# taz.de -- Mögliche „Dänenampel“ in Kiel: Das kalkulierte Wagnis | |
> SPD-Spitzenmann Albig will die hauchdünne linke Mehrheit in | |
> Schleswig-Holstein nutzen und setzt auf ein Bündnis mit Grünen und SSW. | |
> Das könnte klappen. | |
Bild: Wichtiger Besuch spät am Abend: Torsten Albig (SPD, l.) und Robert Habec… | |
KIEL/BERLIN taz | Die wichtigsten Gäste der Grünen-Wahlparty kamen ganz am | |
Schluss: Robert Habeck war bereits für eine improvisierte Rede auf einen | |
Stuhl gestiegen, seine Parteifreunde hatte ihn hochgewuchtet und auf Händen | |
ins Restaurant in der Kieler Innenstadt getragen. Dann tauchten am späten | |
Sonntagabend Torsten Albig und Ralf Stegner auf, zwei Sozialdemokraten – | |
der Spitzenkandidat und sein mächtiger Landeschef. | |
Zusammen zu feiern ist in diesem Fall mehr als eine Sympathiebekundung. Am | |
Montag steht Grünen-Spitzenmann Habeck in der Berliner Geschäftsstelle | |
seiner Partei, direkt neben der strahlenden Claudia Roth, und erklärt, wie | |
SPD und Grüne das Land regieren wollen. „Ein Schleswig-Holstein-Bündnis | |
wird belastbar sein, wenn es gelingt, eine inhaltliche Verabredung zu | |
treffen, die ein solches Bündnis belebt.“ | |
Schleswig-Holstein-Bündnis oder -Ampel – das ist das Label für Rot-Grün | |
plus dem Südschleswigschen Wählerverband, kurz SSW. Weil Habecks und Albigs | |
Parteien allein keine Mehrheit haben, brauchen sie die viereinhalb | |
Prozentpunkte der Partei der dänischen Minderheit. Der SSW, eine regionale | |
Besonderheit Schleswig-Holsteins, soll Rot-Grün Leben einhauchen. „Wir | |
werden einen Koalitionsvertrag zimmern, der fünf Jahre hält“, versprach | |
Albig, der in dieser Koalition Ministerpräsident wäre, gestern. | |
Dieses Dreierbündnis zu schmieden, ist ein Wagnis, einerseits. Die Mehrheit | |
von einer Stimme ist hauchdünn. Drei Mitspieler sind komplizierter zu | |
koordinieren als zwei. Der SSW hat in der Geschichte des Landes seit seiner | |
Gründung 1947 noch nie regiert. Andererseits gibt es große Schnittmengen | |
zwischen den dreien. Albig hat keine Lust, in einer großen Koalition unter | |
dem CDU-Mann Jost de Jager zu dienen. | |
Und weder Albig noch Habeck wollen in einer Ampel mit der inhaltlich | |
komplett anders tickenden FDP experimentieren. „Die FDP ist der letzte | |
Koalitionspartner, über den wir nachdenken“, beteuerte Habeck. Und rattert | |
aus dem Stegreif ein halbes Dutzend Punkte runter, die die FDP verbrochen | |
hat und die rückgängig gemacht werden müssten. | |
Hinzu kommt: Die pragmatischen Landes-Piraten kündigen bereits an, einen | |
Ministerpräsidenten Albig mitzuwählen, wenn ihnen der Koalitionsvertrag | |
gefällt. Es ist also ein überschaubares Risiko, das SPD, Grüne und SSW | |
zusammen eingehen. Ein Wagnis, aber gut kalkuliert – mit piratigem | |
Sicherheitspolster. | |
## Viel Verbindendes, wenig Trennendes | |
Noch in dieser Woche wollen die drei Parteien Schnittmengen sondieren. | |
Dann, sagte Habeck, könnten schon Anfang kommender Woche Parteitage über | |
Koalitionsverhandlungen entscheiden. Dabei gibt es viel Verbindendes und | |
wenig Trennendes: Alle drei haben Bildung als Schwerpunkt bestimmt und sind | |
für längeres gemeinsames Lernen. | |
Die wichtigste Forderung des SSW – dänische Schulen so zu fördern wie | |
deutsche – wollen SPD und Grüne erfüllen. Das haben sie bereits vorab | |
zugesagt. Uneins sind die Parteien beim Bau einer festen | |
