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# taz.de -- 36.-37. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die Grenzen der Wahrheit…
> Die Befragung eines ehemaligen FDLR-Leutnants bleibt hinter den
> Möglichkeiten zurück, die das OLG Stuttgart eigentlich bräuchte, um
> diesen Prozess konsequent zu führen.
Bild: Da ginge mehr: Der Kriegsverbrecherprozess vor dem Oberlandesgericht in S…
STUTTGART/BERLIN taz | Es gibt mehrere Wege, um herauszubekommen, ob die
ruandische Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas)
tatsächlich die ihr zur Last gelegten Kriegsverbrechen in der
Demokratischen Republik Kongo begangen hat. Man könnte Opfer und Zeitzeugen
befragen und vor Ort den Tathergang rekonstruieren.
Man könnte zusammen mit Experten der Vereinten Nationen und internationaler
Menschenrechtsorganisationen, die bereits seit Jahren zu diesen Ereignissen
forschen, gesicherte Erkenntnisse und offene Fragen voneinander
unterscheiden, die Quellen dafür abwägen und unter die Lupe nehmen und
versuchen, weitere Quellen zu finden. Man könnte systematisch unter den
vielen tausend ehemaligen FDLR-Kämpfern, die heute in Ruanda leben, nach
Angehörigen der in Frage kommenden Einheiten forschen, diese nach ihren
Erlebnissen fragen und dies mit den Aussagen anderer abgleichen.
Einige der direkten Täter der Verbrechen, derer FDLR-Präsident Ignace
Murwanashyaka und sein Vize Straton Musoni vor dem OLG Stuttgart angeklagt
sind, sind ja schon namentlich bekannt. Wenn man all dies täte, hätte man
am Ende vielleicht die größtmögliche Klarheit.
Es gibt auch Wege, die ziemlich sicher dazu führen, dass man wenig
herausbekommt. Zum Beispiel, wenn man einen ehemaligen FDLR-Leutnant
vernimmt, der von allen genannten Vorfällen höchstens aus dem Radio gehört
haben will und zu konkreten Fragen nach FDLR-Kriegsverbrechen oder Befehlen
dazu sagt, das sei "nicht möglich". Oder wenn die Angeklagten bei der auf
Kinyarwanda geführten Befragung ständig die Arbeit des Übersetzers
anzweifeln, niemand der deutschen Prozessbeteiligten das beurteilen kann,
aber auch niemand Anstalten unternimmt, den Übersetzer in seiner
schwierigen Arbeit, die den ganzen Tag höchste Konzentration erfordert, zu
unterstützen oder zu entlasten.
Oder wenn die Verteidiger dem Zeugen Einzelheiten der Anklage gegen
FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana vor dem Internationalen
Strafgerichtshof in Den Haag vorhalten, um die es hier in Stuttgart gar
nicht geht. Oder wenn die Bundesanwälte das baden-württembergische
Straßengesetz sowie die lateinische Herkunft der Worte "Weg", "Gasse",
"Straße" und "Pfad" bemüht, um einen Antrag der Verteidigung auf
Hinzuziehung eines Gutachters zur Übersetzung des ruandischen Wortes
"Insira" abzulehnen, die der Dolmetscher laut Verteidigung angeblich
mangelhaft getätigt hat.
Oder wenn das Gericht darauf reduziert wird, sich vom Zeugen die Namen
möglicher weiterer interessanter FDLR-Angehöriger zustecken zu lassen, die
man laden könnte. All diese Vorfälle dominierten die Befragung von
FDLR-Leutnant C am 7. und 9. November, in zwei der angespanntesten und
schwierigsten Verhandlungstage seit Beginn des Kriegsverbrecherprozesses
gegen Murwanashyaka und Musoni vor einem halben Jahr.
## "Man muss den Vater respektieren"
Dabei hätte der Leutnant einiges zu erzählen. Geboren 1975 als Sohn eines
Soldaten der damaligen ruandischen Armee und 1994 nach dem Völkermord wie
alle anderen damaligen ruandischen Soldaten - aus denen später die FDLR
hervorging - nach Kongo geflohen, erhielt er 1999 eine militärische
Ausbildung an der Militärakademie der im Kongo stationierten ruandischen
Hutu-Einheiten, wurde am 1. April 2001 Adjutant und 2005 Leutnant. Er
diente als Zugführer im Sabena-Bataillon der FDLR-Division Nord-Kivu, im
Distrikt Rutshuru. 2010 setzte er sich ab und floh nach Ruanda, wo er
seitdem lebt. Er hat also den ganzen Krieg der FDLR miterlebt.
"Als Kind muss man den Vater respektieren", beschreibt er das Verhältnis
der einfachen FDLR-Mitglieder zu Präsident Murwanashyaka. Auch nach dessen
Verhaftung - in Mannheim am 17. November 2009 - habe man ihn immer noch als
Präsident gesehen, in Ermangelung eines anderen Befehls.
Konkrete Einsatzbefehle habe Murwanashyaka nicht gegeben, wohl aber
politische und religiöse Vorgaben, oder er habe auch den Kämpfern "Mut
gemacht" und ihnen einen "guten Tag" gewünscht. Die Einsatzbefehle hingegen
kamen per Telegramm von der militärischen Hierarchie, "je wichtiger desto
höher", also von der Division Nord-Kivu oder auch dem Kommando des
militärischen FDLR-Flügels FOCA.
