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# taz.de -- Algorithmen im Internet: Ihnen könnte dieser Artikel gefallen
> Ein Amazon-Programmierer hat in den Neunzigern eine Idee, die sich zum
> mächtigsten Empfehlungsmechanismus im Netz entwickelt.
Bild: Wenn einem das genau richtige Buch empfohlen wird, ist das eine gute Rech…
SILICON VALLEY taz | Als Greg Linden vor vierzehn Jahren die Gleichung
entwarf, die heute noch das Internet ordnet, hatte ihn niemand darum
gebeten. Er dachte nur, dass das mit den Buchempfehlungen besser gehen
müsste.
1998 ist Amazon ein wachsendes Start-up in Seattle, an der Westküste der
USA, das seinen Online-Buchhandel gerade auf Deutschland ausweitet. Linden,
der junge Programmierer, ist direkt von der Uni zu Amazon gekommen, sein
Schreibtisch aus Pappe steht in der Teeküche. Er sichtet Zeilen des Codes,
die [1][amazon.com] steuern, korrigiert sie, denkt sich neue aus. Er will
dafür sorgen, dass Amazon mindestens so guten Rat liefert, wie es
Händlerinnen in den Geschäften tun. Welche Bücher könnten einer Kundin
gefallen?
Die Software, die den Rat errechnen soll, heißt BookMatcher. Greg Linden
allerdings gehört nicht zum Team, das sie entwickelt. Zwischendurch, wenn
er Zeit hat, denkt er trotzdem darüber nach.
## Aufwendige Rechenprozedur
Programme, die im Internet Empfehlungen ausrechnen, tun das damals, indem
sie Kunden miteinander vergleichen. Manche ordnen sie in Gruppen an. Die,
die Wirtschaftsbücher gekauft haben. Die mit den Groschenromanen. Innerhalb
so einer Gruppe werden dann aus einer Liste von Büchern die Empfehlungen
ausgewählt. Der Vergleich all dieser Kunden ist eine aufwendige
Rechenprozedur. Die Masse der Amazon-Kundinnen wächst, die Geschwindigkeit
des BookMatcher sinkt.
Was, wenn man nicht Kundinnen und Käufe gruppiert, sondern zuerst die
gekauften Bücher vergleicht, fragt sich Linden. Man könnte in einer
Datenbank im Hintergrund ähnliche Bücher suchen und sie dann in einem
nächsten Schritt den Kundinnen vorschlagen. Die größte Rechenleistung würde
in der Datenbank geschehen, offline. Es ginge schneller und die Treffer
wären besser. Mit zwei Kollegen meldet Linden das Patent an.
Der Algorithmus heißt „Item-to-Item Collaborative Filtering“, weil
Gemeinsamkeiten Artikel für Artikel abgeglichen werden.
„Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch …“ Ein Satz, der
Unbehagen auslöst. Woher wissen die das?
Millionen Menschen wird zum ersten Mal richtig bewusst, dass die Spuren,
die sie beim Surfen, beim Kaufen auf Internetseiten hinterlassen,
festgehalten werden. Dass jemand sie verwendet, um zu beeinflussen, was sie
künftig auf diesen Webseiten ansehen oder bestellen.
## Die Macht der Codezeilen
Aus Lindens Patent wird der zentrale Empfehlungsmechanismus des Internets,
den heute auch Google und YouTube verwenden. Er schlägt Filme oder Bücher
oft zielsicherer vor, als es Buchhändler oder Freunde könnten. Es bleibt
dieses Unbehagen: Welche Macht haben Codezeilen entwickelt?
Algorithmen steuern den Börsenhandel, sie wählen die Nachrichten auf
unserer Startseite aus, sie legen Preise in Online-Shops fest und zeigen
uns, was sogenannte FreundInnen gerade auf Facebook machen. Algorithmen
treffen Entscheidungen, die die Aura des Unparteiischen, des Unantastbaren
haben. Algorithmen sind das Argument, hinter dem sich Google verschanzen
kann, wenn hinterfragt wird, warum es zum Namen „Bettina Wulff“ immer
gleich „Escort“ vorschlägt. Algorithmen sind so allgegenwärtig geworden,
dass Miriam Meckel sich in ihrem Buch „Next“ schon eine Zukunft ohne den
Menschen vorstellt. Algorithmen regieren.
