| # taz.de -- Experte zum möglichen Euro-Ausstieg: „Deutschland sitzt in der F… | |
| > Wenn Griechenland zur Drachme zurückkehren würde, wäre Deutschland der | |
| > Hauptverlierer, sagt der Finanzökonom Stephan Schulmeister. | |
| Bild: Die Rückkehr der Drachme wäre für Deutschland nicht besonders günstig. | |
| taz: Herr Schulmeister, sollte Griechenland den Euro verlassen und zur | |
| Drachme zurückkehren? | |
| Stephan Schulmeister: Nein, bloß nicht. Deutschland wäre der | |
| Hauptverlierer. | |
| Wieso Deutschland? | |
| Schon jetzt hat in Spanien, Italien, Irland und Portugal ein Run auf die | |
| Banken begonnen. Die Menschen dort räumen ihre Konten leer und legen ihr | |
| Geld in Deutschland an. Diese Kapitalflucht würde sich dramatisch | |
| verstärken, wenn Griechenland aus dem Euro fliegt. Denn dann würde jeder | |
| Italiener denken, dass bald auch die Lira zurückkommt – und seine Euros | |
| nach Deutschland überweisen. | |
| Was ist daran schlimm? | |
| Das gesamte Gläubiger-Schuldner-System in Europa würde zusammenbrechen. | |
| Wenn die Bankkunden in Spanien, Portugal und Italien ihr Geld abziehen | |
| würden, wie es jetzt schon die Griechen tun – dann wären drei Billionen | |
| Euro auf der Flucht. Das sprengt jeden Rettungsschirm. Dann crasht der | |
| Euro. | |
| Deutschland sitzt demnach in der Falle … | |
| … in der Falle des Gläubigers. Jede Finanzkrise kennt nur einen Verlierer: | |
| den Gläubiger. Denn der Schuldner wird ja seine Schulden los, wenn er nicht | |
| mehr zahlen kann. Aber die Deutschen haben durch ihre permanenten | |
| Exportüberschüsse ein riesiges Auslandsvermögen in den anderen Eurostaaten | |
| aufgebaut. Das wäre dann weg. | |
| Was raten Sie der Kanzlerin in dieser Situation? | |
| Angela Merkel muss ihr Manöver vom Oktober 2008 wiederholen. Damals, mitten | |
| in der Finanzkrise, hat sie gesagt: „Alle Einlagen sind sicher.“ Jetzt | |
| müsste sie unbedingt EZB-Chef Mario Draghi unterstützen, der eine | |
| europaweite Einlagensicherung fordert. Alle 17 Euro-Staatschefs müssten in | |
| einer feierlichen Zeremonie erklären, dass man gemeinsam für alle Einlagen | |
| haftet. | |
| Aber würden die Spanier und Italiener eine solche Inszenierung noch | |
| glauben? Wahrscheinlich würden sie ihr Geld trotzdem nach Deutschland | |
| überweisen. | |
| Die Gefahr besteht. Eine Variante wäre, dass die Europäer gemeinsam haften | |
| – aber nur für die Konten von Inländern. Die Spanier müssten also ihr Geld | |
| in Spanien haben, damit es geschützt ist. Ein solches Vorgehen würde die | |
| Kapitalflucht vielleicht stoppen. | |
| Jetzt haben Sie erklärt, warum Deutschland ein Interesse daran hat, dass | |
| Griechenland im Euro bleibt. Aber ist das auch im Interesse der Griechen? | |
| Wie sollen sie jemals wettbewerbsfähig werden, wenn sie nicht mit einer | |
| Drachme die Möglichkeit haben, abzuwerten? | |
| Abwertung ist keine Lösung. 1971 wurden die Wechselkurse international | |
| freigegeben. Danach haben Griechen und Italiener mehrfach abgewertet, um | |
| ihre Exporte anzukurbeln. Aber langfristig hat das nie etwas gebracht. Denn | |
| durch die Abwertung wurden die Importe teurer, so dass die Inflation stieg | |
| – und also auch die Löhne. Damit war der Wettbewerbsvorteil wieder weg. | |
| Weil die Griechen sich an diesen Mechanismus erinnern, wollen sie im Euro | |
| bleiben. | |
| Wenn eine Abwertung nichts bringt – wie sollen die Griechen | |
| wettbewerbsfähig werden? | |
| Man sollte aus der Nachkriegszeit bis 1971 lernen. Damals gab es feste | |
| Wechselkurse – und trotzdem haben die Südländer aufgeholt. | |
| Der Euro ist eine Art festes Wechselkurssystem. Warum klappt es jetzt | |
| nicht? | |
| Die gesamte Spielanordnung hat sich verändert. Bis 1971 lohnte es sich | |
| nicht, in reine Finanzaktivitäten zu investieren. Denn der Realzins lag bei | |
| null, die Rohstoffpreise bewegten sich nicht, die Wechselkurse waren | |
| festgelegt – und Derivate gab es nicht. Also haben die Banken das Geld in | |
| die produzierende Wirtschaft gesteckt. Genau diese Strategie benötigen wir | |
| erneut. Wir müssen langfristige Vereinbarungen über den Ölpreis | |
| abschließen, eine Finanztransaktionssteuer einführen und den Zins nach | |
| unten drücken. | |
| Was bedeutet das konkret für Griechenland? | |
| Der Schuldenschnitt war falsch konstruiert. Man hat einfach 100 Milliarden | |
| von der Gesamtsumme gestrichen. Aber die Zinslast blieb. Griechenland | |
| benötigt einen Zinsschnitt, so dass nur noch zwei Prozent auf die Schulden | |
| fällig werden. | |
| Das Kalkül von Kanzlerin Merkel ist klar: Sie will die Eurokrise bis zur | |
| Bundestagswahl 2013 aussitzen. Gelingt das? | |
| Niemals. Halb Europa ist in einer Rezession. China allein kann die deutsche | |
| Wirtschaft nicht retten. | |
| 29 May 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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