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# taz.de -- Nachwahl in Birma: Reformmotor und Feigenblatt
> Politisch unwichtig, symbolisch bedeutend. Der Reformprozess in Birma
> stützt sich derzeit vor allem auf zwei ungleiche Akteure: General Thein
> Sein und Aung San Suu Kyi.
Bild: Aung San Suu Kyi bewirbt sich zum ersten Mal um einen Sitz im Parlament.
## Der General: Thein Sein
Wie kein birmesischer Exgeneral vor ihm hat Thein Sein sein Schicksal
ausgerechnet in die Hand der Oppositionspolitikerin und
Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gelegt. Es ist ihr Segen zu
seinen Reformen, den Thein Sein für den eigenen Erfolg als Präsident so
dringend benötigt. Damit erkennt der 66-Jährige indirekt an, dass er einen
wirklichen Wandel in seinem Land nur mit ihr zusammen und nicht gegen sie
durchsetzen kann. Die beiden Gleichaltrigen sind damit schicksalhaft
miteinander verbunden.
So muss Thein Sein, der bis vor einem Jahr der aus Exmilitärs und ihren
Cronies bestehenden Regierungspartei USDP (Union Solidarity and Development
Party) vorstand, jetzt auf einen Erfolg Suu Kyis und ihrer oppositionellen
NLD bei den Nachwahlen hoffen. Der Sieg ihrer Partei allein kann seinen
Reformen Glaubwürdigkeit verleihen, denn nur wenn die Lady den Wahlprozess
und die Ergebnisse anerkennt, hat Thein Sein Chancen, dass die westlichen
Staaten ihre Sanktionen schrittweise aufheben. Und nur so wird er als
erster ziviler Präsident nach einem halben Jahrhundert Militärherrschaft
sein heruntergewirtschaftetes Land entwickeln können.
Wenngleich weder der Erfolg seiner bisherigen Reformen noch ihre
Nachhaltigkeit gesichert sind, ist Thein Seins bisher größter Coup, die
Lady von seiner Ernsthaftigkeit überzeugt zu haben. Zwar wirkt der frühere
General mit seiner Brille und Glatze eher wie ein bescheidener und penibler
Buchalter und nicht wie ein mächtiger Schlächter in Uniform. Doch hatte er
in Birmas brutalem Militärregime Schlüsselstellungen inne.
So war er etwa Premierminister, als 2007 der friedliche Aufstand der Mönche
niedergeschlagen wurde. Die Bilder blutverschmierter Sandalen hatten damals
die Weltöffentlichkeit erschüttert. Auch war er dafür verantwortlich, dass
2008 ausländische Helfer nach dem verheerenden Zyklon „Nargis“ nicht
schnell ins Land gelassen wurden.
## Er kann zuhören
Das machte es alles andere als selbstverständlich, dass Suu Kyi ihm
vertraut. Doch nach Meinung vieler verfügt der aus dem Irrawaddy-Delta
stammende Thein Sein über eine ausgeprägte Gabe, zuhören zu können. Sein
Berater und Redenschreiber Nay Wing Maung charakterisierte ihn kürzlich
gegenüber der New York Times als „weder ehrgeizig noch entscheidungsfreudig
oder charismatisch, aber sehr aufrichtig und ehrlich“. Surin Pitsuwan,
thailändischer Generalsekretär der südostasiatischen Staatengemeinschaft
Asean, zu der Birma gehört, bezeichnet ihn als „sehr soft, sehr sanftmütig
und sehr vorsichtig“.
Das militärkritische südostasiatische Solidaritätsnetzwerk Altsean-Burma
nennt ihn „Mr. Clean“, weil er nicht so korrupt wie andere birmesische
Generäle sei. Ansonsten sei er „unterwürfig und nicht konfrontativ“.
Gegenüber dem früheren Militärdiktator Than Shwe, der Birma 19 Jahre lang
beherrschte, sei er ein „Jasager“ gewesen. Genau dieser Loyalität verdanke
Thein Sein, der laut Altsean-Burma in der Generalität nicht hoch angesehen
ist, überhaupt die Präsidentschaft. Von 2001 bis 2003 war er Than Shwes
Adjutant. Dieser versprach sich von ihm als Nachfolger einen ruhigen
Lebensabend.
Thein Sein selbst stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater, der
zeitweilig Mönch war, sonst Bambusmatten flocht und als Kuli Schiffe be-
und entlud, soll ihm hohe moralische Maßstäbe vermittelt haben. Der Armut
entkam der Sohn durch die Aufnahme an der Militärakademie und seinen
stetigen Aufstieg. Als General im nördlichen Shan-Staat soll er später
weniger brutal gewesen sein als seine Vorgänger und Nachfolger. Doch soll
er sich dort einmal laut Altsean-Burma nicht um Opfer eines
Flugzeugabsturzes gekümmert haben, sondern lieber Golfspielen gegangen
sein.
Zur heutigen Legende gehört, dass Thein Sein schon seit Jahren politische
Reformen befürwortet haben soll, gegenüber seinem Mentor Than Shwe, in
dessen Gegenwart nicht einmal der Name Suu Kyis erwähnt werden durfte, aber
machtlos gewesen sei. Als oberster Koordinator der Hilfsmaßnahmen nach dem
Zyklon „Nargis“ soll Thein Sein beim Flug über die zerstörten Gebiete, zu
denen sein Heimatdorf gehörte, gemerkt haben, dass sein isoliertes Land
sich öffnen müsse, um sich entwickeln zu können.
Ähnlich sollen sich seine Auslandsreisen ausgewirkt haben. Im feinen
Singapur etwa, wo sich Birmas Generäle wegen des maroden Gesundheitssystems
zu Hause gern behandeln lassen, bekam Thein Sein einen Herzschrittmacher.
