Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 46.-47. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Ziegen und Zivilisten
> Ein demobilisierter FDLR-Kämpfer erklärt, wie friedlich seine Miliz im
> Kongo lebte. Und wie rücksichtslos sie kämpfte, als der Frieden vorbei
> war.
Bild: Flüchtlinge aus Nord-Kivu in einem Camp in Goma im Jahr 2009.
STUTTGART taz | Die Zeit steht nicht mehr still im Oberlandesgericht
Stuttgart. Wochenlang war die Uhr im Saal 6, wo der 5. Strafsenat seit Mai
gegen die beiden FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni
verhandelt, auf 8 Uhr stehengeblieben. Seit dem 14. Dezember geht sie
wieder richtig.
Dass dies auch den Prozess voranbringt, war allerdings nicht unmittelbar zu
erkennen. Die Befragung des vorerst letzten der aus Ruanda als Zeugen
eingeflogenen ehemaligen FDLR-Kämpfers am 12. und 14. Dezember bot wenig
Neues zur Erhellung der Anklagevorwürfe, die sich vor allem auf
FDLR-Überfälle auf Zivilisten in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu im
Jahr 2009 beziehen. S. war in Süd-Kivu stationiert, an der Straße zwischen
Uvira und Bukavu, und "wo ich war, ist keinem Zivilisten was passiert",
sagt er. Im März 2010 verließ er die Ränge der FDLR und kehrte nach Ruanda
zurück.
Wenn S. aus seinem Leben erzählt, lernt man jedoch vieles über die
Hintergründe der im Kongo aktiven ruandischen Hutu-Rebellen. S. diente
dreizehn Jahre lang bei den Rebellen im Busch. Erst im März 2010 verließ er
die Ränge der FDLR und kehrte nach Ruanda zurück. Der heute 30- oder
31jährige wurde bereits 1997, im Alter von 17 Jahren, von Hutu-Rebellen
verschleppt.
Damals überfielen die Rebellen die Schule in Ruanda, in die er ging,
nachdem er die Jahre 1994-96 bereits als Flüchtling im Kongo verbracht
hatte und zurückgekehrt war. 1997 tobte im Nordwesten Ruandas der
sogenannte "Infiltrationskrieg" (guerre des infiltrés), als wenige Monate
nach der Rückkehr Hunderttausender ruandischer Hutu-Flüchtlinge aus dem
Kongo Bewaffnete einen Guerillakrieg gegen die Truppen der RPF-Regierung
von Präsident Paul Kagame starteten.
## Auf dem Schulweg verschleppt
"Abacengezi" hießen diese Kämpfer damals, "Infiltrierer". Die
Zivilbevölkerung Nordwestruandas geriet gnadenlos zwischen die Fronten.
"Wir waren auf dem Weg in die Schule, am Morgen nach den Kämpfen", erinnert
sich S. "Wir haben Abacengezi getroffen, die von der Front kamen. Sie
sagten: Wir werden euch ausrotten, wenn ihr nicht mitkommt. Wenn man
kräftig war, musste man entweder zu den Abacengezi gehen oder mit Kagame
arbeiten."
S. wurde in den Kongo verschleppt, nach Masisi. Dort organisierten sich die
ruandischen Hutu-Rebellen zunächst als ALIR (Armee für die Befreiung
Ruandas). Es gab "ALIR I", Hutu-Kämpfer im Ostkongo nahe der ruandischen
Grenze, und "ALIR II", Hutu-Kämpfer innerhalb der kongolesischen
Regierungsarmee von Laurent-Désiré Kabila und seinem bis heute amtierenden
Nachfolger und Sohn Joseph Kabila, die damals nur den Westen des Landes
kontrollierte, während im Ostkongo Rebellen mit Unterstützung der Armee
Ruandas herrschten.
## Waffen aus der Luft
Vom Westkongo aus wurden die Hutu-Kämpfer im Osten per Luftabwürfen mit
Waffen versorgt, bestätigt S. - damals wurde dieser Vorwurf noch weithin
als ruandische Propaganda abgetan.
