# taz.de -- Debatte Referendum über EU-Rettungsplan: Mutige Iren, feige Regier… | |
> Irland stimmt ab über den europäischen Fiskalpakt – und das Ergebnis ist | |
> durchaus offen. Doch die Regierung in Dublin setzt auf Einschüchterung. | |
Seit das höchste irische Gericht 1987 entschieden hat, dass Eingriffe in | |
die Verfassung durch einen Volksentscheid abzusegnen sind, müssen sich die | |
Dubliner Regierungen mit dem manchmal störrischen Wahlvolk herumschlagen. | |
Am kommenden Donnerstag stimmen die Iren darüber ab, ob sie dem | |
europäischen Fiskalpakt beitreten und ihn in die Verfassung aufnehmen | |
wollen. Der Vertrag soll die Unterzeichner zu strenger Haushaltsdisziplin | |
zwingen. Andernfalls drohen Geldstrafen. | |
Die Iren mussten in den vergangenen vier Jahren fünf Sparhaushalte über | |
sich ergehen lassen, die für viele ins soziale Elend oder zur Auswanderung | |
geführt haben. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 15 Prozent, die | |
Jugendarbeitslosigkeit ist doppelt so hoch. | |
Dennoch haben die Iren, anders als die Griechen, nicht mit | |
Massendemonstrationen reagiert, sondern alles scheinbar resigniert | |
hingenommen. Der Boykott der Haushaltssteuer, die für Millionäre und | |
Arbeitslose gleich hoch ist, zeigt jedoch, dass die Schmerzgrenze erreicht | |
ist. | |
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat sich bisher geweigert, die neue | |
Steuer zu zahlen. Eigentlich müssten diese Leute auch Nein zum Fiskalpakt | |
sagen, denn tritt Irland ihm bei, wäre die Haushaltssteuer lediglich das | |
Vorspiel für weitere Austeritätsmaßnahmen. | |
Nach Umfragen vom Wochenende wollen 39 Prozent der Befragten dem Fiskalpakt | |
zustimmen, 30 Prozent sind dagegen, acht Prozent wollen sich enthalten. | |
## Die Unentschlossenen | |
Es ist das bisher unentschlossene knappe Viertel, das der Regierung Sorgen | |
bereitet. Denn die Umfrageergebnisse vor dem EU-Vertrag von Lissabon waren | |
2008 eine Woche vor dem Volksentscheid nahezu identisch. Doch dann gab es | |
ein Nein, so dass die Iren nachsitzen und ein zweites Mal abstimmen mussten | |
– wie schon 2001 beim Vertrag von Nizza. | |
Unternehmensminister Richard Bruton hat sich neulich in einem | |
Radio-Interview verplappert: Falls das Volk diesmal wieder mit Nein stimme, | |
müsse es eben noch mal an die Urne. | |
Anders als bei den Verträgen von Nizza und Lissabon haben die Iren diesmal | |
kein Veto. Der Fiskalpakt tritt am 1. Januar 2013 in Kraft, wenn 12 der 17 | |
Länder der Eurozone ihn ratifiziert haben. | |
## Einschüchterungsversuche | |
Die irische Regierung setzt auf Einschüchterung: Wenn Irland dem Pakt nicht | |
beitrete, habe das Land keinen Zugang mehr zu Rettungsgeldern aus dem | |
Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). | |
Dabei hatte die Koalitionsregierung aus konservativer Fine Gael und Labour | |
Party bei ihrem Amtsantritt vor einem Jahr noch getönt, dass keine weiteren | |
Rettungsgelder benötigt würden. | |
Premierminister Enda Kenny entzieht sich jeder Debatte. Fernsehdiskussionen | |
hat er konsequent abgelehnt, statt dessen hält er Ansprachen. Er versucht, | |
der Bevölkerung den Fiskalpakt als gesunden Menschenverstand zu verkaufen. | |
Das ist er mitnichten. Er dient unter anderem dazu, die Sozialisierung der | |
Spekulationsverluste von Banken zu normalisieren. | |
## Schielen auf die Märkte | |
Der Fiskalpakt ist eine Panikreaktion. Er sollte die Finanzmärkte | |
