# taz.de -- Kommentar Referendum Europa: Acht Richter und der Souverän | |
> Referenden sind kein Allerheilmittel. Aber angesichts von lauem | |
> Infotainment und mächtigen Gerichten, können sie die Bevölkerung für | |
> Politik sensibilisieren. | |
Bild: Diese acht Richter ersetzen nicht den verfassungsmäßigen Souverän: Ers… | |
Die Einwände gegen mehr direkte Demokratie beziehungsweise | |
Volksabstimmungen kommen von zwei Seiten und verfolgen zwei | |
unterschiedliche Ziele. | |
Da sind die konservativen Lautsprecher aus dem Umkreis der FAZ und der | |
Springer-Presse bis hin zu den Parteiapparaten, die das Volk am liebsten | |
ganz von der Volksherrschaft ausschließen und die „Demo“kratie zur | |
Herrschaft von Regierungen, informellen Klüngeln und Lobbyisten sowie | |
entmachteten Parlamenten umbauen möchten – „Volks“herrschaft light, also | |
ohne Volk. | |
Diese staatserhaltend auftretenden Akteure warnen vor dem Öffnen der | |
„Büchse der Pandora“, beschwören „das Ende des bisherigen Grundgesetzes… | |
und phantasieren über „systemfremde Plebiszite“. | |
## Argumente und Gegenargumente | |
Mit solchen Phrasen kann man es kurz machen. Im geltenden Grundgesetz steht | |
die Norm: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in | |
Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der | |
vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Seit nunmehr über 60 | |
Jahren wird der Satz von den Interessierten so gelesen, dass die Gewalt | |
zwar vom Volke ausgehen, aber womöglich nicht oder nur selten zu diesem | |
zurückkommen soll. | |
Die zweite Sorte von Einwänden gegen mehr Demokratie ist dagegen ernst zu | |
nehmen. Tom Strohschneider hat sie in der [1][taz vom 27.6.2012] | |
formuliert. Sein Argument, dass sich bei Volksabstimmungen besitzende und | |
gebildete Schichten über- und arme und ungebildete Bevölkerungsteile | |
unterproportional beteiligen und Volksabstimmungen so zur | |
„Privilegiensicherung“ betragen können, ist nicht von der Hand zu weisen. | |
Das liegt aber nicht am System der Demokratie und deren Mittel – den | |
Volksabstimmungen, Referenden und Gesetzesinitiativen von unten –, sondern | |
an der Wahlabstinenz (in Frankreich 44 Prozent) der politisch Ermüdeten und | |
sozial Abgehängten. Und ein Hauptgrund dafür ist die Art und Weise, wie | |
Politik gemacht wird – von Parteien, Regierungen, Parlamenten und den | |
demokratisch unzureichend legitimierten „Räten“, „Troikas“ und | |
„Kommissionen“ in Brüssel. | |
Diese Institutionen regieren quasi-souverän am Volk vorbei und machen die | |
Rechte des Parlaments zur Farce und die Parlamentarier in den Einzelstaaten | |
wie in Straßburg zu lächerlichen Pappkameraden, die man fast nur noch zum | |
Abnicken der Entscheidungen von Regierungen, Räten und Kommissionen | |
braucht. | |
## Die Verantwortung der Medien | |
Die direkte Demokratie ist kein Allheimmittel gegen alle Gebrechen und | |
Defizite der parlamentarischen Demokratie, des Parteiensystems und der | |
mächtigen Bürokratien. Aber Volksabstimmungen, Referenden und Initiativen | |
können dazu beitragen, das Wahlvolk für politische Probleme und Lösungen zu | |
sensibilisieren. Eine Gewähr dafür gibt es nicht. | |
Vieles hängt auch von funktionierenden Öffentlichkeiten und einer bunten | |
Medienlandschaft ab. Was Letzteres betrifft, so stehen die | |
öffentlich-rechtlichen Anstalten in der Pflicht, verraten diese aber mit | |
ihren seichten Unterhaltungsprogrammen, ihrer exorbitanten | |
Sportberichterstattung und ihren lächerlichen kulturellen | |
Alibiveranstaltungen sowie ihrem politischen Konformismus und ihrer | |
Anpassung an die Standards der Privatsender. Viele der früher dem | |
Qualitätsjournalismus verpflichteten Lokal- und manche Tageszeitungen | |
gleichen immer mehr Boulevardblättern. | |
Eines bewirken die Instrumente der direkten Demokratie mit Sicherheit – und | |
schon das genügt als Motiv für deren Stärkung: Wo das Volk das letzte Wort | |
bekommt – wenn es dies will – wird weniger und langsamer regiert und | |
legiferiert. | |
Schnellschüsse wie der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie oder | |
die Streichung der Subventionen für erneuerbare Energien würde sich eine | |
Regierung dreimal überlegen, weil sie damit in einer Volksabstimmung ebenso | |
auf die Nase fallen könnte wie jüngst mit Schweinsgalopp-Entscheidungen zur | |
Rettung von privaten Banken beim Verfassungsgericht in Karlsruhe. Aber acht | |
Richter sind auf Dauer kein Ersatz für eine lebendige Demokratie. | |
28 Jun 2012 | |
## LINKS | |
[1] /!96198/ | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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