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# taz.de -- Streitgespräch über Netzpolitik: Die Regeln des Netzes
> Pirat Alexander Morlang und Stefan Gelbhaar von den Grünen streiten über
> Sinn und Unsinn des Internet-Ausschusses und ein Parlament, das immer
> noch arbeitet wie im 19. Jahrhundert.
Bild: „So wie Sie reden, das klingt für mich einfach arrogant, Herr Kollege!…
taz: Herr Gelbhaar, es gibt da diesen Ausschuss, in dem Sie und Herr
Morlang sitzen. Eigentlich heißt er „Ausschuss für Digitale Verwaltung,
Datenschutz und Informationsfreiheit“, aber viele sagen einfach
„Piratenausschuss“. Es gibt ihn erst seit dieser Legislatur. Wieso haben
die Grünen es nicht geschafft, ihn in den Jahren zuvor einzurichten?
Stefan Gelbhaar: Das ist so nicht richtig. Es gab zwei Ausschüsse, die sich
mit Netzthemen beschäftigt haben: den Unterausschuss Datenschutz und den
Ausschuss zu Verwaltungsmodernisierung. Der Begriff klingt nicht so nett
wie IT, Datenschutz und Informationsfreiheit, aber die Themen sind dort
behandelt worden.
Aber ein eigener großer Ausschuss ist doch noch mal ein anderes Zeichen.
Wieso schenkt man den Piraten so einen Ausschuss, Herr Morlang?
Alexander Morlang: Möglicherweise, um auf uns zuzugehen. Eine schöne,
symbolische Handlung. Das Problem an dem Ausschuss ist, dass keiner so
genau weiß, wofür er eigentlich da ist.
Wie bitte?
Wir durften zum Beispiel nicht über den Datenschutzbericht 2011 beraten.
Und so richtig klar definiert haben wir diesen Ausschuss nie. Das müssen
wir jetzt gemeinsam in der Sommerpause machen. Und es ist natürlich kein
Piratenausschuss.
Wo könnte es hingehen Ihrer Meinung nach?
Ich weiß inzwischen immerhin, was mich stört. Herr Birk [Thomas Birk,
Grüne] nudelt das Thema digitale Verwaltung runter, und alle anderen gucken
gelangweilt zu. Herr Böhning [Staatssekretär Björn Böhning, SPD] ist
gelegentlich da, dann machen wir mal was. Die wirklich interessanten Dinge
wurden bislang von Rot-Schwarz immer abgebügelt.
Und welche sind das?
Ob man Volksentscheide auf die digitale Ebene bringt zum Beispiel. Das ist
durch den Rechtsausschuss und unseren Ausschuss gegangen, wurde aber so
klein wie möglich gehalten. Es wurde klassisch kaputt gemacht.
Fassen wir zusammen: Wir haben diesen Ausschuss, der früher mal
Piratenausschuss hieß, jetzt aber nicht mehr Piratenausschuss heißt. Und
der auch nicht so richtig weiß, was er tun muss. Sehen Sie das ähnlich,
Herr Gelbhaar?
Gelbhaar: Nein. Erstens, weil mein Kollege Thomas Birk wichtige Arbeit
macht, auch wenn die Piraten das nicht interessiert. Wie man eine
Verwaltung modern und digital aufstellt, heißt am Ende für den Bürger
Wartezeit im Meldeamt oder eben nicht. Diese Umstellung von analog auf
digital gehört in den Ausschuss. In der Tat ist es nicht akzeptabel, dass
das Thema Datenschutz quasi untergeht. Und ich glaube auch nicht, dass das
der Koalition versehentlich passiert. Das ist Absicht.
Der Ausschuss ist auch nicht wirklich präsent in der Öffentlichkeit.
Er wurde auf 16 Uhr am Montag gelegt. Das ist keine besonders attraktive
Zeit für Medienberichterstattung. Außerdem wurde er von SPD und CDU so
gestrickt, dass die Kollegen von der Piratenfraktion beim Vorsitz einfach
zugreifen mussten. Damit aber muss der Vorsitzende Pirat eine gewisse
Neutralität wahren.
