| # taz.de -- Hutu-Miliz im Kongo: Geflüster im Regenwald | |
| > Nach Jahren auf der Flucht vor ruandischen Milizen bauen die Bewohner des | |
| > Dorfes Kiuli ihre Hütten wieder auf. Jetzt sollen sie wählen. Können sie | |
| > überhaupt dort leben? | |
| Bild: Unsicheres Gebiet: Kämpfer der ruandischen Hutu-Miliz FDLR im Bergwald v… | |
| KIULI taz | Machukuona Basungo redet mit gedämpfter Stimme. Auch der | |
| Dolmetscher flüstert. Es ist halb sechs am Morgen; der Himmel ist grau, | |
| bald wird es wieder regnen. In dem kleinen Wohnraum der Lehmhütte hängen | |
| feuchte Kleidungsstücke über quer gelegten Ästen unter dem Dach, das mit | |
| Bananenstroh gedeckt ist. | |
| Die Nächte im Dorf Kiuli im Bergregenwald im Osten der Demokratischen | |
| Republik Kongo sind kalt und nass. Am Vorabend hatten die Bewohner von | |
| Kiuli an ihrem mit Bananenblättern überdachten Versammlungsplatz mit | |
| feuchtem Holz ein Feuer angezündet, der beißende Qualm war immer noch | |
| besser als die Kälte. Rund um das Feuer sprachen die Männer in fast | |
| normaler Lautstärke, denn nachts fühlen sie sich halbwegs sicher. | |
| Die Kämpfer der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) ziehen | |
| sich abends ein paar hundert Meter weit in den Wald zurück. Morgens kommen | |
| sie zurück, meistens gegen sieben. Dann gehen sie in Kiuli von Hütte zu | |
| Hütte und verlangen etwas zu essen. Am späten Nachmittag kommen sie noch | |
| einmal und holen sich Abendessen. Ihren "Anteil" nennen sie das. | |
| Das ist es, was der stellvertretende Chef von Kiuli, Machukuona Basungo, | |
| gerade im Flüsterton erzählt. Er hat Angst, dass die Milizionäre | |
| ausgerechnet heute zufällig früher kommen. Er will beim Gespräch mit der | |
| Weißen nicht erwischt werden. Alle im Dorf haben Angst vor den ruandischen | |
| Hutu-Milizionären der FDLR. "Wenn sie uns töten wollen, sollen sie uns | |
| töten", sagt Basungo. "Dann sind wir wenigstens in unserem Dorf gestorben." | |
| Nicht weit von Kiuli entfernt, in Busurungi, haben Kämpfer der FDLR in der | |
| Nacht des 10. Mai 2009 etwa hundert Menschen regelrecht abgeschlachtet. Für | |
| dieses und weitere Massaker stehen die beiden in Deutschland lebenden | |
| FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und sein Stellvertreter Muson Stratoni | |
| seit Mai 2011 in Stuttgart vor Gericht. | |
| ## Das Dorf wurde völlig zerstört | |
| "Wir haben damals überlebt", erzählt Machukuona Basungo, "weil wir in den | |
| Wald geflohen sind. Wir hatten von Flüchtenden gehört, was in Busurungi los | |
| ist." Als die FDLR-Kämpfer wenig später nach Kiuli kamen, waren die Hütten | |
| leer, das qualmende Feuer am Versammlungsplatz verlassen. So ist im Mai | |
| 2009 niemand aus Kiuli gestorben, aber das Dorf wurde völlig zerstört. Die | |
| FDLR legte Feuer an die Hütten, die Krankenstation, die Schule, die Kirche. | |
| Fast zwei Jahre lang blieb die Waldlichtung, auf der früher Kiuli stand, | |
| leer. Im Januar 2011 kam Machukuona Basungo mit den ersten Mutigen zurück. | |
| "In den Dörfern, in die wir geflohen waren, gab es auch immer wieder Kämpfe | |
| zwischen der FDLR und der kongolesischen Armee." Auch die Ernährung wurde | |
| auch immer schwieriger. "Wir wurden für diejenigen, die uns aufgenommen | |
| haben, immer mehr zur Last." Schließlich wollten Basungo und ein paar | |
| hundert andere zurück, obwohl die FDLR die Gegend um ihr Dorf bis heute | |
| kontrolliert. | |
| Wenn das Wetter den Empfang nicht allzu sehr stört, hören die Menschen in | |
| Kiuli über das UN-finanzierte "Radio Okapi" das Neueste über die | |
| Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die am 28. November im Kongo | |
| stattfinden sollen. Doch der Konkurrenzkampf der Oppositionskandidaten, die | |
| immer häufigeren Zusammenstöße und Übergriffe - das alles geht am Leben der | |
| Menschen in Kiuli vorbei. | |
