| # taz.de -- Irland und der EU-Fiskalpakt: Von der Schwierigkeit, Nein zu sagen | |
| > Am Donnerstag müssen die Iren Ja oder Nein zum EU-Fiskalpakt sagen. Aber | |
| > das mit dem Nein ist in diesem Land eine komplizierte Sache. | |
| Bild: In Dublin sagen sie gerne Nein – nur nicht beim Alkohol. | |
| DUBLIN taz | Es gibt zweierlei Iren: den Jackeen und den Culchie. Beides | |
| sind recht abfällige Begriffe. Die Landbevölkerung nennt die Dubliner | |
| Jackeens, was sich von der britischen Nationalflagge, dem Union Jack, | |
| ableitet. Man will damit ausdrücken, dass die Hauptstädter in der irischen | |
| Geschichte stets stärker unter englischem Einfluss standen als der Rest der | |
| Bevölkerung. Die Endung „-een“ ist eine Verniedlichungsform, aber in diesem | |
| Fall nicht niedlich gemeint. | |
| Die Dubliner wiederum bezeichnen die Landpomeranzen – und das sind in ihren | |
| Augen alle, die außerhalb Dublins wohnen – als „Culchies“, was phonetisch | |
| vermutlich auf das Dorf Kiltimagh in der abgelegenen Grafschaft Mayo | |
| zurückzuführen ist, wo sich Fuchs und Hase guten Tag sagen. | |
| Die Unterschiede zwischen Stadt und Land wirken sich auch auf das Ja- und | |
| Neinsagen aus. In den ländlichen Gegenden ist die irische Sprache etwas | |
| weiter verbreitet als in der Hauptstadt. Im Irischen gibt es weder ein Nein | |
| noch ein Ja. Wenn man auf eine Frage antwortet, muss man das Verb | |
| verwenden. Fragt einen zum Beispiel jemand, ob man Hunger hat, antwortet | |
| man: „Ich habe.“ Oder eben: „Ich habe nicht.“ Interessanterweise ist es | |
| also so, dass nicht etwa die britisch geprägten Jackeens in Dublin aus | |
| Höflichkeit nicht Nein sagen könnten, sondern genau anders herum. | |
| Die Abwesenheit des Wortes „Nein“ hat offenbar Auswirkungen auf die | |
| Mentalität der Culchies auf dem Land. Wenn der ortsansässige Unternehmer | |
| eine Baugenehmigung für 38 Ferienhäuser stellt, so legt niemand der | |
| Alteingesessenen Widerspruch ein, obwohl die Siedlung den Charakter des | |
| Dorfes zerstören würde. Man hofft stattdessen auf die Zugezogenen und ihr | |
| Nein zu dem Bauantrag. Wird der Antrag abgelehnt, ist man heilfroh. Aber | |
| man selbst würde einem Nachbarn nicht durch ein Nein Steine in den Weg | |
| legen, auch wenn der Weg noch so töricht ist. | |
| Ganz anders in Dublin. Gute Zäune sorgen für gute Nachbarn, so lautet ein | |
| Sprichwort, das dort erfunden sein könnte. Und eigentlich ist ja auch ein | |
| Zaun ein mehr oder weniger fein verarbeitetes Nein aus Holz oder | |
| Maschendraht. | |
| ## Bono und der Pfau | |
| Ein nicht sonderlich begabter Sänger musste sich im vornehmen Dubliner | |
| Stadtteil Killiney wegen seines Haustiers vor Gericht verantworten. Bono, | |
| der Sänger der Popkapelle U2, besitzt einen Pfau, was zu ihm passt, beide | |
| sind eitel, brüsten sich gerne, sie quäken und stolzieren herum, als ob | |
| ihnen die ganze Gegend gehört. Bonos Nachbarn riefen entschieden Nein, als | |
| das Tier, das im Gegensatz zu seinem Herrchen einen winzigen Kopf und einen | |
| riesigen Körper hat, ständig ihre Gärten verunstaltete. | |
| Auf dem Land würde das niemandem einfallen, obwohl es dort mitunter | |
| deutlicher schlimmer zugeht. Ein Bauer, Pat McNamara, verwendet viel Zeit | |
| auf die Pflege seines Gartens, die Botanik ist ein Schmuckstück für das | |
| Dorf und wird hin und wieder sogar von Touristen fotografiert. Eines Tages | |
| brach der Nachbarstier aus seiner Koppel aus und machte sich über Pats | |
| Garten her, bis nichts mehr von ihm übrig war. Pat kam nicht in den Sinn | |
| „Nein, das geht so nicht, du zahlst mir das“ zu sagen und vom Nachbarn | |
| Schadensersatz zu verlangen, sondern er machte sich zähneknirschend an die | |
| Gartenreparatur, auch wenn er dabei Stier und Nachbarn leise verfluchte. | |
| Angenehmerweise fehlt das Wort „Nein“ auf dem Land auch in den Pubs. Wer | |
| nach der offiziellen Sperrstunde noch ein Getränk möchte, wird nicht | |
| abgewiesen, und wenn die Wirtsleute endlich ins Bett wollen, fragen sie bei | |
| den Gästen höflich nach, ob vorher noch jemand etwas bestellen möchte. | |
| ## Noch ein Bier? Nein! | |
| In Dublin wird dem Spätbesteller bereits Sekunden nach dem Zapfenstreich | |
| ein brüskes Nein entgegengeschleudert. In den Supermärkten übernehmen das | |
| die elektronischen Kassen. Wer nach 22 Uhr ein Fläschchen Wein aufs Band | |
| legt, wird von der Kasse automatisch zurechtgewiesen. Auf dem Dorf hingegen | |
| kann man den Ladenbesitzer auch nachts herausklingeln, wenn man Durst hat, | |
| er wird sich nicht trauen, Nein zu sagen. | |
| Leider gilt die Ja-Nein-Grenze auch bei politischen Themen. Als der | |
| Abgeordnete Michael Lowry der Korruption überführt wurde, war das selbst | |
| seiner korrupten Partei Fine Gael zu viel. Sie warf ihn raus. Lowry | |
| kandidierte bei den nächsten Wahlen als Parteiloser und wurde von den | |
| Culchies mit deutlicher Mehrheit gewählt. | |
| In Dublin hingegen verlor die damalige Regierungspartei Fianna Fáil, die | |
| Irland mit ihrer katastrophalen Politik in den Ruin getrieben hat, bei den | |
| Wahlen im vorigen Jahr sämtliche Sitze. Ob sich bei dem Referendum über den | |
| europäischen Fiskalpakt am kommenden Donnerstag Jasager gegen die Neinsager | |
| durchsetzen werden, ist ungewiss. | |
| Die Politiker der Regierung gehen in Dublin jedenfalls seit Wochen von Tür | |
| zu Tür, um die Jackeens davon zu überzeugen, dass ein Ja diesmal auch im | |
| Interesse der traditionellen Neinsager sei. | |
| 26 May 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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