Also voll auf den Leim gegangen?
Ja.
Morlang: Nein. Ich glaube nicht, dass da irgendeine große Verschwörung
existiert, die versucht hat, den Ausschuss auf den Montag zu legen.
Gelbhaar: Keine Verschwörung, aber mangelnder Wille, es anders zu machen.
Die Website des Ausschusses ist auch nicht gerade benutzerfreundlich.
Machen Sie es den Bürgern da nicht unnötig schwer, Ihnen zu folgen?
Morlang: Wir sind der erste Ausschuss, der nach der Sommerpause mit
Audiostreaming anfängt. Damit öffnen wir uns ganz massiv den Bürgern.
Gelbhaar: Gleichwohl ist die Kritik total berechtigt. Die Website des
Abgeordnetenhauses ist …
Morlang: … gruselig!
Gelbhaar: … überarbeitungsbedürftig, um es politisch korrekt zu
formulieren. Wir haben im letzten Haushalt Geld dafür beschlossen, damit
die Seite auf einen besseren Stand kommt.
Herr Gelbhaar, was ist für Sie konkret Netzpolitik?
Für mich kommen da mehrere Punkte zusammen: zum einen die Infrastruktur.
Ist der Zugang zum Internet so geregelt, dass es für alle möglich ist zu
partizipieren? Das sind die Fragen des offenen WLAN, aber auch des Digital
Divides – also, wer kann es sich finanziell leisten? Wie kriegen wir ein
barrierefreies Netz hin, damit alle Menschen es gut nutzen können?
Datenschutz, Urheberrechte und Netzneutralität bewegen uns in dem
Themenfeld. Zudem gibt es die gesellschaftspolitische Entwicklung durch das
Netz. Was passiert, wenn eine Verwaltung wirklich so weit wie möglich Open
Data praktiziert? Wenn also die Verwaltungsdaten offen und
verarbeitungsfähig im Netz stehen und die Bürgerinnen und Bürger sie sich
jederzeit ziehen können?
Und was ist für Sie Netzpolitik, Herr Morlang?
Morlang: Wir sind dafür da, auf der obersten Ebene dafür zu sorgen, dass
die Politik das Netz heil lässt.
Hier also eine eher abwehrende Haltung und bei Herrn Gelbhaar eine eher
steuernde Haltung?
Ja. Die abwehrende Haltung ist meine Motivation, in die Politik zu gehen.
Wir hatten Vorratsdatenspeicherung, wir hatten Hackergesetze, die mich
persönlich betroffen haben und politisch erst mal wieder aufgeweicht werden
mussten. Da wollten Leute Staatstrojaner einführen, weil sie nicht kapiert
haben, dass man Skype abhören kann, weil es da eine Abhörschnittstelle
gibt. Doch das Netz wehrt sich. Und es braucht einen politischen Arm, der
es vor der Politik schützt. Die Politik muss erst mal die Regeln des Netzes
lernen.
Das heißt, die Grünen sind schon auf dem Marsch durch die Institutionen,
während Sie im Grunde noch APO sind?
Die Grünen versuchen es halt mit herkömmlicher Denke zu erfassen.
Gelbhaar: Da muss ich jetzt mal dazwischen. Wir alle sollten sagen, was wir
erreichen wollen, und dann nach konstruktiven Lösungen suchen. So wie Sie
reden, das klingt für mich einfach arrogant, Herr Kollege!
Morlang: Nach einer Ewigkeit Arroganz von Ihnen, Herr Kollege! Das Netz in
seiner Dezentralität, in seiner Asynchronität ermöglicht ganz viele Dinge,
die vorher noch nicht da waren. Das Interessante ist doch, diese Mittel und
Methoden auf die Politik anzuwenden.
Herr Gelbhaar, Sie schütteln beständig den Kopf.
