# taz.de -- Wahlkampf in Ostkongo: Kabila baut auf Sand | |
> In Ostkongo herrscht Wahlkampf. "Hauptsache, jemand von hier", heißt es | |
> nach Jahren staatlicher Ignoranz und Korruption. Präsident Kabila gelten | |
> kaum noch Sympathien. | |
Bild: Privater Protz und staatliches Scheitern: Präsident Joseph Kabila. | |
GOMA taz | Es regnet in Strömen. Auf einem wackligen Holzgerüst stehen | |
durchnässte Anstreicher und verwandeln einen dreistöckigen monströsen | |
Neubau mit geschwungenen Balkonen und herrschaftlicher Vortreppe in eine | |
überdimensionierte Bonbonschachtel in Rosa- und Orangetönen. Überall in der | |
ostkongolesischen Metropole Goma setzt die schmale Oberschicht ihre | |
Einnahmen aus dem Mineralienexport in Luxuskonsum um. Wer zu ihren | |
Luxusvillen vordringen will, muss sich jedoch über spitzes Vulkangeröll und | |
durch tiefe Schlaglöcher quälen. | |
Wo sich zu Stoßzeiten fast der gesamte Straßenverkehr der | |
Millionenmetropole staut, auf der Hauptstraße aus Goma Richtung Westen, | |
wuseln derweil Motorradtaxis halsbrecherisch um die Pfützen herum, | |
Lastenträger mit ihren "Tchukudu"-Holzkarren keuchen zwischen schwarzen | |
Abgasen ruckelnder Lkws, schwitzende Soldaten mit geladenen Gewehren | |
beäugen von den offenen Ladeflächen ihrer Militärtransporter die | |
buntgekleideten Frauen am Straßenrand. | |
Eigentlich war das einmal eine Teerstraße. Heute ist es eine holprige | |
Sandpiste, die sich bei Trockenheit in eine permanente riesige Staubglocke | |
verwandelt und bei Regen in eine Seenlandschaft. Vor Monaten trugen | |
chinesische Arbeiter im Staatsauftrag den Asphalt ab, als Vorarbeit für | |
Neuteerung. Dann gab es Streit ums Geld. Die Arbeiten wurden eingestellt. | |
Die Straßen seien nicht sein Problem, verkündete Nordkivus | |
Provinzgouverneur Julien Paluku neulich: Seine Aufgabe sei es, für die | |
Wiederwahl des Präsidenten zu sorgen. Am 28. November wählen die Kongolesen | |
ein neues Staatsoberhaupt und ein neues Parlament. | |
Vor fünf Jahren, bei Kongos ersten allgemeinen freien Wahlen, hatte | |
Präsident Joseph Kabila im Ostkongo, ausgeblutet nach zehn Jahren Krieg, | |
fast alle Stimmen abgeräumt. Er galt als Friedensbringer, als | |
Hoffnungsträger für die Zukunft. Heute sind die Wähler enttäuscht über die | |
Kombination von privatem Protz und staatlichem Scheitern. Dass Paluku den | |
Zusammenhang zwischen Leistung und Wiederwahl ignoriert, ist symptomatisch | |
für die Kluft zwischen Herrschern und Volk. | |
## Starke Zivilgesellschaft | |
Muhindo Nzangi, Fraktionsvorsitzender der einst Kabila-treuen Partei MSR | |
(Sozialbewegung für Erneuerung) in Nordkivus Provinzparlament, listet auf | |
seinem Wahlkampfflugblatt penibel 524 staatliche Aufbauvorhaben der letzten | |
fünf Jahre in Nordkivu auf: Straßen, Krankenhäuser, Schulen, | |
Wasserleitungen, Wohnungen, Brücken, Kraftwerke, öffentliche Bauten. In | |
Goma selbst wurden von 42 Projekten zwei umgesetzt, in ganz Nordkivu von | |
524 nur 24, rechnet er vor und kommt auf die "Umsetzungsquote: 4,5 | |
Prozent". | |
Die MSR ging 2006 aus der gut organisierten Zivilgesellschaft hervor, jenem | |
Netzwerk aus unzähligen Bürgerinitiativen, Kirchen und Strukturen der | |
Selbstorganisation, das in Ermangelung eines funktionierenden Staates die | |
Gesellschaft auch in Zeiten von Wirren und Krieg am Laufen hält. Diesen | |
vielen Basisinitiativen verdankte Kabila damals seine Stimmen im Osten. | |
Heute hat der Präsident ihre Sympathie verloren. | |
Jason Luneno, Präsident des zivilgesellschaftlichen Dachverbands von | |
Nordkivu, ist zum stärksten Rivalen Kabilas im Ostkongo übergelaufen: Vital | |
