# taz.de -- Debatte Birma: Reformpoker der Generäle | |
> Hinter den überraschenden Reformen könnte nüchternes Kalkül der Militärs | |
> stecken. Trotzdem ist es eine Chance, die Unterstützung verdient. | |
Bild: Aung San Suu Kyi stößt bei den Minderheiten zwar auf Wohlwollen, doch w… | |
Der seit einem Jahr amtierende Präsident Birmas, Exgeneral Thein Sein, lud | |
vergangenen August überraschend die zuvor jahrelang weggesperrte | |
Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zu einem Gespräch ein. Über | |
Details wie mögliche Absprachen schweigen sich beide aus. | |
Doch seitdem findet in Birma ein erstaunlicher, bisher friedlicher Wandel | |
von oben statt: Hunderte politische Gefangene wurden freigelassen, die | |
Zensur wurde gelockert, Suu Kyis Oppositionspartei NLD wieder zugelassen | |
und ihre Kandidatur bei Wahlen erlaubt. Gespräche mit ethnischen | |
Rebellengruppen wurden wieder aufgenommen und ein umstrittenes chinesisches | |
Staudammprojekt ausgesetzt. | |
Zwar ist die Umsetzung vieler Reformen zu bemängeln, so wurde etwa Suu Kyis | |
Wahlkampfrede im Fernsehen zensiert. Doch sind die Reformen nicht nur | |
begrüßenswert, sondern fast unglaublich angesichts jahrelanger Agonie unter | |
der vorherigen Junta, deren Premier Thein Sein zuletzt war. | |
## „Garnisonsstaat“ ohne Zukunft | |
Alle Reformen sind noch umkehrbar. Kritiker sprechen deshalb lieber von | |
einer Reduzierung der Kontrolle als von wirklicher Transformation. Militärs | |
und Exmilitärs geben im Parlament weiter den Ton an, woran auch die | |
jetzigen Nachwahlen nichts ändern. Die Verfassung garantiert die Macht der | |
Generäle. Sie haben mit einer 25-Prozent-Quote der Sitze eine | |
Sperrminorität und bei Verfassungsänderungen und „Gefährdung der nationalen | |
Sicherheit“ das Recht, die zivile Regierung abzusetzen. Die bisherigen | |
Reformen sind also weder rechtlich gesichert noch hat die Entmachtung des | |
Militärs ernsthaft begonnen. | |
Beobachter sind uneins, welches Kalkül hinter den Reformen steckt. | |
Beteuerungen von Regierungsmitgliedern, die Generäle hätten nie dauerhaft | |
die Macht behalten wollen, sind wegen der auf das Militär maßgeschneiderten | |
Verfassung unglaubwürdig. Unstrittig ist, dass der neue Präsident Thein | |
Sein liberaler ist als der frühere Juntachef Than Shwe. | |
Als dessen Premier kam Thein Sein mehr in der Region herum als sein | |
abergläubischer Boss und konnte sehen, wie Birma immer mehr zurückfiel. Die | |
Generäle dürften auch angesichts des Arabischen Frühlings gemerkt haben, | |
dass ihr „Garnisonsstaat“ auf Dauer nicht zukunftsfähig ist. | |
Um Birma zu modernisieren und Zugang zu internationaler Hilfe und | |
Investitionen zu bekommen, muss Thein Sein die Sanktionen des Westens | |
loswerden. Dafür ist ein liberalerer Umgang mit der Opposition nötig. Wie | |
viel Rückhalt er dafür im Militär hat, ist unklar, ebenso, wie stark dies | |
zwischen Reformern und Hardlinern gespalten ist. | |
Thein Sein ist schwächer als sein Vorgänger Than Shwe. Der installierte bei | |
seinem altersbedingten Rückzug konkurrierende Machtzentren, um sich selbst | |
vor späterer Verfolgung zu schützen. Ob sich Suu Kyi von Thein Sein für die | |
Reformen den Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung früherer | |
Juntamitglieder abhandeln ließ, sollte die NLD einmal die Macht übernehmen, | |
ist unklar. | |