Gelbhaar: Ja, ich finde diese Grundhaltung ziemlich daneben! Die Piraten
grenzen sich ab, anstatt möglichst viele Menschen einzubeziehen und
politische Ziele zu formulieren.
Morlang: Das würde ich nicht sagen. Es gibt eben noch sehr viel zu lernen.
Das Problem ist: Wir sehen, dass wir lernen können. Ihr Grünen aber nicht.
Wo lernen die Grünen nichts?
Die Grünen belächeln unsere digitalen Demokratieexperimente und erklären
uns, dass das Delegiertensystem ganz toll ist und gut funktioniert. Das ist
das System, das dazu geführt hat, dass die Grünen Krieg führen, Stichwort
Kosovo. Immerhin waren es mal Umwelt, Frauen und Friedenspolitik, die die
Grünen zusammengeführt haben. Jetzt ist es die Partei, die Krieg gemacht
hat. Das ist für uns ein großes, warnendes Beispiel.
Gelbhaar: Da sind wir jetzt auf dem ganz großen Schachbrett gelandet. Warum
bleiben Sie nicht beim Thema? Aber gut: spannend, dass Sie ausgerechnet die
Frauenpolitik aufrufen. Die Piraten haben zwei Fraktionsvorsitzende, beide
sind männlich. Interessant, Doppelspitze in dieser Form zu interpretieren.
Bei Ihnen sind Frauen eine absolute Minderheit. Auch in Sachen Umweltschutz
sind mir die Initiativen der Piraten völlig unbekannt. Und die
Friedenspolitik: Ich lehne Kriegseinsätze grundsätzlich ab, aber dass das
Zuschauen bei einem Völkermord schwerlich hinnehmbar ist, kann ich
nachvollziehen. An dieser Frage haben sich Bündnis 90/Die Grünen damals
fast zerrissen. Wie die Piratenpartei dazu steht, weiß keiner.
Wir machen jetzt hier den Kosovo-Cut und kehren zur Netzpolitik zurück.
Wann gibt es eine Mail-Adresse für jeden Neuberliner?
Beide: Oh nein!
Morlang: Das hatten wir schon in Hamburg, das ist total gefailt. Das ist
doch nicht die Aufgabe der Stadt.
Gelbhaar: Wer’s wirklich in dieser Form braucht, kann eine solche
E-Mail-Adresse von berlin.de bekommen.
Wie sieht’s mit dem freien WLAN aus?
Morlang: Wir brauchen einen nachhaltigen Aufbau freier
Kommunikationsinfrastruktur über der Stadt, um das WLAN nicht zu einem
Hotspot-Netz für Touristenzentren verkommen zu lassen. Wir müssen das Netz
in die Kieze bringen, zu denen, die es wirklich brauchen.
Wer braucht es wirklich?
Die Leute, die in Marzahn, im Wedding abgehängt sind. Der Zugang zum Netz
ist der Zugang zum Wissen der Welt. Eine Minimalgrundversorgung muss jeder
haben. Sie muss nicht für Youtube oder Counterstrike reichen, aber für
Wikipedia. Wir brauchen Wasser, wir brauchen Strom, wir brauchen Netz.
Kann so was funktionieren?
Gelbhaar: Für mich ist die Frage nicht: Was ist alles möglich? Sondern: Was
schaffen wir jetzt zügig in den nächsten Jahren? Die ewige Regierungspartei
SPD hat die Debatte um freies WLAN in Berlin schon seit einem halben
Jahrzehnt nicht vorangebracht. Das ist eine Ewigkeit.
Morlang: Aber es geht doch darum, dass der Aufbau der Technik entscheidet,
was später passiert. Die Politik kann da einen Impuls geben. Und die
Techniker setzen es um.
Gelbhaar: Sie haben recht, aber dafür sind Sie nicht in der Politik. Die
Politik soll den Rahmen setzen: finanziell, rechtlich und so weiter. Der
andere Teil ist das Nutzen des Rahmens.