Kamerhe, bei den Wahlen 2006 noch Kabilas Wahlkampfleiter und bis zum Jahr | |
2009 Kongos Parlamentspräsident. Kamerhe trat 2009 aus Protest gegen | |
Ruandas letzte Militärintervention auf Seiten der kongolesischen Armee | |
gegen Milizen im Ostkongo zurück und hat jetzt eine eigene Partei | |
gegründet, die Kongolesische Nationalunion (UNC). Die UNC, so vermuten auch | |
Kabila-Anhänger, könnte einen Großteil der Kabila-Wählerschaft im Osten | |
abgreifen. | |
Luneno möchte Nordkivus Zivilgesellschaft komplett in die UNC und damit in | |
die Opposition führen. "Die UNC hat Antworten auf unsere Probleme", erklärt | |
der bullige, wortgewandte Aktivist. So wolle Kamerhe die Dienstzeit von | |
Berufssoldaten auf maximal zweimal sieben Jahre begrenzen, vorbehaltlich | |
einer Kompetenzprüfung. "Ich finde das gut", sagt Luneno. "Die Armee darf | |
kein Lebensziel sein." Aber am wichtigsten sei für ihn, dass Kamerhe selbst | |
aus Kivu kommt: "Die Leute hier sind traumatisiert und frustriert. Jemand | |
von hier muss Verantwortung übernehmen." | |
## Unzählige Kandidaten | |
"Jemand von hier" - das hört man immer wieder. 2006 war es vielen Wählern | |
wichtig, im fernen Kinshasa von möglichst einflussreichen Politpromis | |
vertreten zu werden. Heute wollen sie sich lieber selbst vertreten. Man | |
wählt keine Prominenz mehr, sondern Bekannte. Nach den Wahlen gefragt, | |
sprechen die meisten Leute spontan daher auch gar nicht als Erstes von der | |
Präsidentschaftswahl, sondern von der Parlamentswahl. Da geht es um die | |
lokalen Repräsentanten. Die Staatsspitze ist unerreichbar weit weg, das hat | |
sie bewiesen. | |
Allein in Goma treten 286 Kandidaten für die sechs Wahlkreissitze der | |
Provinzhauptstadt an, im ganzen Land sind es über 18.000 für 500 Mandate. | |
Die Wahlzettel werden mehrere Meter lang sein. Angeblich haben sich für | |
Kabilas Partei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Entwicklung) in Goma | |
kaum noch Kandidaten für die Parlamentsliste gefunden. Seine Anhänger | |
gründeten teilweise lieber eigene Parteien, damit sie nicht um ihr Ansehen | |
fürchten müssen. | |
Einer der 286 Kandidaten in Goma ist der Radioanimateur Prosper Hamuli. Im | |
gelben Festtagsgewand sitzt Hamuli mit seinem schmalen, schlauen Gesicht im | |
Garten eines Hotels und zeigt stolz seine Mitgliedskarte Nr. 022 der ganz | |
frischen Partei "Bewusstseinserweckung durch Arbeit" (ECT). "Gegründet von | |
Kabilas Familie", sagt der ausgebildete Lehrer schmunzelnd. Die Partei habe | |
kein Programm und auch keine Büros. Doch stehe er mit ihr auf einer Liste, | |
weil er damit größere Chancen habe als als Unabhängiger. | |
Mit Hamuli auf der ECT-Liste kandidieren ein Benzingroßhändler und der Chef | |
der Sardinenfischer von Goma, zwei nicht ganz unwichtige Leute. "Ich | |
verspreche den Wählern, für sie einzutreten", resümiert Hamuli sein | |
Programm. Ist das nicht etwas vage? "Goma ist eine durchaus intellektuelle | |
Stadt", doziert der Kandidat. "Die Wähler hier schätzen es, wenn jemand sie | |
ernst nimmt und ihnen nicht mit Sprechblasen kommt." | |
## Gespaltene Opposition | |
Kabila ist schwach, aber sind seine Gegner stark? Die Hoffnung des | |
Präsidenten besteht in der Zersplitterung der Opposition. Vital Kamerhe ist | |
im Osten des Kongo stark, aber im Westen trumpft stattdessen der alte | |
Oppositionsführer Etienne Tshisekedi auf, der mit seiner Union für | |
Demokratie und sozialen Fortschritt (UDPS) schon in den 1990er Jahren gegen | |
die damalige Mobutu-Diktatur kämpfte. Die Spaltung der kongolesischen | |
Opposition zwischen Kamerhe und Tshisekedi könnte Kabila doch noch den Sieg | |
bescheren. | |
Die UDPS in Goma residiert in einem unscheinbaren Wohnhaus im Stadtzentrum, | |
