# taz.de -- Neue Bücher übers Internet: Mit und ohne Fragezeichen | |
> Worüber reden wir, wenn wir über das Netz reden? Und wer hat da noch mal | |
> die Macht? Zwei Bücher suchen nach Antworten. | |
Bild: Verkehrschaos im Metapherregen des Internetdschungels. | |
Das wirklich gute Internetbuch erkennt man erst, wenn man es eine Weile | |
liegen lässt. Dann zeigt sich, was davon bleibt, was geblieben ist. Es gibt | |
ja heute auch gar nicht so wenige Bücher, die mehr so | |
Internetausdruckereien sind, wo also Autorinnen ein paar Texte von Spiegel | |
Online oder anderen Portalen noch mal mit einigen übergeordneten Gedanken | |
zusammenleimen, um sie dann für den möglichst schnellen Konsum zu drucken. | |
Wenn man das Buch ein paar Monate später ansieht, erinnert man sich, wie | |
lustig das damals alles noch war, aber es liest sich mehr wie ein | |
historisches Dokument. Das gute Internetbuch hat manches mit einem | |
anständigen Rotwein gemein. Ein paar Monate oder gar Jahre machen es eher | |
besser als schlechter. | |
Das war jetzt eine echte Scheißmetapher, klar, okay. Wäre besser gewesen, | |
vorher noch mal die Bedienungsanleitung für Metaphern und Narrative zu | |
lesen. Da steht schon unter Punkt 1: „Man setze Metaphern nur sparsam und | |
risikobewusst ein, so vorsichtig wie Chili in der Tomatensoße. Und danach | |
nicht mit den Fingern in die Augen.“ | |
## Kostprobe zum Halbjährigen | |
Die Anleitung findet sich im Kapitel „Das Internet ist ein rotes Auto“ in | |
Sascha Lobos und Kathrin Passigs Buch „Internet. Segen oder Fluch“. Ohne | |
Fragezeichen. Und nicht nur an dieser Stelle zeigt sich, wie ein | |
ordentliches Internetbuch (Hardcover) funktionieren kann. Man nimmt die | |
Internetaktualitäten oder historische Internetereignisse als | |
Argumentationsstoff, um etwa zu zeigen, was eine Metapher wie das rote | |
Stoppschild in der Zensursuladebatte bewirken können soll. Nämlich | |
suggerieren: Stoppschild ist vernünftig. Kennt man ja aus dem | |
Straßenverkehr. Hat aber nicht so ganz geklappt, kann man rückblickend | |
sagen. | |
„Internet“ feiert demnächst halbjähriges, es ist im Herbst erschienen. F�… | |
eine fundierte Internetbuchbilanz ist es also sicher noch zu früh. Aber man | |
kann sagen, dass schon die Grundkonfiguration garantiert, dass einiges | |
bleiben wird. Es ist ein Buch, das davon handelt, wie wir reden, wenn wir | |
über dieses Internet reden. Man hat ja manchmal den Eindruck, dass sich in | |
den Debatten um wesentliche Netzthemen Leute oft anschreien, allerdings auf | |
unterschiedlichen Frequenzen, so dass das dann für den jeweils anderen nur | |
schrecklich klingt, zuhören schwer möglich. | |
Lobo und Passig suchen nach den Grundmustern solcher Diskussionen, stellen | |
die Frage nach dem Wesen des Fortschritts und vergleichen das Netz mehr | |
oder weniger metaphorisch mit ähnlichen historischen Entwicklungen. Wenn | |
Erich Kästner etwa 1929 „diese Autos!“ ähnlich missgünstig betrachtet wie | |
mancher Politiker dieses Internet. Die Grundmuster der Debatte seien | |
jahrhundertealt, schreiben Passig und Lobo. | |
„Internet“ ist ein hübsches Nachdenk-Buch, dessen Ironie nur manchmal etwas | |
penetrant wird. In seinem Mitmachteil präsentiert es immer wieder „Nicht so | |
gute Argumente“ und lädt ausdauernd dazu ein, die eigene Position infrage | |
zu stellen. | |
## Von der Netzhierarchie | |
Vielleicht ist es ein wenig unfair dieses „Internet“ mit Jakob | |
Steinschadends „Digitaler Frühling“ vergleichen. Untertitel: „Wer das Ne… | |
hat, hat die Macht?“. Mit Fragezeichen. Steinschaden sucht zwischen | |
Piraten, autoritären Staaten und anonymen Hackern nach Strukturen von | |
Herrschaft. Er bildet vieles ab, was im vergangenen Jahr zu diesen Fragen | |
zu lesen war, und diskutiert nicht unklug Anonymous-Attacken oder | |
Acta-Protesten. | |
Seine Aufgabe ist deutlich mühsamer und er stellt sie sich weniger | |
ironisch. „Digitaler Frühling“ macht deshalb weniger Spaß und wirkt schon | |
jetzt etwas alt. Ach, ja, Acta, damals. Am spannendsten ist das Buch, wenn | |
er rausgeht, nach Island etwa, um sich die Anfänge von Wikileaks erzählen | |
zu lassen. Dann hat man auch da den Eindruck: Es bleibt was. | |
## Internet. Segen oder Fluch. Kathrin Passig und Sascha Lobo. Rowohlt | |
## Digitaler Frühling. Wer das Netz hat, hat die Macht? Jakob Steinschaden. | |
Ueberreuter | |
22 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Johannes Gernert | |
## TAGS | |
Internet | |
Piraten | |
Bitcoin | |
Offshore-Leaks | |
Goldene Zitronen | |
Algorithmus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Digitale Währung: Bitcoin im Keller | |
Panikverkäufe bei der digitalen Währung Bitcoin: Der Kurs stieg auf | |
Rekordhöhen, dann fiel er steil bergab. Die Sorge vor einer | |
Spekulationsblase wächst. | |
Projekt Offshore-Leaks: Der dritte Weg der Enthüllung | |
Bei Offshore-Leaks wurden Informationen zu Steueroasen über ein Netzwerk | |
von Journalisten verteilt. Diese Praxis offenbart zwei Verlierer: Julian | |
Assange und Wikileaks. | |
Kolumne Nullen und Einsen: Mehr Kirschblüten fürs Internet | |
Die Snapchat-App bringt die süße Vergänglichkeit des Moments zurück ins | |
digitale Leben. Mit ihr verschickte Fotos verschwinden nach Sekunden. | |
Beurteilung im Netz: Ein psychologisches Experiment | |
Wie Bewertungssysteme im Zimmervermietungsnetzwerk Airbnb den Besucher zum | |
Nachdenken bringen können. | |
Algorithmen im Internet: Ihnen könnte dieser Artikel gefallen | |
Ein Amazon-Programmierer hat in den Neunzigern eine Idee, die sich zum | |
mächtigsten Empfehlungsmechanismus im Netz entwickelt. |