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# taz.de -- Flucht aus Syrien: „Der Schmerz ist einfach zu groß“
> Die Geschichte einer Studentin aus der Universitätsstadt Aleppo, die
> auszog, ihr Land zu verändern. Auch nach der Flucht aus Syrien ist Hadil
> Kouki nicht sicher.
Bild: Die syrische Studentin Hadil Kouki wird auch in Ägypten noch verfolgt.
KAIRO taz | Auch wenn sie es zu kaschieren versucht, unter ihrem Make-up
sind die schillernden Farben des Blutergusses am Auge noch zu erkennen. Das
war der Grund, warum die syrische Studentin Hadil Kouki das Gespräch in
Kairo mehrere Tage hinausgezögert hatte. Die Aktivistin wollte nicht mit
ihrem entstellten Gesicht erscheinen.
Vereinbart wurde das Ganze durch einen Mittelsmann. Hadils Adresse bleibt
geheim. Die christliche Syrerin lebt jetzt in einem Kloster in Ägypten und
versucht, das Land zu verlassen. Was Hadil Anfang März passiert ist, zeigt,
dass der lange Arm des Regimes Assads auch bis in die arabischen
Nachbarstaaten reicht: Vor drei Monaten musste die junge Frau aus Aleppo im
Norden Syriens fliehen.
In der ägyptischen Hauptstadt glaubte sie sicher zu sein. Doch dann traten
drei Männer um vier Uhr morgens die Haustüre ihrer Kairoer Wohnung ein.
Einer hielt der 20-Jährigen den Mund zu, die anderen prügelten auf sie ein.
„Sie haben gesagt, das sei nur der Anfang“, erzählt Hadil. „Ich war zwar
vorher schon bedroht worden, dass man mich töten oder mir Säure ins Gesicht
schütten wolle, aber das hatte ich nicht sonderlich ernst genommen“, sagt
sie.
Sie wirkt sehr studentisch mit ihre großen Umhängetasche, wenngleich für
ihr Alter etwas zu ernst. Ihr schmales Gesicht drückt eine besondere
Entschlossenheit aus.Die Geschichte, die sie schließlich zur Flucht zwingt,
beginnt Anfang letzten Jahres. „Wir haben die Revolutionen in Tunesien und
Ägypten gesehen und haben uns gesagt, auch bei uns muss etwas geschehen“,
erinnert Hadil sich.
Zusammen mit Studienkollegen von der Universität Aleppo taten sie das bis
dahin Undenkbare: Sie verschickten Erklärungen gegen das Regime über das
Internet und organisierten kleinere Demonstrationen. Später schmuggelte sie
Medikamente von der türkischen Grenze in die aufständischen Gebiete nach
Homs und Hama.
Die Antwort des Regimes blieb nicht aus: Die Studentin wurde dreimal
verhaftet. Das erste Mal, im März, sperrten die Sicherheitsbehörden des
Militärs sie 40 Tage lang ein.
Hadil: „Die Zustände im Gefängnis waren hart, wir wurden verbal gedemütigt
und auch gelegentlich geschlagen.“ Bei den nächsten beiden Malen waren die
Aufenthalte zwar kürzer, dafür aber viel brutaler. Sie wurde mit
Elektroschocks gefoltert. „Das hinterlässt körperliche und seelische Spuren
in dir“, sagt Hadil, ohne näher darauf einzugehen.
Als die junge Syrerin entlassen wurde, machte sie trotzdem weiter. Hatte
sie keine Angst? „Natürlich, ich bin eigentlich kein besonders mutiger
Mensch“, antwortet sie. Aber sie habe gesehen, wie andere Menschen sich
gewehrt haben, verhaftet und getötet worden sind.