ohne äußere Kennzeichnung. Im Innenhof drängeln sich zahlreiche Jugendliche | |
auf der Suche nach Arbeit, ein Anzeichen dafür, dass die Partei in Goma als | |
aufstrebende Kraft gilt. Das Büro von UDPS-Provinzchef Mikindo ist die | |
Küche, er sitzt am Esstisch, hinter ihm Papierstapel in der Spüle. | |
Wir sind schon immer für den Wandel eingetreten", erklärt der grauhaarige, | |
runde Mann. "Wenn die Leidgeprüften an die Macht kommen, werden sie uns ein | |
besseres Leben bescheren." Gemeint sind die Demokratie- und | |
Menschenrechtsaktivisten der ersten Stunde, die Diktatur und zwei Kriege | |
überstanden haben, ohne sich zu kompromittieren. Die UDPS sieht sich als | |
Hüter der reinen Lehrer in einem Umfeld von Gewalt und Korruption. "Die | |
Leute verstehen, was wir sagen", sagt Mikindo. "Wir haben eine sehr | |
engagierte Basis." | |
Ein Teil dieser Basis diskutiert derweil laut vor der Küchentür. Die | |
UDPS-Jugendaktivisten sind sich einig, dass Kamerhes UNC unseriös ist, denn | |
"Kamerhe hat uns Kabila beschert", wie einer sagt. Kabilas PPRD sei sowieso | |
korrupt, die UDPS hingegen sauber. "Es gibt aber viel mehr PPRD-Fähnchen", | |
wendet ein junger Mann ein. "Klar, die Abgeordneten kaufen Wahlpropaganda", | |
erwidert ein anderer und meint hoffnungsvoll: "Wenn neben hundert | |
PPRD-Fähnchen zehn UDPS-Fähnchen wehen, setzen sich die von der UDPS | |
durch." "Wieso das denn?", fragt einer. "Weil die mit unserer Fahne sie aus | |
Überzeugung haben. Es wählen Wähler, nicht Fahnen." | |
## Wahlkampftheater | |
Wenn die Wähler überhaupt die Wahl haben. Draußen in Ostkongos Bergen und | |
Wäldern, bestätigen alle, gibt es keinen freien Wahlkampf. Hier sprechen | |
die Waffen. Nach wie vor kontrollieren die ruandischen Hutu-Milizionäre der | |
FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) weite Teile des | |
Landesinneren, bestätigen lokale Journalisten. In ihren Gebieten dürfe nur | |
Kamerhe den Ton angeben, heißt es. Die einstige Rebellenbewegung CNDP | |
(Nationalkongress zur Verteidigung der Demokratie) des Tutsi-Generals | |
Laurent Nkunda, die ob dieser Militärintervention ihren Frieden mit Kabila | |
schloss, kommandiert hingegen mittlerweile in Ostkongo weitgehend die | |
Regierungsarmee. Sie halten zu Kabila. | |
Viele rechnen mit einem gewalttätigen Wahlkampf. An einem heißen | |
Samstagnachmittag tanzen mitten in Goma junge Frauen und Männer durch die | |
Menge, in ihrer Mitte trägt die Gruppe einen Altersgenossen auf den | |
Schultern, der die Fäuste in die Höhe reckt. "Unser Kandidat", singen sie | |
strahlend, "hat schon gewonnen." Plötzlich fallen Schüsse. Geschrei ertönt, | |
panisch zerstreut sich die Menge, dann tragen einige die Leiche des | |
Parlamentskandidaten herbei, blutüberströmt, legen ihn in den Staub und | |
weinen. "Durch den Wahlkampf habe ich einen Freund verloren", ruft einer | |
unter Tränen. | |
Entwarnung: Es ist nur Theater. Die jungen Schauspieler der Groupe Duviron | |
schlagen auf einer Kulturveranstaltung in einer Schulaula Alarm, die | |
versammelten Honoratioren sind beeindruckt. Überall im Kongo werden dieser | |
Tage Aufrufe zu einem friedlichen Wahlkampf veröffentlicht. | |
Goma ist kriegserfahren und vorbereitet. Die Mauern der Luxusvillen werden | |
immer höher, es gibt immer mehr Stacheldraht, und als neuester Trend | |
entstehen lauter kleine Wachtürme, von denen aus die Wächter die Straße | |
überblicken können, ohne das Tor öffnen zu müssen. Unmerklich werden aus | |
Luxusvillen Trutzburgen. Man kann ja nie wissen. | |
25 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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