# taz.de -- Regierungen und das Internet: Wir regeln das schon | |
> Die Mächtigen in Regierungen und Wirtschaft wollen das Internet stärker | |
> ihrer Kontrolle unterwerfen. Die Angst vor einem freien Netz wächst von | |
> Jahr zu Jahr. | |
Bild: Die Vertreter der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) trafen sich in Dub… | |
Man traf sich Anfang Dezember zur Neuordnung der Kommunikationswelt der | |
Netze in Dubai. Offiziell wollten Vertreter der Internationalen | |
Fernmeldeunion (ITU), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, über | |
die Neufassung der Vollzugsordnung für internationale Fernmeldedienste von | |
1988 beraten. In Wirklichkeit jedoch ging es um die Zukunft des Internets. | |
Was stand zur Disposition? Viele in der Fernmeldeunion vertretene | |
Regierungen pochen auf ein Recht, künftig in Erfahrung bringen zu dürfen, | |
welche Route ein Informationspäckchen durch die Datennetze genommen hat. | |
Sie nennen das „right to know“, faktisch aber ist es das möglichst | |
allumfassende Recht zur Online-Überwachung nebst dessen technischer | |
Standardisierung. | |
Die heute im Internet noch gewohnte Netzneutralität – die Gleichbehandlung | |
aller Daten – soll wie nebenbei zugunsten weniger mächtiger | |
Telekommunikationskonzerne ausgehebelt werden. Kein Wunder, dass darüber | |
hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. | |
Viele Mitgliedsländer streben dafür eine neue Art der inhaltlichen und auch | |
monetären Regelsetzung durch die ITU an. Dies würde ihnen auch die | |
Unterbindung einiger Dienste im Netz erlauben und die Marktdominanz einiger | |
Konzerne festigen. Dazu gehören etwa die IP-Telefonie oder | |
Callback-Dienstleistungen, die an Landesgrenzen künftig unterbunden werden | |
könnten. | |
## Die herrschenden Wenigen diskutierten in Dubai | |
Diskutiert haben in Dubai Vertreter von 193 Regierungen, von Assistenten | |
bis hin zu Ministern. Sie wurden von Rechtsstaaten entsandt, aber ebenso | |
von Ländern wie China, Russland und Saudi-Arabien. Sie berieten sich mit | |
Vertretern aus Telekommunikationskonzernen und Überwachungsbehörden sowie | |
allerhand „Beratern“ der Privatwirtschaft. Es sind die herrschenden | |
Wenigen. Voll war es dennoch: Allein Brasilien reiste mit mehr als fünfzig | |
Teilnehmern an. | |
Trotzdem blieb der Kreis der Verhandler und Interessenvertreter im | |
Vergleich zu den Milliarden potenziell betroffenen Netznutzern | |
verschwindend klein. Der eiskalte Versuch der Telekommunikationsunternehmen | |
im Verein mit totalitär gesinnten Regierungen, die Kontrolle im Netz mit | |
Hilfe der ITU zu übernehmen, kam spät, aber mit Macht. | |
Dieser Versuch ist vorerst gestoppt, weil einige Regierungen des Westens, | |
vor allem die USA den bei den Verhandlungen entstandenen Vertrag nicht | |
unterzeichnen wollten. | |
Dennoch wirkte die Fernmeldeunion wie eine Verkörperung undemokratischer, | |
abgeschlossener Machtstrukturen, die ausschließlich nach den Interessen | |
Weniger handelt und die zudem die Öffentlichkeit scheut. Hier sind | |
Grundsätze wie die allgemeinen Menschenrechte nur störende Flausen. Was | |
maßt sich eine Allianz von Diktatoren und ihrer Helfershelfer an, die | |
Regeln für das zukünftige Netz schreiben zu wollen? | |
## Kritik über Grenzen hinweg | |
Über die Länder- und Parteigrenzen hinweg gab es Kritik. Niemand erwartete, | |
dass die ITU eine Regulierung des Internets zufriedenstellend anpacken | |
