jetzt ein Medium“ war das Motto
zur Verbreitung des Aufrufs zum „iranischen Tag des Zorns“.
Ungeachtet dessen, dass von offizieller Seite keine Genehmigung erfolgte,
verbreitete sich die Nachricht in Windeseile auf Twitter, Facebook,
Friendfeed, Google Reader, Balatarin und vielen weiteren (News-) Seiten.
Etliche Blogs stellten die Plakate und Flyer mit Marschrouten und Zeiten
auf ihre Seiten, die ebenso schnell verlinkt wurden.
In den folgenden Tagen wurde die unter Iranern beliebte Seite Baltarin so
stark angefragt, dass die Server nicht mithalten konnten: „Vielleicht
werden wir auch vom Geheimdienst attackiert“, schrieb der Betreiber Mehdi
Yahyanejad in Kalifornien. Die auf Balatarin ‚geposteten‘ Links und
Kurznachrichten können von Nutzern bewertet werden. Je mehr positive
Bewertungen ein Beitrag erhält, desto höher erscheint dieser auf der Seite;
Umgekehrtes bewirken negative Wertungen. In gemeinsamen Aktionen können
sich Nutzer verabreden, um ein Thema „heiß“ zu machen.
Die seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Sommer 2009 geführten
Diskussionen über Grundsatzfragen dauerten vor der Demonstration nicht
lange an. Man wurde sich einig: „Jetzt müssen wir zusammen halten“.*
Für die große Masse, die keinen Internetzugang hat, wurden SMS-Ketten
organisiert, Flyer und Plakate verteilt, Geldscheine mit dem Aufruf
bedruckt oder an Wände und Telefonzellen geschmiert. Ein Aktivist stellte
eine Anleitung ins Netz, wie man während einer U-Bahn-Fahrt über Bluetooth
die Demo-Daten verbreiten kann - samt Sicherheitshinweisen, die eigene
Kennung zu unterdrücken. Die Zunahme der Nachrichtenflut war bemerkenswert;
ein Facebook-Nutzer schrieb: „Der Rhythmus der veröffentlichten Beiträge
auf Facebook und Twitter erinnert mich an die historischen Tage vor den
Wahlen“.
Hoffnung aus Ägypten
Nachdem es um die iranische Opposition ruhig geworden war, sahen viele in
den Ereignissen in Tunesien und Ägypten ihre Chance, „erneut die Straße zu
erobern“, denn „unser Kampf um die Freiheit wird auf der Straße
entschieden“, war auf Facebook zu lesen. „Mit Gewalt erreichen wir rein gar
nichts, wir dürfen uns nicht provozieren lassen, unsere Radikalisierung ist
das Ziel des Regimes, und unsere Niederlage“, wurde immer wieder angemahnt.
Noch wenige Tage vor der Montagsdemonstration hatten das iranische Regime
und die Opposition die ägyptische Revolte völlig gegensätzlich gedeutet.
Jede Seite sah sich selbst bestätigt und wollte die revolutionäre Energie
für sich nutzen. Für die Internetgemeinde war diese Debatte geklärt, als
ein Bild des jungen Helden der ägyptischen Revolte, Wael Ghonim, mit einem
Grünen Band am Handgelenk bei seiner Rede auf dem Tahrir-Platz die Runde
machte. Den Iranern hatte er geraten: „Lernt von Ägypten, wie wir von euch
gelernt haben“.
Die iranischen Proteste wurden nicht, wie in Kairo und anderswo, live im
Fernsehen übertragen. Ausländische Journalisten haben weiterhin keine
Dreherlaubnis. Ab Montagmittag wurden die ersten Handyaufnahmen auf Youtube
hochgeladen und über Balatarin, Twitter oder Facebook verbreitet; viele
erinnerten sich an die Proteste im Jahr 2009, mit ähnlichen Parolen.
Brennende Barrikaden gegen das Tränengas, trommelde Jugendliche, die im
Rhythmus nur „Azadi“ (Freiheit) riefen. Die Videos zeugen von Gruppen von
Hunderten, vielleicht Tausenden, die in unterschiedlichen Stadtteilen
protestieren, Kreuzungen besetzen oder sich Straßenschlachten mit der
Polizei liefern.
Die Rolle der im Ausland lebenden Iraner bei der Verbreitung der
Nachrichten war immens. Die Bitte „helft uns bei der Verbreitung der
Nachrichten“ wiederholte sich aus Iran auf allen Kanälen.
Die offizielle Zahl der Verhafteten beläuft sich auf 1500. Die
Menschenrechtsorganisation Hrana (Human Rights Activists News Agency)
schätzt die Zahl aufgrund von Augenzeugenberichten viel höher ein. Eine
belastbare Zahl der Verletzten gibt es nicht. Zwei Demonstranten wurden
getötet. Der Umgang des Regimes mit der Würde der Getöteten und ihren
Familien beherrschte die Internetdebatten nach der Demonstration.
Würdeloser Umgang mit den Toten
„Entführte Märtyrer“ war das Schlagwort. Dem jungen kurdischen
Theaterstudenten Sale Zhaleh, einem der Getöteten, wurde post mortem ein
Ausweis der Basidj, einer iranischen Miliz, ausgestellt. Sein Bruder
berichtete in Voice of America, wie Milizionäre zuhause ein Bild von ihm
abholten, ohne der Familie von seinem Tod zu berichten. Im Staatsfernsehen
„verriet“ das Sprachrohr des geistigen Führers Khamenei, Hassan
Shariatmadari, wie Zhaleh ihn mit „wertvollen Informationen“ versorgt
hätte. Die Familie wurde unter Druck gesetzt, man verbat ihr, sich
öffentlich zu äußern, der Bruder wurde inzwischen verhaftet.
Das zweite Opfer, Mohamad Mokhtari, hatte drei Tage vor der Demo in einem
Kommentar in einer Facebook-Diskussion sarkastisch den gesellschaftlichen
Zustand bedichtet und mit den Zeilen abgeschlossen: „Was in diesem Land Tag
für Tag billiger wird, ist einzig das Menschenleben“. Die Posts auf seiner
Facebook-Seite zeigen deutlich, dass er in der Protestbewegung engagiert
war. „Gott lass mich stehend sterben, denn ich bin es leid, sitzend zu
leben in dieser Entwürdigung“, war einer seiner letzten Facebookeinträge.
Im Netz hat sich seit der Montagsdemonstration eine merkwürdige Euphorie
und Siegessicherheit im In- und Ausland verbreitet. Wieder ist auf Facebook
zu lesen: „Ich will nicht zu optimistisch sein, aber mein Vater… er sagt,
nächstes Jahr sind wir wieder zusammen, in Teheran.“ Das so oft bemühte
Bild von der Glut unter der Asche ist wieder geeignet, die Lage zu
umschreiben.
*Die Namen der einzelnen Internet-Nutzer, die hier zitiert wurden, bleiben
aus Sicherheitsgründen ungenannt.
20 Feb 2011
## AUTOREN
Shahram Najafi
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