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# taz.de -- 34.-35. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Der Militärchef packt a…
> Paul Rwarakabije sagt gegen seinen Präsidenten aus und belastet ihn
> stark. Er ist einer der ehemaligen FDLR-Milizionäre, die aus Ruanda nach
> Stuttgart geflogen werden.
Bild: Seit dem 4. Mai 2011 läuft vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Krieg…
STUTTGART taz | Paul Rwarakabije ist ein kleiner, zierlicher Mann, der viel
lächelt. Wenn am Oberlandesgericht Stuttgart die Richter, Bundesanwälte und
Verteidiger im Kriegsverbrecherprozess gegen zwei ruandische Milizenführer
ihn befragen, reagiert der Mann im beigen Anzug höflich, antwortet schnell,
ruhig und freundlich. Seine Körpersprache und Mimik wirken sehr
kontrolliert.
Kein Wunder: Rwarakabije ist Soldat. Bis 2003 war er Militärchef der im
Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur
Verteidigung Ruandas), deren Präsident und Vizepräsident, Ignace
Murwanashyaka und Straton Musoni, seit Mai in Stuttgart vor Gericht stehen.
Rwarakabije ist aus Ruanda als Zeuge eingeflogen worden, um gegen seinen
ehemaligen Präsidenten auszusagen. Mit seinem Auftritt tritt das Verfahren
vor dem Oberlandesgericht, das in den letzten Monaten eher
dahingeplätschert war, in eine neue, brisantere Phase ein, in der einstige
Mitkämpfer der Angeklagten aussagen sollen.
Rwarakabije ist der wohl prominenteste der mittlerweile nach seinen Angaben
10.000 FDLR-Angehörigen, die die Ränge ihrer teils von Tätern des
ruandischen Völkermordes kommandierten Miliz verlassen haben und aus dem
kongolesischen Busch nach Ruanda zurückgekehrt sind. Er leitet heute
Ruandas Gefängnisbehörde.
## "Das letzte Wort hatte er"
Obwohl Murwanashyaka in Deutschland lebte, das stellt Rwarakabije in seiner
Aussage klar, war er als FDLR-Präsident auch für militärische
Angelegenheiten zuständig - etwas, das die Verteidigung des Angeklagten
immer wieder zu bestreiten versucht. Planungen der FDLR, aus dem Kongo
heraus Ruanda anzugreifen, seien von Murwanashyaka entwickelt worden; er
habe "Leitlinien" entwickelt, und nach militärischen Aktionen "haben wir
ihm Berichte gegeben", erinnert sich Rwarakabije. "Murwanashyaka gab
Feedack, damit wir wussten, was wir machen sollten", schildert er die Rolle
des Präsidenten. "Das letzte Wort hatte er." Den Blickkontakt zu
Murwanashyaka, nur wenige Meter entfernt auf der Anklagebank, vermeidet er.
Rwarakabijes Aussage stützt den Vorwurf der deutschen Anklage, wonach
Murwanashyaka und Musoni Verantwortung für eine Reihe von Racheangriffen
der FDLR gegen kongolesische Zivilisten im Jahr 2009 tragen. Der größte
davon ist ein Angriff auf das Dorf Busurungi, bei dem laut Anklage in der
Nacht zum 10. Mai 2009 FDLR-Milizionäre mindestens 96 Zivilisten
"erschossen, erstachen, erschlugen oder zerhackten". Danach, so der
Anklagesatz weiter, erstattete ein Kommandeur "dem Angeschuldigten
Bericht".
Vom Massaker in Busurungi erfuhr Rwarakabije in Ruanda, wohin er bereits
2003 geflohen war und wo er danach repatriierte FDLR-Deserteure betreute.
Rückkehrer, die die Reihen der FDLR verlassen hatten und in ihr Heimatland
zurückgekehrt waren, hätten ihm berichtet, dass der Befehl von
Verantwortlichen gekommen sei. "Murwanashyaka und andere Verantwortliche
können erzählen, wie es war, damit diese Sachen ans Licht kommen und die
Täter bestraft werden", sagt Rwarakabije. "Ich kann nicht weggehen, ohne
das hier zu erzählen. Wenn diese Organisation so arbeitet, sollte es sie
nicht mehr geben."
Die FDLR entstand 2000 als Sammelbecken für ruandische Hutu-Soldaten, die
nach dem von ihnen verübten Völkkermord an Ruandas Tutsi 1994 in den Kongo
geflohen waren und danach in den Kongokriegen kämpften. Rwarakabije
berichtet detailliert über die Umstände der Gründung der Organisation. Eine
Vorgängerorganisation ALIR (Ruandische Befreungsarmee) war nach einem
Massaker an europäischen Touristen im ugandischen Bwindi 1999 ins Zwielicht
geraten; die FDLR sei also in Abgrenzung davon entstanden. Beide Gruppen
hätten im Januar 2002 fusioniert; betrieben habe dies Alois Ntiwirigabo,
der zuvor aus Kongos Hauptstadt Kinshasa heraus die ruandischen
Hutu-Kämpfer im Westen Kongos kommandiert hatte - also diejenigen, die
zusammen mit Kongos Regierungsarmee sowie Simbabwe an der Front gegen
ostkongolesische Rebellen und die mit diesen verbündete Armee Ruandas
kämpften.
Nach dem Friedensschluss im Kongo 2002-03 wurden die westkongolesischen
Kämpfer mit jenen im ostkongolesischen Busch zusammengelegt und im Ostkongo
zusammengeführt. Das war der Punkt, an dem es Spaltungen gab: ein Führer
setzte sich nach Sudan ab, und im November 2003 verließ Rwarakabije die
Organisation, als sie Pläne entwickelte, in einer Großoffensive aus dem
Kongo heraus in Ruanda einzumarschieren.