beruhigen, aber die reagieren nicht logisch. Sie verlangen Austerität und | |
bekommen dann einen Schreck, weil kein Wachstum generiert wird, um die | |
Haushalte auszugleichen. Deshalb ist das Schielen auf die Märkte sinnlos. | |
Irland hat sich seit der Krise wie ein Musterknabe verhalten und wird dafür | |
von Merkel und Konsorten gelobt, aber trotz der Haushaltsdisziplin wird | |
Irland mit höheren Kreditkosten als Italien und Spanien bestraft. | |
Die neoliberale Agenda aus Kürzungen und marktorientierten Reformen führt | |
immer tiefer in die Rezession und ist weit davon entfernt, das angestrebte | |
Vertrauen von Investoren wiederherzustellen. | |
## Demokratisches Defizit | |
In einer Herrschaft von Bürokraten, denen es darum geht, die Märkte zu | |
beruhigen, ist darüber hinaus kein Platz für Demokratie. Der Fiskalpakt | |
verstärkt das demokratische Defizit der Europäischen Union. | |
Die Europäische Kommission wird dadurch weiter geschwächt, was für kleinere | |
Länder fatal ist, denn die Kommission hat zumindest teilweise auf ihre | |
Rechte geachtet. Künftig wird über Haushaltspläne und Sanktionen auf | |
Regierungsebene entschieden, und zwar von Beamten, die kein Mandat haben. | |
Weder das irische noch das europäische Parlament haben Einfluss auf diese | |
Entscheidungen. | |
Das Argument der irischen Regierung, dass ein Fiskalpakt die Krise auf der | |
Grünen Insel verhindert hätte, ist Unsinn. | |
Während des Booms betrieb die Vorgängerregierung in Irland eine Steuer- und | |
Finanzpolitik, die neben anderen Faktoren geradewegs in den Abgrund führte. | |
Nach den Vorgaben des Fiskalpakts wäre Irland jedoch ebenso wie Spanien | |
stets im grünen Bereich gewesen. | |
## Neues Europa mit Hollande | |
Die Regierung in Dublin behauptet, eine Alternative zu dem Fiskalpakt sei | |
nicht in Sicht, da seien sich „unsere europäischen Freunde“ einig. | |
Spätestens seit den Wahlen in Frankreich und Griechenland gilt dieses | |
Argument nicht mehr. | |
Die Wahlen haben gezeigt, dass es durchaus legitim ist, über andere | |
Möglichkeiten nachzudenken. Eine souveräne Regierung hätte das Referendum | |
deshalb zumindest verschoben. Doch die Statthalter in Dublin stecken den | |
Kopf in den Sand. | |
Ein dänischer Beobachter kommentierte: Es sei, als ob die irische Regierung | |
von der Troika aus Europäischer Zentralbank, EU und Internationalem | |
Währungsfonds gekidnappt worden sei und nun unter dem Stockholm-Syndrom | |
leide. | |
## Wachstumsfördernde Maßnahmen vertagt | |
Sicher, man redet seit den Wahlen in Frankreich und Griechenland ein wenig | |
über wachstumsfördernde Maßnahmen. Aber die wurden vorerst vertagt. Die | |
Austeritätspolitik, die vom Fiskalpakt verordnet werden soll, ist nun mal | |
nicht kompatibel mit Wachstum. | |
Wenn man ein Land mitten in einer Depression nötigt, den Haushalt zu kürzen | |
und die Steuern zu erhöhen, und wenn man das Gleiche mit den | |
Handelspartnern tut, kann man lange auf Stabilität und wirtschaftliche | |
Erholung warten. | |
François Hollande sieht in Irland einen potenziellen Verbündeten bei der | |
Neueröffnung der Debatte über den Fiskalpakt. Die Dubliner Regierung ist | |
dazu jedoch zu feige. Deshalb muss das Volk sie durch ein Nein beim | |
Referendum am Donnerstag dazu zwingen. | |
29 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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