Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kriegsverbrechen im Kongo: Ruandische Hutu-Miliz spaltet Gericht
> Der Internationale Strafgerichthof lässt die Anklage gegen FDLR-Führer
> Callixte Mbarushimana aus Mangel an Beweisen fallen. Die Vorsitzende
> Richterin ist dagegen.
Bild: Calliste Mbarushimana während der Anhörung vor dem Haager Gericht.
BERLIN taz | Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat in
einem seiner brisantesten Fälle eine kontroverse Entscheidung gefällt. Die
Richter der 1. Vorverfahrenskammer entschieden am Freitagabend, den
ruandischen Milizenführer Callixte Mbarushimana auf freien Fuß zu setzen
und die Anklage gegen ihn fallenzulassen.
Mbarushimana, Exekutivsekretär der ruandischen Hutu-Miliz FDLR
(Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) saß seit 2010 unter dem
Vorwurf von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der
Demokratischen Republik Kongo in Haft und wartete auf seinen Prozess.
Der Beschluss fiel mit zwei Stimmen gegen eine. Die Gegenstimme kam
ausgerechnet von der Vorsitzenden Richterin der Kammer, Sanji Mmasenono
Monageng. Sie erhob in einer Minderheitsmeinung schwere Vorwürfe gegen ihre
beiden Beisitzer Sylvia Steiner und Cuno Tarfusser. Diese hätten ihre
Schlussfolgerungen "getroffen, ohne wesentliche Beweismittel zu würdigen",
so die Richterin aus Botswana.
Der in Paris lebende Mbarushimana war 2010 unter ähnlichen Vorwürfen
festgenommen worden wie im Jahr zuvor in Deutschland FDLR-Präsident Ignace
Murwanashyaka und dessen Vize Straton Musoni. Die beiden müssen sich seit
Mai 2011 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wegen Verbrechen der FDLR im
Kongo verantworten.
## Angriffe auf Zivilisten im Kongo im Jahr 2009
Mbarushimana wurde an das IStGH überstellt. Die Den Haager Anklagebehörde
warf ihm vor, mit Murwanashyaka und Musoni in Tateinheit Verantwortung für
brutale Angriffe der Miliz auf Zivilisten im Kongo im Jahr 2009 zu tragen.
Zahlreiche Zeugenaussagen aus dem Kongo wurden im Vorverfahren aufgeboten,
die im Detail beschrieben, wie brutal die ruandische Miliz als Reaktion auf
eine kongolesisch-ruandische Miliäroffensive gegen sie Anfang 2009
ostkongolesische Dörfer verwüstete.
So beschreibt Zeugin 694, wie während der Zerstörung des Dorfes Busurungi
durch die FDLR in der Nacht zum 10. Mai 2009 fünf Hutu-Kämpfer eine Frau
vergewaltigten. Danach "durchbohrten sie ihre Augen und ihre Kehle mit dem
Bajonett ihrer Gewehre und schnitten ihren schwangeren Bauch auf, so dass
der sich bewegende Fötus herausfiel." In Busurungi wurden in dieser Nacht
mindestens 96 Zivilisten von der FDLR getötet und der Ort dem Erdboden
gleichgemacht.
Die Kammer bestreitet nicht den Wahrheitsgehalt dieser und ähnlicher
Zeugenaussagen und auch nicht, dass diese Vorfälle Kriegsverbrechen wären.
Sie bestreitet aber, dass Mbarushimana damit etwas zu tun hatte oder davon
wusste. Und sie sagt, die Taten waren keine Verbrechen gegen die
Menschlichkeit. Damit ist ihr Beschluss von übergeordneter Bedeutung. Die
Anklage, so die Kammer, habe nicht hinreichend bewiesen, dass die FDLR
diese Taten im Rahmen eines "systematischen und ausgedehnten" Angriffs
gegen die Zivilbvölkerung beging.
## "Die Ernte war gut"
Laut Anklage erteilte FDLR-Militärführer Sylvestre Mudacumura im Kongo
seiner Truppe einen Befehl, eine "humanitäre Katastrophe" anzurichten. Die
Beweise dafür seien aber "bestenfalls indirekt", sagt die Kammer dazu. Man
sei "nicht wesentlich davon überzeugt, dass die FDLR eine Politik
verfolgte, die Zivilbevölkerung anzugreifen". Selbst der Angriff auf
Busurungi "kann nicht als Teil einer größeren organisierten Kampagne
gewertet werden".
