| # taz.de -- Digitaler Shitstorm: Die Beute des Schwarms | |
| > Im Netz kann eine Dynamik entstehen, die Gesetze und Menschen wegfegt. | |
| > Manchmal liefern die allerdings selbst mit Unterhosenbildern den Anstoß. | |
| > Ein Rückblick. | |
| Bild: Fuck Acta! Hat funktioniert. | |
| Die Straßenschlacht: das Acta-Abkommen | |
| Der Fisch: 27 Mitgliedsländer, 754 Sitze im Parlament, da sollte doch das | |
| ein oder andere Gesetz so durchrauschen können in dieser EU. Nimmt doch | |
| sowieso niemand richtig ernst, und seit der Eurokrise finden sich die | |
| Mitgliedsländer gegenseitig ja total klasse. Warum also nicht, nach | |
| sorgfältiger Planung im Verborgenen, das „Anti-Counterfeiting Trade | |
| Agreement“ (Acta) durchsetzen? Acta soll international Urheberrechte | |
| durchsetzen. Industrie-Lobbyisten finden das schick und forcieren die | |
| Verhandlungen zwischen EU, USA, Mexiko, Australien und anderen Ländern, die | |
| beim G-8-Gipfel 2006 beginnen. | |
| Das Netz: Urheberrecht? Freiheit des Netzes? Durchmogeln durch den Schwarm | |
| geht nicht, wenn man so behäbig ist wie die EU. Der Schwarm schwappt auf | |
| die Straße: Anfang des Jahres protestieren Zehntausende in ganz Europa | |
| gegen das Abkommen. Huch, so viel Aufmerksamkeit für so ein trockenes | |
| Thema? Der ein oder andere Parlamentarier wird sich den Vertragstext | |
| daraufhin noch mal auf Wiedervorlage gelegt haben lassen. Das EU-Parlament | |
| lehnt Acta ob des öffentlichen Drucks ab. | |
| Die Lehre: Umstrittene Abkommen sind doch eher was für autoritäre Regime. | |
| Zumindest dann, wenn es um das Internet geht. | |
| Das Grauen in Boxershorts: Anthony Weiner | |
| Der Fisch: Ein gut gebauter Männerkörper entzückt immer – in der realen wie | |
| in der virtuellen Welt. Denkt sich auch der amerikanische Politiker Anthony | |
| Weiner. Und verschickt via Twitter nicht nur Bilder seiner nicht behaarten | |
| Männerbrust, sondern auch seiner ausgebeulten Boxershorts. Seinen nur knapp | |
| verhüllten Wiener (sprich: Wiener) schickt Weiner (sprich: Wiener) Mitte | |
| 2011 jedoch nicht nur an ausgewählte Internetbekanntschaften … | |
| Das Netz: … auch der Rest der Welt zeigt sich entzückt vom freizügigen | |
| demokratischen Politiker und feiert „Weinergate“. Zwar löscht Weiner seinen | |
| Tweet sofort, doch der Schwarm verzeiht Inkompetenz in der digitalen | |
| Kommunikation nicht und kopiert, teilt und verbreitet Fotos der hässlichen | |
| grauen Boxershorts flink. Weiner weint und begräbt seine Ambition, | |
| Nachfolger von New Yorks Bürgermeister Bloomberg zu werden. | |
| Die Lehre: Schon Bill Clinton zeigte: Sex allein ist nicht der Todesstoß. | |
| Nicht einmal für einen Politiker in den USA. Anthony Weiner – seine Gattin | |
| und er ließen sich 2010 übrigens von ebendiesem Clinton trauen – will in | |
| die Politik zurückkehren. Der Schwarm wird da sein, seine Boxershorts | |
| ebenso. | |
| Der Fall Hochmut: Karl-Theodor zu Guttenberg | |
| Der Fisch: Selten ist ein strahlender Held schöner gefallen als der | |
| Ex-Bundeswirtschafts-Verteidigungs-Superminister. Man kennt das ja: Der | |
| Adelstitel, das Studium, der Partner, die Kinder, die Karriere – all diese | |
| Verpflichtungen und dann noch der Erfolgsdruck. Adel verpflichtet und so. | |
| Gut aussehen auf dem Time Square ist das eine, der Dr. auf der Visitenkarte | |
| noch mal etwas ganz anderes. | |
