# taz.de -- Dossier Arabische Revolution: Das neue Tahrir-Bewusstsein | |
> Die ersten Schritte des Militärs nach Mubaraks Sturz waren im Sinne der | |
> Demonstranten. Dennoch gibt es eine Reihe von Gründen, misstrauisch zu | |
> sein. | |
Ein ägyptischer Militärrat, der eine Order nach der anderen veröffentlicht | |
und die Weichen stellt, ohne gleichzeitig ein poltischer Ansprechpartner zu | |
sein. Eine alte Opposition, die jahrzehntelang nur in einer vom Regime | |
zugewiesenen Nische ihr Dasein gefristet hat. Eine neue Jugendbewegung, die | |
zwar weiß, wie man mit Facebook und Twitter Menschen mobilisiert, die aber | |
kaum politisch organisiert ist. | |
Präsident Husni Mubarak ist weg. Was an seine Stelle tritt, ist noch völlig | |
ungewiss. Da ist zunächst die Frage, wie sich das Militär verhalten und ob | |
es die Macht tatsächlich wieder abgeben wird. Die Tatsache, daß Hussein | |
Tantawi dem Militärrat vorsteht, ist ein Zeichen dafür, dass dieser sich | |
nicht auf lange Zeit eingerichtet hat. | |
Tantawi, Verteidigungsminister unter Mubarak, ist ein Vertreter des alten | |
Regimes. Der Mann hat Krebs, ist alt und hat keine poltischen Ambitionen | |
mehr. Der wirklich starke Mann, der in den USA ausgebildete Stabschef Sami | |
Anan, hält sich im Hintergrund. An der Personalpolitik des Militärrates | |
lässt sich dessen inhaltliche Ausrichtung kaum ablesen. | |
Die ersten Schritte des Militärs waren durchaus im Sinne der Demonstranten. | |
Das mit massivem Wahlbetrug unter Mubarak gewählte Parlament wurde | |
aufgelöst. Die für Mubarak und die Amtsübergabe an seinen Sohn | |
maßgeschneiderte Verfassung wurde ausgesetzt. Neue Parlaments- und | |
Präsidentschaftswahlen sollen in spätestens sechs Monaten stattfinden. Und | |
auch die Tage der kurz vor Mubaraks Rücktritt ernannten Regierung sind | |
wahrscheinlich gezählt. | |
So weit, so gut. Ein Blick auf einige Details und schon kommt wieder | |
Ungewissheit, vielleicht sogar Unruhe auf. Da gibt es diese beklemmenden | |
Meldungen, dass das Militär in den vergangenen Wochen hunderte von Menschen | |
festgenommen hat. Wie viele es sind, weiß niemand genau. | |
Dann ist da die Zusammensetzung des vom Militär ernannten Komitees, das die | |
Verfassung umschreiben soll. Ihm steht mit Tarek Al-Bischri ein | |
islamistischer Intellektueller vor, ein anderes Mitglied hat enge | |
Verbindungen zur Muslimbruderschaft. Die meisten anderen Richter im | |
Verfassungsausschuss sind unbekannte Größen. Aber der Einfluss des Gremiums | |
ist begrenzt. Es darf nur sechs Artikel überarbeiten. Bei fünf davon geht | |
es darum, freie Wahlen zu gewährleisten. Einer sechster wird umgeschrieben, | |
weil damit im Namen des Antiterrorkampfes praktisch alle in der Verfassung | |
gewährten bürgerlichen Rechte ausgesetzt wurden. | |
Ein begrenztes Mandat also, bei dem der Ausschuss nicht viel falsch machen | |
kann. Bereits nächste Woche will er die Ergebnisse präsentieren. Sechs | |
Monate können sich die Ägypter nun auf Wahlen vorbereiten. Das ist eine | |
lange und eine viel zu kurze Zeit. Lang, weil die Ägypter sicher gehen | |
wollen, dass das Militär die Macht auch wieder abgibt. Kurz, weil es der | |
Opposition und vor allem der Jugendbewegung sehr wenig Zeit gibt, sich zu | |
organisieren. | |
Es ist also ein durchwachsenes Bild, das Ägypten wenige Tage nach dem Sturz | |
Mubaraks abgibt. Es ist eine Zeit, in der man Ägypten genau beobachten, | |
sich aber vor allzu vorschnellen Urteilen hüten sollte. Ein Blick auf das | |
heutige Tunesien könnte auch Hinweise für die Entwicklung Ägyptens liefern. | |
Die Tunesier kämpfen noch einen Monat nach dem Sturz Ben Alis um die | |
künftige Ausrichtung ihres Landes. | |
Es ist ein Konflikt zwischen jenen, die möglichst viel vom alten System in | |
die neue Zeit hinüberetten, und jenen, die den vollständigen Bruch wollen. | |
Allein, dass dieser Kampf bis heute in Tunesien ausgetragen wird, zeugt vom | |
neuen politischen arabischen Selbstbewusstsein. | |