Morlang: Es gab in der Geschichte viele Versuche, hierarchische Strukturen
zu etablieren. Das Internet läuft dezentral, es ist unsteuerbar. Und so
sollte auch öffentliches WLAN laufen. Die Welt wird komplett von Technik
dominiert, das wird ignoriert. Darum sind Techis wie ich in dieser Politik
so wichtig.
Herr Morlang, Sie waren vor Ihrer Zeit als Abgeordneter ein großer
Skeptiker der Politik …
Jetzt weiß ich, dass ich recht hatte.
Was heißt das für Sie?
Gelbhaar: (lächelnd) Rücktritt?
Morlang: Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist: innerhalb des
Gestaltungsrahmens arbeiten und gleichzeitig darüber nachdenken, wie man
diesen Prozess verändert. Mir stellt sich immer wieder die Frage: Wie
können wir das Dezentrale, das Asynchrone des Netzes für etwas Neues
verwenden.
Jetzt sind wir gespannt.
Dieses demokratische parlamentarische System ist ja das Beste, das wir
mithilfe von Feder, Tinte, Papier und Druckerpresse machen konnten. Wir
können dieses Haus ja noch komplett analog betreiben. Auf der anderen Seite
gibt es viele neue Möglichkeiten – vielleicht kriegen wir es für die
nächste gemeinsame Stellungnahme des Ausschusses hin, nicht jede Menge
Papier zu vergeuden, sondern einfach ein gemeinsames Etherpad zu benutzen,
um so ganz langsam das Parlament mit diesen neuen Werkzeugen
zusammenzubringen. Es ist ja unglaublich, das Parlament arbeitet noch wie
im Jahr 1810.
Gelbhaar: Die technischen Möglichkeiten verändern die Arbeitsweise des
Parlaments natürlich ein gutes Stück weit. Ich finde es erfrischend,
gemeinsam mit Parlamentskollegen mit solchen Textwerkzeugen zu arbeiten,
durchaus fraktionsübergreifend. Aber man darf nicht vergessen, dass es im
Parlament auch um gegensätzliche Interessen geht, und die sind nicht
technisch aufzulösen. Das Netz kann allerdings dabei helfen, die
Gemeinsamkeiten schneller hervorzubringen.
Die technischen Möglichkeiten verändern ja auch die Stadt. Wie soll die
Netzöffentlichkeit in Zukunft aussehen?
Ich will künftig nicht mehr an einem Grundstück vorbeilaufen und
feststellen: Ups, da wird ja jetzt gebaut. Das geht im Netzzeitalter nicht
mehr. Da muss das Digitale mit dem Analogen verbunden werden, sei es durch
ein Schild mit dem Verweis auf eine Website, auf der das Bauprojekt von A
bis Z erklärt wird. Und nicht erst, wenn da gebaut wird, sondern schon
vorher. Damit die Bürger die Möglichkeit haben, darauf Einfluss zu nehmen.
Und wenn die Informationslage adäquat ist, dann sind wir bei der
Partizipationsfrage.
Morlang: Es gibt beispielsweise Augmented Reality – also die Möglichkeit,
über die Brille Bilder auf die Netzhaut zu projizieren und damit
Informationen. Zukünftig könnte ich einfach rumschauen, die verschiedenen
Data-Layer einblenden – und sehen, was ist. Ich würde diese Baustelle sehen
– nicht weil sie ein Schild hat, sondern weil sie rot markiert ist oder
sonst wie, je nachdem, welchen Stand sie gerade im Planungsverfahren hat …
(schaut plötzlich interessiert auf das analoge Aufnahmegerät) … da ist ja
wirklich noch ein Band drin. Ist ja geil.
19 Jul 2012
## AUTOREN
J. Itzek
B. Schulz
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Schwerpunkt Urheberrecht
Schwerpunkt Urheberrecht
Schwerpunkt Überwachung
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