| Das Netz: Die Vorwürfe, er habe in seiner Doktorarbeit abgekupfert, seien | |
| „abstrus“, sagt Guttenberg noch am 16. 2. 2011. Doch die Intelligenz der | |
| Vielen übertrifft die Dreistigkeit des Einzelnen: Im GuttenPlag-Wiki, | |
| gegründet nur einen Tag nach dem empörten Auftritt des Ministers, deckte | |
| ein Schwarm von Nutzern in dessen Doktorarbeit bis heute 1.218 | |
| Plagiatsfragmente aus 135 Quellen auf 371 von 393 Seiten in insgesamt | |
| 10.421 plagiierten Zeilen auf. Der Rest, nun ja, was soll man sagen: | |
| Berater in den USA. Und Internetberater bei der EU. Kein Witz. Bisher aber | |
| ohne sichtbares Ergebnis. | |
| Die Lehre: Niemals Soziologie-Studenten im 14. Semester mit Internetzugang | |
| unterschätzen. | |
| Demaskiert: Aaron Barr | |
| Der Fisch: Aaron Barr denkt groß, sehr groß. Größer als das FBI. Es ist | |
| Anfang 2011, das Hacktivisten-Kollektiv Anonymous hat gerade den | |
| Aufmerksamkeitsradius von Nischenaktionismus auf Mainstream erhöht, da | |
| denkt sich der Leiter der Sicherheitsfirma HBGary Federal: Die schau ich | |
| mir mal genauer an. Er schnüffelt hier, hackt dort und behauptet dann in | |
| der Financial Times, ihm sei gelungen, woran die Geheim- und | |
| Sicherheitsdienste der USA gescheitert sind: Anonymous zu demaskieren. Eine | |
| Liste mit zehn Namen der Hauptakteure will Barr verbreiten. Was sich dann | |
| aber verbreitet, ist die Dechiffrierung eines harmlosen | |
| Selbstüberschätzers. | |
| Das Netz: Anonymous nimmt Aaron Barr kurz mal ernst – man weiß nie, und | |
| Sicherheit geht über alles. Aktivisten hacken sich bei ihm ein, | |
| veröffentlichen Zehntausende E-Mails, übernehmen die Kontrolle über seine | |
| Konten bei Twitter und Facebook – und verbreiten eine sarkastische | |
| Presseerklärung, in der Anonymus seine „Niederlage“ eingesteht. Heute | |
| leitet Aaron Barr nicht mehr HBGary Federal. Aber immerhin: Er twittert | |
| noch. | |
| Die Lehre: Don't mess with Anonymous. | |
| Barbra? Streisand! | |
| Der Fisch: Ach, Barbra, wärst du doch wie Katie, die in „So wie wir waren“ | |
| ihre große Liebe Hubbell gehen lassen und ihrem Exmann gar noch zu der | |
| neuen Frau an seiner Seite gratulieren kann. Eine große Geste, einer Diva | |
| angemessen. Auch groß und divenhaft, aber weniger großmütig ist die | |
| Reaktion der Schauspielerin Streisand auf eine Luftaufnahme ihres | |
| Grundstücks an der kalifornischen Küste, die Fotograf Kenneth Adelman 2003 | |
| im Zuge einer Fotoserie macht und veröffentlicht, um die Erosion dieser | |
| Küste zu dokumentieren. Streisand passt es nicht, dass ihr Anwesen zu sehen | |
| ist, sie verklagt Fotograf und die Seite [1][pictopia.com] auf 50 Millionen | |
| Dollar. | |
| Das Netz: Geschickt, geschickt, denn mit diesem völlig überzogenen Prozess | |
| lenkt La Streisand die Aufmerksamkeit auf das Haus, das sie eigentlich | |
| verstecken will. Prompt steigen die Zugriffszahlen auf das Bild, das bis | |
| dahin nicht gerade ein Klickmonster ist, sprunghaft an. | |
| Die Lehre: Ein Autor des US-Blogs Techdirt verpasst dem Phänomen, durch | |
| eine versuchte Zensur nur mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen, einen Namen: | |
| „Streisand-Effekt“. Ach, Barbra! | |
| 7 Jan 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://pictopia.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Rieke Havertz | |
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