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# taz.de -- Internationaler Strafgerichtshof: Buschkrieger sinnen auf Rache
> Der Internationale Strafgerichtshof will einen ruandischen Kriegsführer
> aus der Haft entlassen. Obwohl seine Miliz im Kongo weiterkämpft und
> einschüchtert.
Bild: Wer schützt FDLR-Opfer im Kongo? (Archivbild 2009)
DEN HAAG taz | R. ist immer auf der Hut. Wenn der Kongolese sich an einem
stillen Ort zum Gespräch trifft, schaut er sich sorgsam um, und wenn
Passanten auftauchen, dämpft er die Stimme. R. hat den Ermittlern des
Internationalen Strafgerichtshofs Opfer der im Kongo kämpfenden ruandischen
Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) zugeführt, als
deren Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana 2010 in Paris verhaftet wurde.
Unter dem Vorwurf der Mitverantwortung für Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit wurde er nach Den Haag ausgeliefert. Nun soll
Mbarushimana freikommen, weil die Vorverfahrenskammer den Tatverdacht gegen
ihn nicht für erwiesen hält, und R. muss noch mehr auf der Hut sein als
vorher.
"Ich bin sehr enttäuscht", sagt R. zur Entscheidung der Richter. "Wieso
haben sie ihn verhaftet, wenn die Beweise nicht ausreichend waren? Der
Strafgerichtshof wird jetzt verantwortlich für die Verbrechen sein, die die
FDLR im Kongo nach der Freilassung dieses Herren begehen wird."
Die FDLR ging aus geflohenen Tätern des ruandischen Völkermordes von 1994
hervor, beteiligte sich an den diversen Kriegen im Kongo und ist als Armee
bis heute im Osten des Landes aktiv. Ihre Opfer füllen die Frauenstationen
der Krankenhäuser von Goma und Bukavu und die Flüchtlingslager der
Kivu-Provinzen. Als internationale Ermittler sich dafür erstmals
interessierten, half R., Überlebende des Massakers von Busurungi ausfindig
zu machen, das schlimmste einzelne der FDLR zugeschriebene Verbrechen. In
der Nacht zum 10. Mai 2009 wurde das Dorf tief in den Bergwäldern Ostkongos
dem Erdboden gleichgemacht, mindestens 96 Zivilisten wurden getötet.
## Muskelspiel
Die Den Haager Ermittler werteten die Gräuel von Busurungi als Teil einer
gezielten Strategie, im Ostkongo eine humanitäre Katastrophe anzurichten,
als Muskelspiel, um politische Konzessionen zu erpressen. Ähnlich
argumentiert die deutsche Bundesanwaltschaft, die den in Deutschland
lebenden FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka und seinen Stellvertreter
Straton Musoni in Stuttgart vor Gericht gebracht hat. Mbarushimana und drei
seiner Kollegen hätten dies gemeinsam ausgeheckt, so die Den Haager
Anklage. Aber die Den Haager Vorverfahrenskammer sieht diese Strategie
nicht als erwiesen an. In ihrer Ablehnung der Klage gegen Mbarushimana am
16. Dezember verneint sie daher auch eine "individuelle Verantwortung" des
Ruanders, der bis 2010 von Paris aus die Öffentlichkeitsarbeit der FDLR
verantwortete und mit anderen Führungsmitgliedern der Miliz in engem
Kontakt war.
Mbarushimana auf freien Fuß zu setzen, hält R. für fahrlässig. Zeugen, die
über Busurungi aussagen, tun dies unter Lebensgefahr, sagt er. "Sobald sie
auftreten, können sie nicht mehr nach Hause zurück."
Mbarushimana kannte nämlich vor seiner Verhaftung Interna der Ermittlungen.
In seinem Notizbuch, das in seiner Pariser Wohnung samt Computerfestplatten
beschlagnahmt wurde, stehen rund zehn Klarnamen von potenziellen Zeugen für
das Verfahren in Stuttgart. Woher er sie hatte, ist nicht bekannt. In
Mbarushimanas E-Mail-Postfach befanden sich Nachrichten von Murwanashyakas
Anwalt in Deutschland. UN-Mitarbeiter bestätigen auch, dass es "undichte
Stellen" innerhalb der UN-Mission im Kongo (Monusco) gebe.
## "Abteilung für Zeugenbeeinflussung"
Aus FDLR-Kreisen wird bestätigt, dass in Nord-Kivu eine Abteilung für
Zeugenbeeinflussung eingerichtet und mit tausenden US-Dollar ausgestattet
wurde. "Die Miliz hat viel Geld", bestätigt R. "Sie kann Kongolesen
bezahlen, sie hat viele Kontakte."
R. bekam vor Monaten Todesdrohungen von einem FDLR-Mitglied, per SMS. Er
ging in die Offensive, rief den Absender an. Der erklärte sich bereit,
seine Auftraggeber zu nennen - gegen Geld. Das Geschäft kam nicht zustande.
Der Mord auch nicht.
Nicht alle hatten so viel Glück. Ehemalige FDLR-Kämpfer, die nach Ruanda
desertiert sind, haben von ihren Exgefährten im Dschungel Todesdrohungen
erhalten. Vor wenigen Monaten erhielt ein Exkommandeur eine Nachricht: Sein
Bruder, der nach wie vor in der FDLR war, wurde aus Rache ermordet.
"Die FDLR ist eine aktive Armee", erklärt R. "Sie hat selbst in Goma Leute
unter Waffen. Viele FDLR-Mitglieder ließen sich vor Kongos Wahlen in die
Wahlregister eintragen, sie haben jetzt kongolesische Ausweise, sie können
sich überall frei bewegen."
## Mbarushimana könnte Zeugen und Opfer einschüchtern
Kongolesische FDLR-Opfer, die als Nebenkläger in Den Haag auftreten, haben
verlangt, Mbarushimanas Freilassung auszusetzen, weil er Zeugen und Opfer
"einschüchtern und eliminieren" könnte. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Dabei
hatte noch im August eine Berufungskammer eine vorläufige Freilassung
Mbarushimanas aus der Untersuchungshaft mit der Begründung verweigert, der
Ruander verfüge über die Mittel, "die Ermittlungen zu stören, Verbrechen zu
begehen und sich abzusetzen, mit der finanziellen Unterstützung des
internationalen Netzwerkes der FDLR." Aber jetzt interessiert das das
Weltgericht nicht mehr.
R. fürchtet noch etwas: Dass Mbarushimana jetzt vom Strafgerichtshof
Haftentschädigung erstreitet. Dann wäre die Weltjustiz ein Mitfinanzier
einer Miliz, die auf internationalen Terrorlisten steht und mit
UN-Sanktionen belegt ist. Gegen Mbarushimana gelten weiterhin Reiseverbote
und Kontensperrungen des UN-Sicherheitsrats. Solange die nicht aufgehoben
sind, kann Den Haag ihn nicht entlassen. Das zuständige UN-Sanktionskomitee
ist jetzt der letzte Schutz, der den Zeugen bleibt.
23 Dec 2011
## AUTOREN
D. Johnson
S. Schlindwein
## TAGS
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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