## Versuch der Neutralisierung? | |
Strittig ist, ob die Reformen vor allem auf die Kooptierung Suu Kyis | |
zielen. Dafür spricht, dass ihr gar ein Regierungsamt in Aussicht gestellt | |
wurde. Auch verstehen die Militärs, dass sie wegen der Lage ihres Landes | |
zwischen China, Südostasien und Indien deren Interessen gegeneinander | |
ausspielen können. Zudem wissen die Generäle, dass westliche Regierungen | |
zwar gern Demokratie und Menschenrechte einfordern, dies aber | |
vernachlässigen, sobald es um ihre strategischen Vorteile geht. So könnten | |
die Reformen ein Versuch sein, um Suu Kyi zu neutralisieren, mit dem Westen | |
ins Geschäft zu kommen und zugleich die Abhängigkeit von China zu | |
reduzieren. | |
Mit der Suspendierung des chinesischen Staudammprojekts signalisiert Birma, | |
sich aus der Umklammerung des mächtigen Nachbars befreien zu wollen. | |
Unmittelbar nachdem US-Präsident Obama Asien zur für Washington wichtigsten | |
Weltregion erklärt hatte, reiste Außenministerin Clinton als höchste | |
US-Vertreterin seit 50 Jahren nach Birma. Von diesem neuen Wettbewerb um | |
Einfluss in Birma dürfte das dortige Militär profitieren, wenn etwa | |
Washington wegen der Konkurrenz zu Peking zweimal überlegt, ob es auf | |
völliger Entmachtung der Generäle bestehen sollte. | |
## Konflikte mit den Rebellen | |
Diese dürften Thein Sein auch deshalb gewähren lassen, weil sie sein | |
Experiment jederzeit beenden können. Sie müssen ohnehin nur das Ende seiner | |
Amtszeit 2015 abwarten. Der herzkranke 66-Jährige will dann abtreten. | |
Manche halten die Reformen deshalb nur für ein taktisches Spiel nach dem | |
Motto „good cop, bad cop“, bei dem sich Reformorientierte und Hardliner | |
gegenseitig ergänzen. Oder sie sehen Thein Sein gleich als Marionette. | |
Den Generälen könnte zudem helfen, wenn Suu Kyi in der praktischen Politik | |
entzaubert werden sollte. Oder sich die Opposition weiter spaltet, weil der | |
äußere Druck abnimmt und interne Widersprüche deutlicher werden. Dann | |
könnten die Statthalter des Militärs gar als „Reformer“ die Wahlen 2015 | |
wieder gewinnen. | |
Noch schwerer zu lösen als der Machtkampf zwischen Generälen und | |
Demokratiebewegung ist der Konflikt mit den Rebellenarmeen der ethnischen | |
Minderheiten. Diese kämpfen seit mehr als fünfzig Jahren gegen die | |
Zentralregierung, die ihnen einst weitgehende Rechte in einem Föderalstaat | |
versprach, davon aber wieder Abstand genommen hatte – und seither versucht, | |
die Minderheiten gewaltsam dem Zentralstaat unterzuordnen. Suu Kyi stößt | |
bei den Minderheiten zwar auf Wohlwollen, doch wird sie auch als | |
Vertreterin der dominanten Birmanen gesehen. | |
Der erst am Anfang stehende Reformprozess ist trotz der vielen Risiken | |
Birmas größte Reformchance seit mehr als zwei Jahrzehnten und verdient | |
deshalb Unterstützung. Dabei sollte – trotz ihrer großen Verdienste – | |
weniger die Ikone Suu Kyi im Zentrum stehen, als vielmehr | |
basisdemokratische und zivilgesellschaftliche Kräfte. Dass zwischen Thein | |
Sein und Suu Kyi offenbar ein Vertrauensverhältnis besteht, ist hilfreich. | |
Doch müssen die Reformen unabhängiger von Persönlichkeiten und stärker | |
institutionalisiert werden. Dabei wird es auf die Kräfte vor Ort ankommen. | |
30 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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