# taz.de -- Netzaktivisten und syrischer Widerstand: Revolte aus dem Hinterhof | |
> Vor einem Jahr begann der Aufstand in Syrien. Die Aktivisten von „Adopt a | |
> Revolution“ in Berlin unterstützen ihn – mit Informationen und Geld. | |
Bild: Amnesty International zündete Kerzen in Sidney, um gegen die Gewalt in S… | |
BERLIN taz | Es ist ein karges Büro in Berlin, in dem sie zusammensitzen. | |
Der Boden grellgelb, die Fenster groß, die Räume weit. Elias Perabo und | |
Aktham Abazid haben ihre Laptops aufgeklappt. Hozan Ibrahim schaut | |
unentwegt auf sein Handy. | |
Im Minutentakt klingen die Telefone der drei Männer. Ein Gespräch ist kaum | |
möglich. Wieder ein Anruf, eine SMS, wieder eine Mail aus Syrien. Hozan | |
Ibrahim sieht müde aus. Blut, zerschossene Häuser, Leichenteile. Das sieht | |
er gerade wieder auf seinem Telefon, auf den Fotos, die ihn aus Homs | |
erreichen. | |
Hozan Ibrahim ist Mitglied im oppositionellen Syrischen Nationalrat. Dort | |
vertritt er die Interessen lokaler, als Graswurzelbewegung organisierter | |
Komitees. Die syrische Realität lässt ihm keinen Platz mehr für | |
Nebensächlichkeiten, auch nicht in dieser glatten deutschen Großstadtwelt, | |
in der es für Aufregung sorgt, wenn die S-Bahn wieder nicht pünktlich | |
kommt. | |
Ein Jahr ist es nun her, dass sich in syrischen Städten oppositionelle | |
Gruppen und immer mehr Menschen auf die Straßen getraut haben, um gegen das | |
Regime von Baschar al-Assad zu kämpfen. Seitdem hat sich die Situation | |
dramatisch zugespitzt. Und während die Lage in Syrien immer hoffnungsloser | |
zu werden scheint, erreicht der Widerstandskampf inzwischen auch Europa. | |
## Es geht nicht um Pflaster und Medizin | |
100.000 Euro haben Elias Perabo und Aktham Abazid seit Anfang des Jahres | |
gesammelt, in einer Solidaritätskampagne, wie es sie seit Langem in | |
Deutschland nicht mehr gegeben hat. Rund 1.300 Unterstützer haben die | |
beiden geworben. Es geht ihnen nicht um Pflaster oder Medizin. | |
Es geht um Geld, das direkt in den syrischen Widerstand fließt: | |
Internetanschlüsse und Digitalkameras, geheime Wohnungen für verfolgte | |
Aktivisten des unbewaffneten Aufstands finanzieren sie mit ihrer Kampagne | |
„[1][//www.adoptrevolution.org/:Adopt a Revolution]“ laut eigener Aussage. | |
Dreißig lokale Untergrundkomitees in Syrien unterstützen sie angeblich. | |
Das Prinzip ist einfach: Die Kampagne sammelt Geld und verteilt es an die | |
drei großen Netzwerke der syrischen Oppositionellen, deren Vertreter im | |
Exil eng mit den Berlinern zusammenarbeiten. Die Netzwerke leiten das Geld | |
an lokale Gruppen in ganz Syrien weiter, die dann online darüber berichten, | |
was sie mit dem Geld gemacht haben. | |
## Keine buchhalterische Frage | |
Und das Prinzip ist erfolgreich. Ein erster Ableger des Projekts hat nun in | |
den Niederlanden die Arbeit aufgenommen. Auch aus Schweden und den USA gibt | |
es Anfragen von Aktivisten, die die Idee kopieren wollen. Elias Perabo, | |
Aktham Abazid und ihre Unterstützer wollen denjenigen helfen, die noch an | |
einen unbewaffneten Konflikt glauben, sagen sie. | |
Man kann das schwer prüfen, nur glauben. Aber dies ist ohnehin keine Sache | |
mehr, die sich nach deutschen Maßstäben verhandeln lässt. Es geht hier | |
nicht um die Buchhaltungsmaßstäbe deutscher Nichtregierungsorganisationen, | |
sondern um die Frage, über welche Geschäftsleute sich heimlich Geld ins | |
Land bringen lässt und an welchen syrischen Grenzen Schmuggler noch die | |
größten Chancen haben, unentdeckt zu transportieren, was die syrische | |
Widerstandsbewegung braucht. | |
Aktham Abazid war 26 Jahre alt, als er vor zwölf Jahren Syrien verließ. | |
„Wer nicht korrupt und hörig ist, hatte dort keine Perspektive“, sagt er. | |
In Greifswald, Witzenhausen und Berlin studierte er ökologische | |
Agrarwissenschaft und Umweltplanung. Doch seine Mutter, seine Schwester, | |
viele Verwandte leben noch im Süden Syriens, in Daraa. | |
## Eine echte Solidaritätskampagne | |
Mit Perabo, Ibrahim und anderen sammelt Abazid heute Geld. Dies ist keine | |
Werbekampagne, kein Bewusstseinsprojekt oder ein milder Aufruf, sondern | |
eine Sache, die fast ein wenig aus der Mode gekommen war: eine echte | |
Solidaritätskampagne. Es ist eine Arbeit, die syrische Geheimdienstler auch | |
in Deutschland interessieren dürfte. | |
Es war im August letzten Jahres, als Aktham Abazid seinen Cousin in seiner | |
syrischen Heimat am Telefon bat, auf seine Mutter achtzugeben. Einen Tag | |
später wurde sein Cousin verhaftet. Als er nach über fünf Monaten Haft | |
entlassen wurde, fehlten ihm Fingernägel und Zähne. „Ich habe mich seither | |
nicht mehr getraut, ihn anzurufen, weil ich Angst habe, dass ihm wieder | |
etwas passieren könnte“, erzählt Abazid. | |
Erst vor einigen Monaten wurde in Deutschland der syrischstämmige | |
Menschenrechtler Ferhad Ahma, ein Beiratsmitglied des Projekts, überfallen | |
und verprügelt, mutmaßlich im Auftrag syrischer Behörden. So nah ist der | |
Kampf um Syrien gekommen. | |
Elias Perabo ist der Initiator der Kampagne, für die er nun um | |
„Revolutionspaten“ wirbt. Seit er einige Monate in der Region war, lässt | |
ihn die Arabellion nicht mehr los. Neulich noch lief er im Wendland zum | |
Schottern an die Gleise. Inzwischen erklärt er Berliner | |
Hauptstadtjournalisten in der Bundespressekonferenz, warum es nötig ist, | |
dass jetzt Geld von der deutschen Zivilgesellschaft an die syrische | |
Zivilgesellschaft fließt. „Wenn jetzt die Menschen in ihren Kämpfen nicht | |
unterstützt werden, sind sie verloren“, sagt er. Er kämpft für sie mit. | |
Außenposten: Berlin. | |
16 Mar 2012 | |
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## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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