Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Beurteilung im Netz: Ein psychologisches Experiment
> Wie Bewertungssysteme im Zimmervermietungsnetzwerk Airbnb den Besucher
> zum Nachdenken bringen können.
Bild: Was an Unterkünften gefällt, ist überaus subjektiv.
Was heißt jetzt also sauber? Ich soll auf einer Skala angeben, wie sauber
das Apartment war, in dem wir in New York gewohnt haben. Wir sind längst
weitergefahren, nach Washington. Aber Airbnb, die Zimmervermittlungsseite,
auf der Vermieter private Wohnungen anbieten, fordert mich auf, unseren
Aufenthalt zu bewerten. Und James, den Gastgeber. Ich soll einen Review
verfassen.
Ich habe weder viel Lust noch Zeit dafür. Doch andererseits helfen diese
Bewertungen, ein Apartment einzuschätzen, wenn man es mieten will. Selbst
ein düsterer Kellerverschlag in Manhattan lässt sich so hinfotografieren,
dass das, von Oberursel aus betrachtet, okay wirkt. Erst wenn ein früherer
Gast erwähnt, dass die Ratte ein wenig gestört hat, kriegt man einen
vollständigeren Eindruck. Nicht zu bewerten enthält anderen entscheidende
Informationen vor.
Wir haben auf unserer Reise gelernt, Bewertungen richtig zu lesen. „Dieses
Hotel war schrecklich“ muss nicht heißen, dass das Hotel schrecklich ist.
Es kann auch ein Hinweis darauf sein, dass es sich beim Rezensenten um
einen Menschen handelt, der, sagen wir mal, nicht immer die allerbeste
Laune hat.
Man muss die Bewertungsschreiben interpretieren, man muss versuchen die
Persönlichkeit der Verfasser herauszulesen, um den garstigsten Verriss oder
das schönste Loblied im Sinne der eigenen Standards zu verstehen. Es gibt
tatsächlich Menschen, die zeilenweise auf ein Motel schimpfen, um das
meiste am Ende damit zu begründen, dass der Concierge sie beim Einchecken
ein wenig schief angeschaut hat.
## Das Appartement war amerikanisch sauber
New York war unser erstes Airbnb-Apartment, unsere erste eigene Bewertung
und die Sache wurde dadurch verkompliziert, dass auch wir bewertet werden
würden. Als Gäste.
Was heißt jetzt also „sauber“? Amerikanisch sauber? Und wie sauber waren
wir selbst gewesen? Unsere Freundin Boona aus Berkeley hat neulich ein
Zimmer in ihrem Haus an einen Japaner vermietet. Sie hat ihn vorher
gefragt, ob er amerikanisch sauber sei. Oder sauber.
Das Apartment in Williamsburg war eher amerikanisch sauber: Wenn man barfuß
durch die Küche lief, hätte sich anschließend ein Spatzenschwarm eine
ordentliche Mahlzeit von den Fußsohlen picken können.
Aber welchen Eindruck hatten wir hinterlassen? Und wie wird meine Bewertung
die Bewertung, die unser Gastgeber James uns schreiben wird, beeinflussen?
Wenn ich beispielsweise auf der Sauberkeitsskala eine nicht so positive
Einschätzung hinterließe, würde er dann schreiben, dass wir Dreckspatzen
permanent alles vollgebröselt hätten?
So eine Wohnungsbewertung ist ein interessantes psychologisches Experiment.
Ein bisschen, wie wenn eine Lehrerin auch von ihren Schülern bewertet wird.
Ich beschließe sicherheitshalber, von einer amerikanischen Sauberkeitsskala
auszugehen, und finde alles in Ordnung. Ich klicke mich zügig durch die
Listen und mache unseren Aufenthalt noch ein wenig positiver.
## Great guests! Great People!
Wenig später bekomme ich wieder eine Mail von Airbnb: James hat uns
bewertet. Geht er auf den Deal ein, den ich ihm anbiete, und findet er mich
und uns im Gegenzug genauso okay wie wir ihn? Ganz unbedeutend ist das ja
nicht. Stünde da: „Johannes ist eigentlich ganz nett, aber er scheint sich
selten zu waschen, was man durchaus riecht“, würde das die Chancen nicht
unbedingt erhöhen, dass ich demnächst wieder ein Apartment über Airbnb
vermietet bekomme.
Ich klicke auf den Link zu meiner Bewertung. „Johannes and his girlfriend
were great!“, schreibt James, „great guests! great people!“
Wie unhöflich von mir, denke ich, dass ich gar keinen zusätzlichen eigenen
Bewertungstext geschrieben und nur die Skalen ausgefüllt habe. Oder will
James mich mit seiner Hymne nur zu einer noch enthusiastischeren Bewertung
bewegen? Ein freundlicher Manipulationsversuch?
Egal. Ich rufe meine Bewertung noch einmal auf und schreibe einen Satz
mehr: „Danke für die großartige Zeit in Brooklyn!“
30 Dec 2012
## AUTOREN
Johannes Gernert
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.