Jetzt ist der voreilig schon als „Asiens Gorbatschow“ bezeichnete Exgeneral
der Schrittmacher des bisherigen Wandels in Birma. (von Sven Hansen)
## Die Lady: Aung San Suu Kyi
Birmas Bevölkerung schnuppert ein Stück Freiheit. Denn ihr Idol Aung San
Suu Kyi bewirbt sich bei den am 1. April anstehenden Nachwahlen im
Parlament um einen Sitz – zum ersten Mal überhaupt. Die Menschen pilgern
dorthin, wo die „Lady“ Reden hält; sie hoffen, dass die Freiheit Suu Kyis
gleichzeitig ein besseres Leben für das Volk bedeutet. Aus ihrem letzten
Hausarrest war Suu Kyi im November 2010 entlassen worden, kurz nach den
umstrittenen Parlamentswahlen.
Ihre Kandidatur hat Präsident Thein Sein ermöglicht (siehe oben). Er
billigte eine Gesetzesänderung, die Suu Kyi und ihrer „Nationalen Liga für
Demokratie (NLD) den Weg zurück in die politische Arena ebnete. „Ich halte
Thein Sein für ehrlich, hatte die 66-jährige Oppositionsführerin erklärt.
Dass sie dem Exgeneral vertraut und die marginale Chance nutzen will, die
sich angesichts der politischen Öffnung bietet, dürfte wesentliche
Motivation dafür sein, sich an den Nachwahlen zu beteiligen. „Suu Kyi denkt
immer zuerst an das Wohlergehen des Volkes“, sagt Zin Linn, in Thailand
lebender Publizist und Vizepräsident der Burma Media Association. Eine
härtere Linie zu vertreten, würde möglicherweise neues Blutvergießen
bedeuten.
Zugleich verweist er auf die „Sandwich-Situation“ der NLD. Diese muss nicht
nur dem Volk bzw. den in den Konfliktregionen lebenden ethnischen
Minderheiten gerecht werden. Sie muss auch vermeiden, jene Hardliner in
Regierung und Militär gegen sich aufzubringen, die sich im Dunstkreis des
früheren Juntachefs Than Shwe bewegen und die von Präsident Thein Sein und
Vertretern des Reformflügels initiierte Öffnung zu torpedieren suchen.
Suu Kyi scheint sich bewusst zu sein, dass sie als Feigenblatt für die
Legitimierung eines System missbraucht werden könnte, in welchem der
Machtanspruch des Militärs nach wie vor eine zentrale Rolle spielt. So
hatte die Friedensnobelpreisträgerin von 1991 deutlich gemacht, dass das
Thein Sein entgegengebrachte Vertrauen nicht unbedingt auch für andere in
der Regierung gelte. Kürzlich erst war ein Teil ihrer im Staatsfernsehen
ausgestrahlten Rede zensiert worden: Darin hatte Suu Kyi der früheren Junta
„Rechtlosigkeit“ vorgeworfen. Auch kritisierte sie, dass bereits vor den
Wahlen 2010 ein Viertel aller Sitze für Armeeangehörige reserviert worden
war. Gleichzeitig gab sie sich versöhnlich: Die Streitkräfte spielten eine
wichtige Rolle in der Entwicklung des Landes.
## Zufällige Ikone
Suu Kyi selbst wurde eher zufällig zur Demokratie-Ikone: Die Tochter des
1947 ermordeten Unabhängigkeitshelden Aung San verbrachte einen Teil ihrer
Jugend in Indien, wo ihre Mutter Botschafterin war. Später studierte sie im
englischen Oxford Philosophie, Politik und Wirtschaft. Mit ihrem Mann, dem
1999 verstorbenen britischen Tibetologen Michael Aris, bekam sie zwei Söhne
und lebte einige Zeit in Bhutan. Nach Birma kehrte sie 1988 zurück, um ihre
kranke Mutter zu pflegen.
In jenem Jahr hatten Studenten einen Volksaufstand gegen das Regime
initiiert, den die Militärs blutig niederschlugen. Suu Kyi selbst wurde im
Juli 1989 zum ersten Mal unter Hausarrest gestellt. Die Wahlen von 1990
gewann die NLD haushoch, aber die Generäle erkannten diesen Sieg nie an.
Der Einzug Suu Kyis ins Parlament bei den Nachwahlen gilt als sicher –
wobei die daraus resultierende Verantwortung schwer wiegen dürfte. Sie
wolle die Verfassung ändern, falls sie genug Unterstützung durch das Volk
und die ethnischen Minderheiten bekomme, so der Publizist Zin Linn. Die in
einem manipulierten Referendum 2008 durchgedrückte Abstimmung, die die
Rechte ethnischer Minderheiten beschneidet, erlaubt es der Armeeführung im
Falle einer Staatskrise, das politische Ruder an sich zu reißen. Auch
garantiert sie der früheren Junta Straflosigkeit für begangene
Menschenrechtsverletzungen.
Kritiker warnen vor dem Schwachpunkt des derzeitigen Reformprozesses: dass
er allein auf persönlichen Beziehungen basiere, wie zwischen Suu Kyi und
Thein Sein. „Wird der Prozess nicht institutionalisiert, besteht die
Gefahr, dass er zurückgenommen werden kann“, so der Analyst Aung Naing Oo.
Aung San Suu Kyi selbst bleibt ebenfalls vorsichtig: „Solange die Armee
nicht fest hinter der Demokratisierung steht, können wir nicht sagen, dass
wir den Punkt erreicht haben, an dem es kein Zurück mehr gibt.“ (von Nicola
Glass)
31 Mar 2012
## AUTOREN
S. Hansen
N. Glass
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