Fehmarnbelt-Querung: Der SSW will die Verbindung nach Dänemark, die SPD ist | |
zögerlich, die Grünen sind dagegen. Für dieses Strukturprojekt wäre jedoch | |
eh der Bund zuständig – es wird das Tagesgeschäft der Koalition im Land | |
nicht berühren. | |
Die Energiewende wollen alle drei voranbringen. SPD und SSW haben sich | |
zudem für eine bessere Förderung sozialer Einrichtungen starkgemacht, die | |
Grünen weisen stets auf die klamme Finanzlage hin. So gehen sie mit einer | |
klaren Linie in Verhandlungen, während die SPD mit dem einen oder anderen | |
Wahlversprechen Probleme bekommen könnte. Nicht die Wahl des | |
Ministerpräsidenten wäre also die harte Realitätsprobe für das | |
Dreierbündnis, sondern vielmehr die Verabschiedung des nächsten Haushalts. | |
Denn dann entscheidet sich, wer seiner Klientel etwas wegnehmen muss. | |
Auch menschlich dürfte das Bündnis funktionieren. Albig und Habeck | |
respektieren sich, beide sind mit großem Selbstbewusstsein gesegnet. Wenn | |
sie sich darauf einigen, in verschiedene Rollen zu glänzen, könnte ein | |
fruchtbarer Konkurrenzkampf entstehen. Habeck hat Ambitionen fürs Energie- | |
oder Umweltressort. Vom Norden aus für Windkraft und bürgerverträglich | |
angelegte Trassen zu kämpfen, das wäre ein Job, der ihm bundespolitisch | |
Aufmerksamkeit verschafft. | |
Albig könnte das Verhältnis zum SPD-regierten Hamburg verbessern. Die | |
pragmatische Anke Spoorendonk, Spitzenfrau des SSW, hingegen wird ein | |
Ruhepol sein – Verhandlungen mit weit größeren Parteien ist die | |
Minderheitenvertreterin, die seit 1996 im Landtag sitzt, gewohnt. | |
## Das Trauma der Sozialdemokraten | |
Für den Südschleswigschen Wählerverband wäre eine Regierungsbeteiligung ein | |
echtes Novum. Nach skandinavischer Tradition hielt sich der SSW immer | |
offen, mal mit dem einen Lager, mal mit dem anderen zu stimmen. Bei den | |
meisten Positionen steht er allerdings dem linksliberalen Spektrum nahe. | |
Ein Bündnis, wie es den dreien jetzt vorschwebt, rührt gerade bei den | |
Sozialdemokraten an ein Trauma: das Scheitern von Heide Simonis. Vor sieben | |
Jahren wollte sich die Sozialdemokratin von SPD, Grünen und SSW erneut zur | |
Regierungschefin wählen lassen. Um dann eine von Spoorendonk tolerierte | |
rot-grüne Minderheitsregierung anzuführen. | |
Was sich dann im Parlament abspielte, hat in Kiel niemand vergessen. Vier | |
Mal stellte sie sich dem Plenum zur Wahl, vier Mal verweigerte ihr ein bis | |
heute unbekannter Abgeordneter aus den eigenen Reihen die Stimme. | |
Leichenblass, mit Tränen in den Augen, stand Simonis am Ende im Landeshaus, | |
das direkt an der Kieler Förde liegt. Und zog sich wenig später verbittert | |
aus der Politik zurück. | |
Allein dieses Mal sei die Situation eine ganz andere, beteuern die | |
Beteiligten. Mehrere altgediente Sozialdemokraten, auch Heide Simonis | |
selbst, sprachen sich für eine Neuauflage aus. Auch wenn der Unbekannte nie | |
enttarnt wurde – es gilt bei den Sozialdemokraten als ausgemachte Sache, | |
dass er Simonis persönlich schaden wollte. Bei Albig, einem Neuling in der | |
Landespolitik, entfiele ein solches Motiv. Wie Habeck betonte er die | |
Inhalte. Daran mache sich „die Stabilität von Koalitionen“ fest. | |
7 May 2012 | |
## AUTOREN | |
E. Geisslinger | |
U. Schulte | |
## TAGS | |
Transparenzgesetz | |
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