Ab 2001, also nach Laurent-Désiré Kabilas Tod und der Machtergreifung
seines Sohnes Joseph und dem Beginn eines Friedensprozesses im Kongo,
wurden die beiden ALIR zusammengelegt, die Soldaten aus dem Westen
verstärkten die Guerillatruppen im Osten. "Zu dieser Zeit haben wir gehört,
dass es ALIR I und II nicht mehr gibt, nur noch FDLR", schildert S. diese
Veränderung. 2003 sei die "Fusion" abgeschlossen gewesen.
Glaubt man S., betrieb die FDLR in Süd-Kivu danach vor allem Ackerbau und
Handel und lebte gut mit Kongos Armee und kongolesischen Zivilisten
zusammen. Die FDLR schickte der kongolesischen Armee FARDC sogar "zwei bis
drei Bataillone", um die kongolesische Tutsi-Rebellion CNDP
(Nationalkongress zur Verteidigung des Voleks) von Laurent Nkunda zu
bekämpfen - ein weiteres Detail, das Vorwürfe bestätigt, die in der
entsprechenden Zeit gerne als ruandische Propaganda abgetan wurden. Selbst
die UN-Mission im Kongo (Monuc) habe die FDLR um Unterstützung gegen
besonders brutale lokale Milizen gebeten, sagt S. Und kongolesische
Soldaten hätten der FDLR ihre Waffen und Uniformen verkauft.
"Probleme" gab es erst, als Kongos Armee Anfang 2009 die Seiten wechselte
und im Rahmen der Operation Umoja Wetu gemeinsam mit Ruanda gegen die FDLR
kämpfte. Die FDLR, sagt S., holte sich damals Verstärkung aus Burundi.
Dort, wo S. war, begannen die "Probleme" aber erst im Juli und August 2009,
als Ruanda schon wieder abgezogen war. "Nur Kongos Soldaten sind geblieben,
wir haben dann nur gegen Kongos Soldaten gekämpft. Sie wollten uns
festnehmen und nach Ruanda zurückbringen", erinnert sich S.
Das war auch der Zeitpunkt, wo die guten Beziehungen der FDLR zur lokalen
Zivilbevölkerung endeten, sagt S. "Als Umoja Wetu kam, haben wir nicht mehr
so gut mit der Zivilbevölkerung gelebt", führt er aus. "FARDC haben FDLR
aus ihrer Stellung vertrieben. In dieser Zeit haben sie FDLR-Soldaten und
Flüchtlinge gefangengenommen. Dann gab es FDLR-Operationen aus Rache."
## Kollateralschaden Zivilbevölkerung
Bei diesen Racheoperationen kamen auch Zivilisten zu Schaden, bestätigt der
Krieger. "Überall, wo Kongos Soldaten Stellungen hatten, waren sie zusammen
mit Zivilisten, weil sie kein Essen bekommen außer von der Bevölkerung",
erklärt S. und lästert: "FARDC verhalten sich wie Rebellen. Sie wissen
nicht die Zivilbevölkerung zu schützen... Sie wussten, wie wie kämpfen,
dass wir immer in der Nacht angreifen. In der Nacht sind sie zur
Bevölkerung gegangen und jeder Soldat hat in einem Haus eines Zivilisten
übernachtet."
Das Ergebnis: Wenn die FDLR Kongos Armee angriff, litt auch die
Zivilbevölkerung. "Wenn ich sage, in dem Ort, wo ich war, ist keinem
Zivilisten was passiert, heißt das nicht, daß es in ganz Süd-Kivu so war",
präzisiert er. "In Süd-Kivu wurden Zivilisten getötet. Munition kann nicht
unterscheiden; wenn man schießt, weiß man nicht, wer sterben wird. Wenn
FDLR FARDC angegriffen hat, wusste man nicht, wen die Munition treffen
wird."
Auf Nachfrage präzisiert der Kriegsveteran: "Wenn es Kämpfe gab und FDLR
gegen FARDC kämpfte und FARDC floh, haben auch FDLR Häuser niedergebrannt.