## Genaue Nachfrage bleibt aus
Man könnte den Zeugen an dieser Stelle ausquetschen, welche Befehle genau
er bekam. Stattdessen fragt man, ob es Befehle zu den Taten gab, um die es
in der Anklage geht: Kriegsverbrechen, Tötung von Zivilisten, Vertreibung,
Plünderung, Vergewaltigung. Leichter kann man es dem Leutnant nicht machen.
Er antwortet: Nein. Das war gar nicht möglich, erklärt er, schließlich
lebte die FDLR ja mit der Zivilbevölkerung zusammen. "FDLR können Frauen
nicht vergewaltigen", sagt der Zeuge. "FDLR können die Zivilbevölkerung
nicht angreifen."
Da er an den Taten, um die es in der Anklage geht, nach eigener Aussage
nicht teilnahm und auch nicht dort war, nützt es auch wenig, ihn genauer zu
befragen. Wenn er doch mehr sagt, verwickelt Leutnant C sich in
Widersprüche, aber im Gericht fällt das anscheinend niemandem auf, denn es
wird nicht nachgefragt. Er sagt, er kenne Busurungi - den Ort des
schlimmsten der FDLR vorgeworfenen Massakers im Mai 2009 - gar nicht, und
dann sagt er, er habe sieben Jahre lang dort gearbeitet. Er sagt, die
FDLR-Kämpfer hätten keine Uniformen getragen, sondern "das, was man hat" -
womit man wohl doch nicht genau wissen kann, ob Verbrechen von
FDLR-Kämpfern begangen wurden oder nicht. Aber nachgefragt wird da nicht.
Ebensowenig nachgefragt wird, wenn Leutnant C die Kriegsstrategie der FDLR
im Kampf gegen Kongos Armee FARDC beschreibt: Die FARDC sei in den Wald
eingedrungen, wo die FDLR stationiert war; die FDLR habe den Wald
verlassen, um die FARDC beziehungsweise deren Stellungen von außen zu
beschießen; die Familien der FDLR-Kämpfer seien aber in den Kampfzonen
geblieben und damit der FARDC ausgeliefert.
"Wir haben nur militärische Ziele angegriffen, deswegen sind keine
Zivilisten zu Schaden gekommen", sagt er. "Bei den Vorbereitungen der
Angriffe wussten wir genau unsere Ziele, weil wir die Lage besser kannten.
Wir haben nur militärische Ziele angegriffen, damit der Feind weggeht. Wir
konnten sehr gut unterscheiden, wo Zivilisten und Soldaten sind." Einige
Minuten später sagt er: "Wir schießen dort, wo der Feind am Anfang war."
Woher also wusste man im Einzelnen genau, wo die Zivilisten sind und wo die
Soldaten? Das wird nicht gefragt.
Man müsste an dieser Stelle wohl genauer auf den Ablauf einzelner
Militäroperationen eingehen, an denen der Leutnant beteiligt war, es werden
schließlich immerhin die Namen einzelner Ortschaften genannt. Man könnte
abfragen, welche Befehle von wem wann und warum erteilt wurden und was dann
geschah. Dafür aber reichen die zwei Befragungstage, von denen ein
erheblicher Teil mit Geplänkel um die Übersetzung verstreicht, nicht aus.
Stattdessen bleibt der Vorsitzende Richter Hettich im Allgemeinen. Er
fragt: "Gab es also nie Opfer unter Zivilisten?" Der Leutnant antwortet:
"Das kann ich zu 100 Prozent versichern, dass es unter Zivilisten keine
Toten oder Verletzte gegeben hat." Auch an dieser Stelle könnte man
nachhaken. Stattdessen lautet die nächste Frage: "Gab es zivile Opfer bei
Angriffen der FDLR, bei denen Sie nicht dabei waren?"
## Die Waffen der FDLR
Es bleibt das Geheimnis des Senats, inwieweit ein solcher Dialog zur
Wahrheitsfindung beiträgt. Immerhin bestätigt Leutnant C, dass 2002-03 die
bisher in Kabilas Armee dienenden ruandischen Hutu-Kämpfer der FDLR, die im
Rahmen von Kongos Friedensprozess aus Kongos Armee entlassen wurden und in
den Ostkongo zogen, große Mengen an Waffen mitbrachten - eine entscheidende
Antwort auf die vor Gericht gestellte Frage, woher die FDLR ihre Waffen
hat, und auch auf die nicht gestellte Frage, wieso die FDLR erst dann im
Ostkongo besonders stark wurde, als der Kongokrieg offiziell zu Ende
gegangen war.
Der Leutnant schildert auch - und es ist ihm sichtlich unangenehm, danach
gefragt zu werden - was aus der FDLR-Großoffensive gegen Ruanda wurde, die
2003 in Planung war und die dann abgeblasen wurde, als FDLR-Militärchef
Paul Rwarakabije - der in der Vorwoche in Stuttgart aussagte - die Seiten
wechselte und nach Ruanda zurückging.
Es gab, sagt der Leutnant, tatsächlich einen Einmarsch in Ruanda, am 6.
April 2004, dem 10. Jahrestag des Völkermordbeginns. "Wir sind eingedrungen
mit 2 Bataillonen, wir wollten dort einen Auftrag erfüllen, nach Erfüllung
des Auftrags sind wir wieder zurück, das war erlaubt, da es sich um einen
Kampf gegen den Feind handelte und nicht um einen Angriff gegen die
Zivilbevölkerung", sagt er. Genaueres will er nicht verraten. "Das reicht
an Ausführungen." Dem Gericht reicht es auch. Schade eigentlich.
14 Nov 2011
## AUTOREN
B. Schmolze
D. Johnson
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Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
FDLR
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