| Basungo kommt von ganz alleine auf die Wahl zu sprechen. "Sie wollen, dass | |
| wir wählen", sagt er. "Dabei leben wir, als hätten wir keine Regierung." | |
| Bei der letzten Wahl 2006 haben sie hier in Kiuli Präsident Joseph Kabila | |
| unterstützt. Er war jung, kam wie sie aus dem Osten des Landes und | |
| versprach Frieden. Aber was ist das für ein Frieden, in dem die Menschen in | |
| ihrer eigenen Hütte nur zu flüstern wagen? | |
| "Ich weiß nicht, ob wir Präsident Kabila nochmal wählen können", sagt der | |
| Chef. "Wir haben hier vor allem ein Problem, und das ist die FDLR. Die ist | |
| leider immer noch da, besetzt unser Land, beherrscht uns wie eine | |
| Kolonialmacht - und unsere Regierung tut nichts." | |
| 18 Nov 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Rühl | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| Schwerpunkt Völkermord in Ruanda | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Debatte Ruanda: Ruanda in der Tradition des Grauens | |
| Seit einem Jahr stehen in Stuttgart zwei ruandische Milizenführer der Hutu | |
| vor Gericht. Zwischenbilanz eines historischen Prozesses. | |
| Kriegsverbrechen im Kongo: Ruandische Hutu-Miliz spaltet Gericht | |
| Der Internationale Strafgerichthof lässt die Anklage gegen FDLR-Führer | |
| Callixte Mbarushimana aus Mangel an Beweisen fallen. Die Vorsitzende | |
| Richterin ist dagegen. | |
| Theaterstück zu Völkermord in Ruanda: Popsongs und Rassenwahn | |
| Kann Theater den Völkermord thematisieren? Der Schweizer Theatermacher Milo | |
| Rau versucht es mit "Hate Radio", das jetzt durch Europa tourt. | |
| 40.-41. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Telegramm aus Deutschland | |
| Ein FDLR-Offizier bestätigt, dass Präsident Murwanashyaka seiner Miliz im | |
| Kongo aus Deutschland Befehle gab. Auch den, die Zivilbevölkerung unter | |
| Umständen als "Feind" zu betrachten. | |
| Vor den Wahlen im Kongo: Truppen vom Kap | |
| Südafrikanisches Militär soll in der Bergbauprovinz Katanga die Wahlen | |
| absichern. 70 Soldaten wurden bereits eingeflogen. Sie sollen beim | |
| Abtransport der Wahlzettel helfen. | |
| Milizenmord im Kongo: Racheaktion für Massenvergewaltigung | |
| Tief im Wald im Osten des Landes wird ein berüchtigter ruandischer | |
| Hutu-Kommandant von Anhängern einer lokalen bewaffneten Grupperiung | |
| umgebracht. | |
| 38.-39. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die Militärs sind schuld | |
| Die FDLR-Miliz hat Übergriffe an der Zivilbevölkerung im Kongo verübt, | |
| bestätigt ein Zeuge. Aber dies habe nicht der angeklagte Präsident | |
| Murwanashyaka zu verantworten. | |
| Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Massaker in der Kirche | |
| Zwei Zeuginnen aus Ruanda haben Ex-Bürgermeister Onesphore Rwabukombe | |
| schwer belastet: Seine Leute hätten sie vergewaltigt und ihre Familien | |
| ermordet. | |
| 36.-37. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die Grenzen der Wahrheitsfindung | |
| Die Befragung eines ehemaligen FDLR-Leutnants bleibt hinter den | |
| Möglichkeiten zurück, die das OLG Stuttgart eigentlich bräuchte, um diesen | |
| Prozess konsequent zu führen. | |
| Wahlkampf im Kongo: Zeit zum Aufräumen | |
| In der Metropole Kinshasa herrscht schlechte Stimmung vor den Wahlen. Die | |
| Jugend in den Slums fürchtet, dass sich nichts ändert; die reichen Weißen | |
| fürchten Gewalt. | |
| Präsidentschaftswahlkampf im Kongo: Sorge um Kongos Wahlen | |
| Angesichts zunehmender Gewalt im Kongo-Wahlkampf haben sich nun UNO und | |
| Afrikanische Union eingeschaltet. Mittlerweile kommt es täglich zu blutigen | |
| Zusammenstößen. | |
| Wahlkampf in Ostkongo: Kabila baut auf Sand | |
| In Ostkongo herrscht Wahlkampf. "Hauptsache, jemand von hier", heißt es | |
| nach Jahren staatlicher Ignoranz und Korruption. Präsident Kabila gelten | |
| kaum noch Sympathien. |