könnte. Zwar ist die Organisation vor allem ein internationales | |
Standardisierungsinstitut. Sie kümmert sich aber auch um so | |
unterschiedliche Bereiche wie Satellitensysteme, Seefunk, Maßnahmen in | |
Katastrophenfällen und sogar gewerbliche Schutzrechte. Auch diese | |
Schutzrechte bergen enormes Konfliktpotenzial, denn wenige mächtige | |
Telekommunikationsausrüster können durch ihr „geistiges Eigentum“ die | |
Entwicklung von internationalen Standards dominieren und ihre ohnehin schon | |
große Marktmacht damit noch weiter ausbauen. | |
Sollte also ausgerechnet diese Organisation entscheiden, wer die Macht über | |
die Netze und die künftigen Kommunikationsmöglichkeiten der | |
Zivilgesellschaft ausüben darf? Selbst das Europäische Parlament äußerte | |
seinen Unmut. Und der US-amerikanische Kongress hat dieses Jahr gleich zwei | |
Resolutionen verabschiedet, die der ITU in deutlichen Worten nahelegen, die | |
Macht zur Regulierung des Internets nicht an sich zu reißen. Die Amerikaner | |
argumentieren, das globale Netz solle frei von der Kontrolle durch | |
Regierungen sein. In diesem Punkt sind sich sogar Republikaner und | |
Demokraten einig. | |
Dass es den Vereinigten Staaten dabei um die Aufrechterhaltung der eigenen | |
Kontrolle über einen erklecklichen Teil der technologischen Basis des | |
zukünftigen Netzes geht, ist offensichtlich. Schließlich sitzen die meisten | |
Institutionen, die das Internet verwalten und seine Regeln definieren, in | |
den USA. Hände weg vom Netz, möchte man also nicht nur der Fernmeldeunion, | |
sondern auch der amerikanischen Regierung zurufen. Das Internet ist zu | |
wichtig, um politische Verhandlungsmasse zu sein. | |
## Die Angst vor einem freien Netz | |
Die Absichten vieler Regierungen und Konzerne haben sich auch nach Dubai | |
nicht verändert. Sie würden gern die Mechanismen, wie sie in der | |
aussterbenden klassischen Telekommunikationsindustrie üblich waren, auf die | |
Datennetze übertragen, in denen sich längst andere, demokratischere Normen | |
und Standardisierungswege entwickelt haben. | |
Hierarchische, autoritäre Strukturen – von der technischen und kulturellen | |
Revolution des Internets überrollt, überholt und umgangen – versuchen einen | |
letzten geradezu absurd anmutenden Übernahmeversuch. Die Kritik an der | |
existierenden US-Dominanz im sogenannten Internet Governance ist zwar nicht | |
von der Hand zu weisen. Doch will man den Teufel mit dem Beelzebub | |
austreiben? | |
Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Angst vor einem freien Netz mit | |
jedem Jahr zunimmt, dass die Mächtigen in Regierungen und Wirtschaft den | |
Druck permanent erhöhen, das Netz einzuhegen. Dabei agieren sie in | |
geschlossenen Zirkeln, deren Vorschläge und Ergebnisse nur scheibchenweise | |
an die Öffentlichkeit gelangen. Und nicht nur das: In der ITU geben auch | |
Diktatoren und Vordemokraten ihre Vorschläge zum Besten, die nicht einmal | |
versuchen zu verschleiern, dass es ihnen um die Kontrolle und Unterdrückung | |
ihrer Bevölkerung geht. | |
Wenn Russland, China oder Saudi-Arabien in Zukunft ihre Vorstellungen eines | |
„regulierten“ Informationsflusses durchsetzen, wird es nur noch um die | |
Limitierung der Netze gehen. Nicht mehr um ihre Chancen. | |
31 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Constanze Kurz | |
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