„Das setzt eine unglaubliche Kraft in dir frei und du traust dich Dinge“,
erklärt sie, „die du dir vorher noch nicht einmal vorstellen konntest.“
Beim Medikamentenschmuggel wurde einer ihrer Freunde dann an einer
Straßensperre erwischt. Die Angst, dass er die ganze Gruppe unter Folter
verraten würde, war zu groß. Hadil ging illegal über die Grenze, sie
flüchtete über den Libanon nach Ägypten.
## Frauen im Widerstand
Frauen, sagt sie, spielen in dem Aufstand gegen das syrische Regime eine
wichtige Rolle. Sie demonstrieren, organisieren Hilfslieferungen für die
Aufständischen, verstecken sie.
Die Amateurvideos auf YouTube zeigen, dass der Widerstand gegen das Regime
Assad auch weiblich ist. Auf manchen sind Frauen zu sehen, die verletzte
Demonstrantinnen davontragen. Andere Videos berichten von reinen
Frauendemonstrationen in Homs oder Banias.
Frauen wie die Aktivistin Suhair Attasi gehören zu den führenden
Persönlichkeiten des Aufstands, genauso wie die Damaszener Anwältin Razan
Zeitouneh. Letztere sei ihr großes Vorbild, erzählt Hadil. Sie habe nie
Angst gezeigt, offen geredet und sei im Land geblieben. An ihrem Mut
könnten sich viele eine Scheibe abschneiden, meint sie.
## Propaganda des Regimes
Die Regimepropaganda versuche zu vermitteln, dass es sich bei den
Aufständischen um bewaffnete islamistische Extremisten handle. Aber das
stimme nicht, Frauen seien von Anfang an dabei gewesen. Natürlich gebe es
unter den Aufständischen auch welche, die die Frauen zur Seite drängen
wollten.
Hadil macht sich keine Illusionen: „Der Kampf der Frauen um ihre Stellung
in Gesellschaft und Politik wird sicherlich auch nach dem Aufstand
weitergehen“, sagt sie.
Hadil hatte auch in ihrer eigenen christlichen Gemeinde mit der Sorge zu
kämpfen, dass die Islamisten nach der Assad-Zeit die Macht übernehmen
könnten und die Lage der christlichen Minderheiten schwieriger werde.
## Ungewisse Zukunft
„Meine Antwort darauf war immer die gleiche“, schildert die zierliche junge
Frau: „Dann macht eben auch als Christen am Aufstand mit, damit er
pluralistischer wird“.
Sie ist stark, jung und mit doch so viel prägender Erfahrung. Sie antwortet
energisch, ohne zu zögern. Nur auf die Frage, wie es denn jetzt persönlich
für sie weitergeht, kommt Hadil ins Stocken. Keiner wisse, wie es
weitergehe.
„Ich musste mein Land, meine Familie und meine Freunde verlassen“, fasst
sie zusammen. Dann laufen der scheinbar unerschrockenen jungen Frau Tränen
über die Wange.
## Studium abgebrochen
„Das Schlimmste ist, dass ich mein Studium der englischen Literatur nicht
weiterführen kann, meine Kommilitonen sind jetzt im sechsten Semester“.
Nach einer kurzen Pause entschuldigt sie sich, die Fassung verloren zu
haben: „Eigentlich ist das alles nicht so schlimm, verglichen mit den
vielen, auch jungen Menschen, die ihr Leben in diesem Aufstand gelassen
haben“.
Noch vor einem Jahr war Hadil eine ganz normale Studentin. „Seit dem
Aufstand bin ich um zwanzig Jahre gealtert“, sagt sie. Dann blickt sie ins
Leere, schweigt eine Zeit lang und weint still vor sich hin – die
20-jährige Syrerin, die vor einem Jahr auszog, um ihr Land zu verändern und
die seitdem so viel erlebt hat, wie andere nicht in ihrem ganzen Leben.
Nach einer Weile merkt sie, dass sie mitten im Gespräch weggetaucht war.
„Das muss in Syrien einfach irgendwann einmal ein Ende haben“, sagt Hadil,
„der Schmerz ist einfach zu groß.“
13 Mar 2012
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
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