Sie wollten selbstverständlich nicht, dass FARDC zurückkommt. Alle Gruppen
haben das immer so gemacht", schildert der Kriegsveteran das, als sei es
die normalste Sache der Welt. "Wo ich kämpfte, ist das auch mehrmals
passiert."
## "Wir hatten Hunger"
Leider fragt an dieser entscheidenden Stelle der Vorsitzende Richter
Hettich wieder einmal nicht nach, sondern wechselt abrupt das Thema. Es
kommt etwas später zu einem skurrilen Austausch darüber, ob es
Gewaltanwendung bedeutet, wenn FDLR-Soldaten verlassene Dörfer plündern.
"Wenn die Zivilbevölkerung aufgrund von Kampfhandlungen geflohen war,
habven usnere Einheiten Sachen aus den Häusern geholt, wie Ziegen. Wir
hatten Hunger", schildert S. das Kampfgeschehen. "Wir haben uns selbst zu
essen geholt, genauso wie die kongolesische Armee."
Manchmal seien die Zivilisten dann zurückgekommen und hätten gemerkt, dass
man sie ausgeplündert hatte, Manchmal auch nicht. Die Frage des Richters,
ob S. einen Unterschied darin erkennt, Ziegen mit oder ohne Gewalt zu
nehmen, versteht der Krieger offenkundig nicht.
Er sagt aber, bei der FDLR stünde auf "Klauen und Erwischt-Werden" eine
Strafe von 300 Stockschlägen, ebenso auf "Heirat ohne Erlaubnis", Beischlaf
mit einer Prostituierten oder interne Putschversuche. Wie gesagt: Dieser
Zeuge erzählt vieles, was mit der Anklage nichts zu tun hat - aber dennoch
interessant ist.
19 Dec 2011
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
## ARTIKEL ZUM THEMA
57.-60. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Schüsse fielen wie Regen
Erstmals beschreibt ein Mittäter im Detail den Angriff der ruandischen
FDLR-Miliz auf das kongolesische Dorf Busurungi im Mai 2009.
49.-52. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Der Zeuge als Opfer
Ein ehemaliger FDLR-Meldegänger erzählt - aber nicht so, wie es die
Prozessbeteiligten gerne hätten. "Es ist die Pflicht des Zeugen, sich
anzustrengen!", meckert die Verteidigerin.
Aufklärung im Kongo: Kabilas Mauer des Schweigens
Menschenrechtler werfen der Regierung vor, die Aufklärung der Repression
nach dem Wahlsieg des Präsidenten zu behindern. Krankenhäuser dürfen keine
Auskunft geben.
48. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Murwanashyakas Hoffnung
Vor der Weihnachtspause gibt Den Haag der Verteidigung des FDLR-Präsidenten
Auftrieb. Und es wird deutlich, welche Hoffnungen er 2009 auf Kongos
Unzufriedenheit mit Kabila setzte.
44.-45. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Wenn die Hütten brennen
Ein FDLR-Soldat schildert in Stuttgart Einzelheiten von Angriffen der
ruandischen Hutu-Miliz auf Zivilisten in den ostkongolesischen Dörfern
Busurungi und Manje.
42.-43. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Das Satellitentelefon im Wald
Ein Verbindungsoffizier der FDLR erzählt im Stuttgarter Oberlandesgericht,
wie die Führung in Deutschland mit den Militärs im Kongo kommunizierte.
40.-41. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Telegramm aus Deutschland
Ein FDLR-Offizier bestätigt, dass Präsident Murwanashyaka seiner Miliz im
Kongo aus Deutschland Befehle gab. Auch den, die Zivilbevölkerung unter
Umständen als "Feind" zu betrachten.
38.-39. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die Militärs sind schuld
Die FDLR-Miliz hat Übergriffe an der Zivilbevölkerung im Kongo verübt,
bestätigt ein Zeuge. Aber dies habe nicht der angeklagte Präsident
Murwanashyaka zu verantworten.
36.-37. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die Grenzen der Wahrheitsfindung
Die Befragung eines ehemaligen FDLR-Leutnants bleibt hinter den
Möglichkeiten zurück, die das OLG Stuttgart eigentlich bräuchte, um diesen
Prozess konsequent zu führen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.