## Die ersten Zeilen tippt ein Mensch
Im Grunde aber ist ein Algorithmus nicht viel mehr als eine Kette von
Entscheidungen. Ja, nein. Wenn, dann. Eine Abfolge von Begriffen, Ziffern,
Klammern, Unterstrichen. Und auch wenn es längst Entscheidungsketten gibt,
die andere Entscheidungsketten schaffen, die dann neue Entscheidungsketten
entwerfen, die wiederum … Die ersten Zeilen tippt meist ein Mensch. Auch
die Informationen, die damit verarbeitet werden, liefern Menschen.
„Weil die Daten für die Empfehlungen von Menschen kommen, geht es
eigentlich um Menschen, die etwas austauschen“, findet Greg Linden, der
Erfinder des Amazon-Algorithmus. „Es sind Computer, die Menschen helfen,
auszutauschen, was sie gefunden haben. Computer helfen Menschen dabei,
anderen Menschen zu helfen“, schreibt er in einer Mail aus Seattle.
Menschen, die helfen. Manchmal sind die großen Fragen des Internets
Glaubensfragen. Greg Linden glaubt, dass Algorithmen etwas Gutes sind.
Der Mensch, der die Algorithmen der Videoplattform YouTube beaufsichtigt,
heißt Cristos Goodrow. An diesem Morgen in einem kalifornischen
Konferenzraum trägt er eine graue Hose und ein blaues Hemd. Goodrow wirkt
wie einer, der Abende oft im Fitnessstudio verbringt. Sein Lachen ist
angenehm laut.
YouTube begann 2008, mit Greg Lindens Gleichungen zu arbeiten, zehn Jahre
nachdem er sein Patent anmeldete. Manchmal entwickelt sich das Internet
langsamer, als man denkt.
## Wissen, dass sie irgendwie zusammengehören
Bei YouTube misst der Algorithmus vor allem, ob Videos nacheinander
angesehen werden. Das deutet darauf hin, dass sie sich ähnlich sind. „Wir
wissen gar nicht, worum es in diesen Videos geht. Aber wir wissen, dass sie
irgendwie zusammengehören“, sagt Goodrow. Eine „mächtige Technik“ sei
Lindens Gleichung.
Millionen Menschen, die Youtube-Clips anklicken, liefern mit ihrem
Verhalten Erklärungsmuster, die nur für die Rechenformel Sinn ergeben kann.
Mittlerweile bezieht sie ein, wie lange ein Video angesehen wird. Wenn
jemand nach dem ersten Klick abbricht, ist das für Goodrow ein Zeichen,
dass es nicht das war, wonach er gesucht hatte.
Im nächsten Schritt werden die verwandten Videos in eine Reihenfolge
gebracht. Wann wurde es gesehen, wo? Welcher Clip wurde davor angeschaut?
Wofür hat sich der Nutzer sonst interessiert? Goodrows Leute wählen die
Parameter aus, die Gleichungen erledigen den Rest.
Der Algorithmus habe nur einen Nachteil, sagt Goodrow: Er braucht Zeit.
„Wir müssen warten, bis möglichst viele Menschen die Videos angesehen
haben.“ Nur so lassen sich deren Verbindungen ermitteln.
## Mainstream-Filterblase?
Clips, die kaum gesehen werden, sind schwerer einzuordnen. Was beliebt ist,
wird auch oft empfohlen. Schafft das nicht eine Mainstream-Filterblase? Es
sei auf YouTube Platz für Nischen, für unterschiedlichste Interessen, sagt
Goodrow.
Greg Lindens Algorithmus hat erst im Laufe der Jahre seine volle Kraft
entfaltet. Er wird immer besser, je mehr Daten er durchwühlen kann.