Solche Feststellungen erregen das Unverständnis der Vorsitzenden Richterin
Monageng, die nicht einsieht, warum die vielen Zeugenaussagen nicht in
einer regulären Hauptverhandlung zur Sprache kommen sollen. Die Richterin
zitiert in ihrer Stellungnahme ausführlich Telefonate zwischen Mbarushimana
und dem damals noch in Deutschland frei agierenden Murwanshyaka. "Die Ernte
war gut", soll Mbarushimana zum Massaker von Busurungi gesagt haben. Dies
kommt im Beschluss der Kammer nicht vor.
Die Entlastung Mbarushimanas durch die Kammer geht allerdings mit einer
Belastung des jetzt in Stuttgart angeklagten Murwanashyaka einher. Der
wusste viel mehr, weil die FDLR-Militärführung vor Ort ihm
rechenschaftspflichtig war, heißt es. IStGH-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo
beantragte umgehend Berufung und forderte, Mbarushimanas Freilassung außer
Vollzug zu setzen. Er erinnerte die Kammer an deren eigene Ablehnung eines
Entlassungsantrags im August.
Darin stand, "dass Callixte Mbarushimana im Falle seiner Entlassung über
Mittel verfügt, die Ermittlungen zu stören, Verbrechen zu begehen und sich
abzusetzen, mit der finanziellen Unterstützung des internationalen
Netzwerkes der FDLR." Dies, da sind sich Beobachter einig, gilt heute
unverändert. Der Krieg der FDLR im Kongo dauert an.
18 Dec 2011
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
## ARTIKEL ZUM THEMA
Völkermord in Ruanda: Genugtuung für die Überlebenden
Neue Erkenntnisse zum Auftakt des Völkermordes per Präsidentenmord im April
1994 lassen Opferverbände hoffen. Darauf, dass das Leugnen ein Ende hat.
Gewalt im Kongo: Hutu-Milizen verwüsten Dörfer
Bei den schwersten Angriffen der ruandischen FDLR-Miliz gegen Kongolesen
sterben mehrere Dutzend Menschen. Augenzeugen berichten, von heftigen
Schießereien.
Expertenbericht zum Kongo: Hutu-Miliz wird zur Firma
Ein UN-Bericht beschreibt, wie die ruandische FDLR sich neu aufstellt, seit
ihre Führer vor Gericht stehen: Handel bringt Geld, um Waffen von der Armee
zu kaufen.
Internationaler Strafgerichtshof: Buschkrieger sinnen auf Rache
Der Internationale Strafgerichtshof will einen ruandischen Kriegsführer aus
der Haft entlassen. Obwohl seine Miliz im Kongo weiterkämpft und
einschüchtert.
Strafgerichtshof bestätigt Freilassung: Ängste der FDLR-Opfer ignoriert
Der Internationale Strafgerichtshof lehnt einen Einspruch gegen die
Freilassung des ruandischen FDLR-Führers Mbarushimana ab. Opfer äußerten
ihre Sorge um Zeugen.
Kommentar Kriegsverbrecherprozess: Eine Verhöhnung der Opfer
Der Internationale Strafgerichtshofs befindet, der Terrorfeldzug der FDLR
sei kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Richter müssen zur
Besinnung kommen.
44.-45. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Wenn die Hütten brennen
Ein FDLR-Soldat schildert in Stuttgart Einzelheiten von Angriffen der
ruandischen Hutu-Miliz auf Zivilisten in den ostkongolesischen Dörfern
Busurungi und Manje.
42.-43. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Das Satellitentelefon im Wald
Ein Verbindungsoffizier der FDLR erzählt im Stuttgarter Oberlandesgericht,
wie die Führung in Deutschland mit den Militärs im Kongo kommunizierte.
40.-41. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Telegramm aus Deutschland
Ein FDLR-Offizier bestätigt, dass Präsident Murwanashyaka seiner Miliz im
Kongo aus Deutschland Befehle gab. Auch den, die Zivilbevölkerung unter
Umständen als "Feind" zu betrachten.
38.-39. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die Militärs sind schuld
Die FDLR-Miliz hat Übergriffe an der Zivilbevölkerung im Kongo verübt,
bestätigt ein Zeuge. Aber dies habe nicht der angeklagte Präsident
Murwanashyaka zu verantworten.
Hutu-Miliz im Kongo: Geflüster im Regenwald
Nach Jahren auf der Flucht vor ruandischen Milizen bauen die Bewohner des
Dorfes Kiuli ihre Hütten wieder auf. Jetzt sollen sie wählen. Können sie
überhaupt dort leben?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.