Auch die Demonstrationen in Libyen und dem Golfstaat Bahrain zeigen, dass | |
die Tunesier die Tür geöffnet, die Ägypter sie dann weit aufgestoßen haben | |
und sich nun Araber durchdrängeln wollen. Die Widersprüche in den | |
arabischen Gesellschaften sind jedoch nicht die gleichen. | |
In Bahrain geht es einer schiitischen Mehrheit darum, nicht mehr als Bürger | |
zweiter Klasse behandelt zu werden. In Libyen geht es darum, dass den | |
Menschen unter Revolutionsführer Gaddafi selbst sie kleinsten poltischen | |
Freiheiten verweigert wurde. In Ägypten geht es schon jetzt nicht nur um | |
die poltischen Freiheiten, sondern auch um die sozialen und | |
wirtschaftlichen Rechte der Menschen. | |
Am Ende wird es nur einen Garanten dafür geben, dass es voran geht: Das | |
neue Tahrir-Bewusstsein der Araber, die ihre Angst abgestreift und gelernt | |
haben, erfolgreich für ihre Rechte auf die Straße zu gehen. | |
16 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
## TAGS | |
Ägypten | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Militär in Ägypten: Tahrir-Platz in Kairo geräumt | |
Einen Angriff von Mubarak-Getreuen nimmt das Militär zum Anlass, den hoch | |
symbolischen Ort von Dauer-Demonstranten zu räumen. Die Reaktionen sind | |
gespalten. | |
Arabische Revolution: Von Intensivtätern zu Sympathieträgern | |
Die arabische Revolution verändert auch unsere Gesellschaft: Plötzlich | |
liefern die Medien ein anderes Bild arabischstämmiger Einwanderer. | |
Proteste in Libyen: Gaddafi will nicht klein beigeben | |
Die Proteste in Libyen werden heftiger. Staatschef Gaddafi schickt | |
hochgerüstete Militäreinheiten - vor allem in die Unruheherde im Osten des | |
Landes. | |
Neue Proteste in Bahrain, Libyen und Jemen: Tausende demonstrieren in Manama | |
Nachdem in Libyen und Bahrain viele Menschen starben, gehen die Proteste | |
von Regimegegnern weiter. In Ägypten feiern die Menschen ihren Sieg über | |
das Regime. | |
Revolution in Ägypten: "Wir leben in einer Militärdiktatur" | |
Die Generäle spielen nur auf Zeit, meint der Leiter des Züricher Instituts | |
für Strategische Studien, Albert A. Stahel. Die Jüngeren in der Armee sind | |
unzufrieden. | |
Dossier Arabische Revolution: "Ich wusste, wir würden gewinnen" | |
Zelte aufbauen, Wasser besorgen, Videos drehen: Die ägyptische Aktivistin | |
Mona Seif erzählt, wie die Besetzer den Alltag und die Verteidigung des | |
Platzes organisierten. | |
Proteste in Libyen: Gadaffi schlägt "Tag des Zorns" nieder | |
Die libysche Regierung begegnet Aufrufen zum Massenprotest mit Gewalt. | |
Mindestens 16 Menschen sind in mehreren Städten ums Leben gekommen. | |
Aufruhr in Bahrain: Erneut Tote bei Protesten | |
Das Regime in Bahrain ist mit großer Härte gegen die Demonstranten | |
vorgegangen. Die Außenminister der arabischen Golfstaaten wollen über die | |
Lage beraten. | |
Dossier Arabische Revolution: Der Rapper, der Ben Ali Angst einjagte | |
Hamada Ben Amor, alias El General, ist die Stimme der Revolution in | |
Tunesien. 60.000 Fans hat der schüchterne Pharmaziestudent auf Facebook. | |
Dossier Arabische Revolution: "Scharia meint nicht Hände abhacken" | |
Wir sind gegen einen religiösen Staat, sagt Abdel Monem Abou el-Fetouh von | |
den Muslimbrüdern. Aber die Scharia soll die wichtigste Quelle des Rechts | |
bleiben. | |
Dossier Arabische Revolution: Die syrische Schockstarre | |
Das Internet in Syrien ist teuer und langsam. Junge Syrer entwickeln | |
derzeit Tarnsoftware, um sich online zu vernetzen. Denn das Militär | |
schreckt vor nichts zurück. | |
Dossier Arabische Revolution: "Ich bin in Gefahr" | |
Das Militär muss unter Druck gesetzt werden, glaubt der Pro-Israel-Aktivist | |
und einzige Kriegsdienstverweigerer Ägyptens, Maikel Nabil Sanad. Er selbst | |
wurde bereits verprügelt. | |
Dossier Arabische Revolution: Das Ende der Angst | |
Als britischer Staatsbürger frage ich mich: Warum sind unsere Regierungen | |
über 30 Jahre lang eine Komplizenschaft mit Mubarak eingegangen? |