Facebook, Amazon und Google hätten mit Empfehlungen experimentiert, die
sich Menschen gegenseitig geben, ohne maschinelle Vermittlung. Viel zu
aufwändig, sagt Linden. Nach Rat fragen, sich durch all die Antworten
arbeiten, gute finden.
Seit einigen Wochen wirkt seine Formel auch auf [2][google.de]. Neben der
Trefferliste schafft er dort eine Empfehlungsreihe: „Wird auch oft
gesucht“. Wer etwa „Obama“ eingibt, dem wird eine Liste anderer Personen
vorgeschlagen, nach denen man suchen könnte.
Emily Moxley ist 29 Jahre alt und hat ihr Büro in Mountain View,
Kalifornien, in einem Gebäude mit vielen Glasscheiben, vor dem Palmen
stehen und Fahrräder, die gelb-grün-blau-rot angestrichen sind. Die
Unternehmenszentrale von Google. Moxley kümmert sich um die
Empfehlungsliste, die Teil von etwas ist, das sie bei Google den Knowledge
Graph nennen. Der präsentiert neben der Trefferliste in einer Art
Steckbrief zentrale Informationen zum Suchbegriff, fast wie eine winzige
Wikipedia-Seite neben den Google-Treffern.
## Obama, dann Romney
Wenn jemand nach „Obama“ gesucht hat, wonach wird er wohl als Nächstes
suchen? Mitt Romney, George W. Bush, Michelle Obama ist Googles Antwort.
500 Millionen Objekte zählt der Knowledge Graph. Jedes wird mit allen
anderen abgeglichen.
Man muss den Algorithmus steuern und verfeinern. Sonst bekommt man ein
Justin-Bieber-Problem. „Wonach auch immer Sie gerade suchen“, sagt Emily
Moxley. „Es gibt ein paar Dinge, die überall so beliebt sind, dass man mit
einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass Ihre nächste
Suche sich darauf beziehen wird. Justin Bieber etwa. Man muss das Gewicht
dieser global beliebten Begriffe reduzieren, sonst würde Bieber ständig
empfohlen.“
Tom Hanks, Meg Ryan. Zwei Schauspieler, ein Film. Klar, dass die gemeinsam
auftauchen, sagt Moxley. Manche Muster allerdings, die der Algorithmus aus
den Daten schält, können sie sich nicht erklären.
## Die Magie der Algorithmen
Da wird ihr ein Buch empfohlen, weil sie ein anderes gelesen hat. Es ist
genau das richtige Buch für sie. Aber warum? „Das ist die Magie“, sagt
Emily Moxley. Die Magie der Algorithmen. Das macht sie so unheimlich.
Der Mensch gibt ihr Befehle und die Maschine zeigt ihm Dinge, die er nicht
versteht.
Kann der einstige Amazon-Programmierer Greg Linden nachvollziehen, dass das
Unbehagen schafft?
„Ich weiß nicht“, schreibt er. Dieses Unbehagen beruhe doch auf der
fälschlichen Annahme, dass die Maschine das alles selbst macht. Sie helfe
aber nur den Menschen, sich gegenseitig zu helfen. Wie gesagt.
Linden ist 40 Jahre alt und wohnt mit Frau und Kindern in Seattle. Er sagt,
er sei weitestgehend in Rente. Die ersten Amazon-Angestellten haben
großzügige Aktienanteile erhalten.
Für seine Erfindung bekam er damals einen alten Nike-Schuh. Eine seltsame
Sitte, die Amazon-Chef Jeff Bezos eingeführt hatte. Der „Just-do-it“-Preis.
Dieser Text erscheint in der sonntaz vom 29. Dezember. Ein ganzes Heft zur
Frage: Wem gehört das Internet?
29 Dec 2012
## LINKS
[1] http://amazon.com
[2] http://google.de
## AUTOREN
Johannes Gernert
## TAGS
Algorithmus
Internet
Programmieren
Amazon
NSA
Internet
Amazon
Schwerpunkt Meta
Internet
Google
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