# taz.de -- Birma öffnet sich: Hoffnung unter der Pagode | |
> Bei den Wahlen in Birma darf die Friedensnobelpreisträgerin und ehemalige | |
> Staatsfeindin Nr. 1, Aung San Suu Kyi, antreten. Die Bevölkerung bleibt | |
> skeptisch. | |
Bild: Aung San Suu Kyi wird in Birma wie eine Heldin verehrt. | |
RANGUN taz | Auf den Straßen von Birmas früherer Hauptstadt Rangun ist von | |
den Veränderungen der vergangenen Monate auf den ersten Blick nur wenig zu | |
erkennen. Verkäuferinnen sitzen zwischen zerfallenden Kolonialbauten auf | |
der Straße und bieten Obst, Gemüse und Fleisch an. | |
Klapprige Autos schieben sich hupend durch den chaotischen Verkehr. | |
Motorräder und Fahrräder sind nicht zu sehen: Sie sind, wie zu Zeiten der | |
Militärjunta, in Ranguns Innenstadt verboten. Allzu mobil sollen die | |
Bewohner der ehemaligen Hauptstadt offenbar auch weiterhin nicht sein. | |
Die Stände einiger weniger Straßenhändler zeugen dann doch davon, dass es | |
Veränderungen gegeben hat. Auf ihnen liegen Bilder von Demokratieführerin | |
Aung San Suu Kyi zum Verkauf aus. Noch vor wenigen Wochen hätten | |
Mitarbeiter des Geheimdienstes die Händler sofort festgenommen. | |
"Ich verkaufe rund 50 Suu-Kyi-Bilder am Tag", sagt eine Verkäuferin. Einige | |
Straßen weiter reagiert eine andere Händlerin nervös. Wieso die Fragen? | |
"Das hier ist sehr gefährlich!", gibt sie zu verstehen und winkt ab. Ihre | |
Reaktion spiegelt die allgemeine Stimmung in Birma - das heute offiziell | |
Myanmar heißt - gut wider: Die Menschen beobachten die Entwicklungen | |
aufmerksam, manche testen die Grenzen der neuen Freiheiten mutig aus. | |
Wirklich davon überzeugt, dass sich die Dinge unumkehrbar geändert haben, | |
ist jedoch kaum jemand. Allzu oft hat das Militär in der Vergangenheit | |
vermeintliche Tauwetterphasen mit brutaler Gewalt beendet. Eingeleitet hat | |
die Veränderungen Birmas Präsident Thein Sein. Seit der ehemalige General | |
im März 2011 sein Amt angetreten hat, haben die Behörden mehrere hundert | |
politische Gefangene aus der Haft entlassen und die Pressezensur | |
entschärft. | |
## Friedensnobelpreisträgerin im Wahlkampf | |
Der Präsident hat sich mit Demokratieführerin Aung San Suu Kyi getroffen | |
und sie eingeladen, sich am politische Prozess zu beteiligen. Mit Erfolg: | |
Suu Kyi reist gerade durch das Land und macht Wahlkampf für ihre | |
Nationalliga für Demokratie (NLD). Bei den Nachwahlen im Zentralparlament | |
Anfang April tritt auch die berühmteste ehemalige politische Gefangene des | |
Landes als Kandidatin an. | |
Auf dem Gelände der Schwedagonpagode, dem wichtigsten religiösen Gebäude | |
des Landes, sitzt der junge Mönch auf einer Treppenstufe. Die | |
goldüberzogene, 30 Meter hohe Stupa der Pagode ist das weithin sichtbare | |
Wahrzeichen des Landes. Genau hier, am Mittelpunkt des birmesischen | |
Buddhismus, haben 2007 die Massenproteste der Mönche in Rangun ihren Anfang | |
genommen. | |
Der junge Mönch war damals unter den Demonstranten. Tiefe Narben an seinem | |
Kopf zeugen davon, was sich damals hier abgespielt hat. "Sie haben viele | |
Mönche getötet, und auch viele Studenten. Ich habe gesehen, wie sie zwei | |
Mönche und einen Studenten erschossen haben. Es war wirklich schrecklich." | |
## Leben in Angst | |
Daran, dass sich in seinem Land ein wirklicher Wandel vollzieht, glaubt der | |
junge Mönch nicht. "Es gibt keinen Frieden und keine Freiheit. Hier in | |
Rangun kontrolliert die Regierung weiterhin alles. Die Menschen fühlen sich | |
weiter eingesperrt. Wir leben hier in Angst." | |
Für Schwester Martha hat sich die Lage in den vergangenen Monaten hingegen | |
deutlich verbessert. Die katholische Nonne ist Birmanin, relativ klein und | |
hat graumelierte Haare. Im Jahr 2002 hat sie begonnen, sich in einer | |
Kleinstadt rund 220 Kilometer südöstlich von Rangun um HIV-Kranke zu | |
kümmern. Damit begab sie sich auf einen direkten Konfrontationskurs mit dem | |
damaligen Regime. Denn offiziell gab es damals kein HIV in Birma. Wegen der | |
"konservativen Kultur" sei die Krankheit nicht nach Birma gekommen, | |
erklärten damals die Behörden. | |
"Ich habe mein Leben riskiert", sagt Schwester Martha. Doch inzwischen muss | |
sie nicht mehr heimlich arbeiten. Sie hat ein Heim gegründet und versorgt | |
derzeit 55 HIV-Patienten mit Medikamenten. Mit den Behörden hat sie keine | |
Probleme mehr. "Der Wandel vollzieht sich jetzt wirklich schnell", sagt | |
Schwester Martha. "Die Menschen sind darüber sehr froh." Auch die Haltung | |
der Beamten gegenüber den Menschen habe sich stark geändert. | |
## Bürgerkrieg nach jahrelangem Waffenstillstand | |
"Wenn wir zu den Behörden gehen, sehen wir den Wandel sofort! Früher waren | |
die Behörden immer skeptisch gegenüber Nichtregierungsorganisationen." | |
Heute räumten die Behörden sogar offen ein, dass sie den Menschen ohne die | |
Unterstützung von Organisationen wie der von Schwester Martha nicht helfen | |
könnten. "Wir wissen aber nicht, wie lange der Wandel anhalten und wie weit | |
er gehen wird. Aber wir hoffen das Beste." | |
Einige Entwicklungen zeugen jedoch überdeutlich davon, dass Birmas | |
autoritäre Vergangenheit noch nicht vorbei ist. Im nördlichen Staat Kachin | |
tobt ein Bürgerkrieg zwischen der Armee und der Rebellenarmee einer | |
ethnischen Minderheit. Die Kämpfe sind nach einem jahrelangen | |
Waffenstillstand erst während der Amtszeit von Präsident Thein Sein von | |
Neuem voll entfacht. | |
Übereinstimmende Berichte und Aufnahmen aus dem Konfliktgebiet zeugen | |
davon, dass Birmas Soldaten dort Zivilisten und vermeintliche Rebellen | |
foltern und exekutieren, Zivilisten zu Zwangsarbeit verpflichten, Frauen | |
vergewaltigen und Dörfer beschießen. Verhandlungen zwischen der Regierung | |
und Vertretern der Rebellen haben nichts daran geändert, dass sich die | |
Kämpfe fortsetzen. | |
15 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Daniel Becker | |
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