## Gegen Angriff auf Ruanda
Rwarakabije lehnte den Angriff auf Ruanda ab. Er befahl sogar den Stopp des
Einmarsches, sagt er aus. Die FDLR habe ihn als Verräter bezeichnet; da
habe er mit etwa 100 Soldaten die Grenze überquert, in Absprache mit
Ruandas Regierung. Murwanashyaka habe von diesen Auseinandersetzungen um
den abgeblasenen Einmarsch in Ruanda nichts erfahren können, sagt er.
Warum? "Das ist mein Geheimnis." Der Richter bohrt nach: Ich möchte es
trotzdem wissen; deswegen sind Sie ja hier. "Es gibt Sachen, die Sie nie
erfahren werden", beharrt Rwarakabije.
Aber er schildert auf Nachfrage die Einzelheiten seines Übertritts am 14.
November 2003. Er lief im ostkongolesischen Bukavu zu Fuß bis an die
Grenze, fuhr dann ins ruandische Cyangugu, nach sieben Stunden sei ein
Hubschrauber des ruandischen Generalstabs gekommen und habe ihn nach Kigali
gebracht, wo er mit Ruandas Regierung und der Führung der UN-Mission im
Kongo (Monuc) sprach.
Ruandas Militärs hätten allerdings mehr gewusst über die FDLR-Strukturen
als er selbst, sagt er. Das Signal Ruandas, dass die FDLR ins Land
zurückkommen soll, habe ihm gezeigt, dass Ruanda die Armee nicht mehr
bekämpfen würde. Ihm sei wichtig gewesen, dass Rückkehrern nichts passiert.
Aus Rwarakabijes Sicht war die FDLR vor 2003, als er noch das Sagen hatte,
viel disziplinierter als heute. Verbrechen an der kongolesischen
Zivilbevölkerung habe es damals nicht gegeben. Viel Zeit wird in der
Befragung für die Klärung der genauen Organisationsstrukturen und
Kommandoabläufe verwendet. Rwarakbije hat Schaubilder mitgebracht, die die
FDLR-Struktur zeigen. Es habe zwei Arten der Weitergabe von militärischen
Befehlen gegeben, sagt er: normalerweise mündlich, bei Treffen oder per
Telefon oder Funk; bei großen Operationen auch schriftliche Befehle.
Berichte von unten nach oben über Kampfhandlungen seien jeden Tag erstellt
worden und an den Präsidenten gegangen, also Murwanashyaka.
Vor 2003, so der einstige Militärchef, habe sich die FDLR durch
"Zusammenarbeit mit der kongolesischen Regierung" finanziert, also
"Unterstützung für Waffen und Munition". Dies sei später weggefallen. Die
Soldaten selbst lebten von Kleinhandel und Landwirtschaft. Man habe sich
meist mit der Zivilbevölkerung arrangiert - "es gab ein gutes Zusammenleben
mit der Zivilbevölkerung, denn sie sollte den Soldaten zu essen geben" -
aber man habe auch geplündert, wenn die Bevölkerung nichts freiwillig
abgab. Rwarakabije berichtet auch über die internen Disziplinarverfahren
der FDLR, ohne allerdings ins Detail zu gehen.
Nach 2003 und insbesondere um 2009 sei die FDLR offenbar disziplinloser
geworden, sagt Rwarakabije auf der Grundlage seiner Gespräche mit
Rückkehrern - er hat nach seiner Rückkehr nach Ruanda immer wieder mit
ehemaligen FDLR-Kombattanten gesprochen, meist in Gruppen, wenn sie sich in
der Demobilisierung im ruandischen Lager Mutobo befanden. Rwarakabije
spricht von "Disziplinlosigkeit auch unter den Führern auf der Ebene der
Bataillonsführung" und sagt: "Was von diesen Führern angeordnet war, waren
schlechte Dinge, sie sollten bestraft werden."
## "Ich bin kein Kind"
Die Verteidigung will wissen, von wem Rwarakabije über das Massaker von
Busurungi unterrichtet wurde. Rwarakabije schlägt vor, dem Senat eine Liste
zu erstellen, damit die Informanten als Zeugen geladen werden können. Die
Verteidigung will auch herausfinden, ob Rwarakabije, der sich als "Soldat
der Regierung von Ruanda" bezeichnet, in irgendeiner Weise beeinflusst
wurde, unter Druck steht oder auch bei seiner Aussage in Deutschland
kontrolliert werde.
"In Kigali hat mir niemand gesagt, was ich machen soll", sagt Rwarakabije
dazu. "Was ich hier sage, kann ich überall sagen. Es gibt keine zwei
Wahrheiten." Und einmal entnervt: "Ich bin kein Kind. Was ich erzähle, ist
meine persönliche Geschichte. Niemand hat mir gesagt, was ich sagen soll."
Die Verteidigung würde Rwarakabije gerne viel mehr fragen. Er ist nur für
zwei Tage geladen - am Ende des zweiten Tages hat die Befragung durch die
Verteidigung gerade erst begonnen. Je länger es dauert, desto genervter
erscheinen die übrigen Prozessbeteiligten. Der Vorsitzende Richter Hettich
fragt schließlich am Abend des 26. Oktober den Zeugen, ob er noch könne.
"Bitte helfen Sie mir, damit ich zurückfliege", antwortet Rwarakabije und
kündigt an, dass er zurückkommen werde.
Die Befragung wird beendet. Viele Fragen sind beantwortet. Andere bleiben
noch offen. Aber viele weitere ehemalige FDLR-Kämpfer sollen in den
nächsten Wochen aussagen. Es dürften lange Verhandlungstage werden.
Redaktion: Dominic Johnson
30 Oct 2011
## AUTOREN
Bianca Schmolze
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Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
FDLR
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