# taz.de -- Treffen der Fernmeldeunion: Leibesvisitation für das Internet | |
> Heimlich hat die UN-Fernmeldeunion einen Standard zur Durchsuchung von | |
> Daten im Netz verabschiedet. Die Details wurden durch eine Panne bekannt. | |
Bild: Missliebiges punktgenau herauspicken: Deep Packet Inspection. | |
Oft wurde die Internationalen Fernmeldeunion für mangelnde Transparenz | |
gescholten – obwohl die UN-Organisation ihre Sitzungen auf der | |
Weltkonferenz der Telekommunikation (WCIT) in Dubai sogar live ins Internet | |
überträgt, können sich die Zuschauer nur ein sehr eingeschränktes Bild | |
machen, was die Vertreter der 193 Mitgliedsstaaten tatsächlich beschließen. | |
Viele Dokumente bleiben für die Öffentlichkeit verschlossen, wichtige | |
Sitzungen werden [1][hinter verschlossenen Türen] abgehalten. | |
Doch manchmal überrascht sich die ITU selbst. Als bekannt wurde, dass die | |
ITU bereits einen wichtigen Schritt in Richtung Internetüberwachung getan | |
hatte, musste der australische Journalist und Internetaktivist Asher Wolf | |
nur auf Twitter nachfragen und schon bekam er das eigentlich vertrauliche | |
Protokoll 30-E einer ITU-Arbeitsgruppe zugesandt. Erst zu spät bemerkte die | |
Organisation, was ihr da durch die Finger geschlüpft war und forderte Wolf | |
auf, das Dokument auf keinen Fall zu veröffentlichen. Er [2][tat es aber | |
trotzdem]. | |
Der Inhalt ist brisant. Denn das Dokument zum Thema „Künftige | |
Netzwerkinfrastrukturen, inklusive Mobilnetze und Netzwerke der nächsten | |
Generation“ enthält Vereinbarungen, wie die umstrittene Deep Packet | |
Inspection umzusetzen sei. Deep Packet Inspection – kurz: DPI – ist | |
sozusagen die Leibesvisitation für Datenströme. | |
Bisher behandeln Provider Datenpakete im Prinzip gleich. Ein Datenpaket | |
wird mit einer Zieladresse eingeliefert und der Provider leitet es einfach | |
weiter in Richtung Empfänger. Dieses Prinzip der „Netzneutralität“ | |
unterscheidet das Internet von vorher verbreiteten | |
Telekommunikationstechniken, die jede Art von Datenverkehr unterschieden, | |
so dass die Firmen ihre Kunden entsprechende Gebühren in Rechnung stellen | |
konnten. Das Internet kennt keine Orts- und Ferngespräche – bisher ist es | |
weitgehend egal, ob eine Datenverbindung eine E-Mail, einen Videostream | |
oder eine Webseite enthielt. Jeder gibt die Daten so schnell weiter, wie er | |
konnte. | |
Doch damit soll bei den „Next Generation Networks“, die große | |
Telekommunikations-Konzerne seit Langem planen, Schluss sein. Sie wollen | |
Datenpakete nach sortieren und verschieden behandelt. Offizielle | |
Begründung: Die Auslastung und Qualität der Netze kann so verbessert | |
werden. Eine E-Mail kann ruhig ein paar Sekunden aufgehalten werden, bei | |
Sprachverbindungen hingegen ist jede Millisekunde wichtig. | |
## Filesharer und kopierte Musik identifizieren | |
Gleichzeitig erhoffen sich die Konzerne neue Einnahmequellen: Sie wollen | |
von großen Datenversendern für eine bevorzugte Behandlung ihrer Datenpakete | |
extra kassieren. So müsste zum Beispiel Google an die Deutsche Telekom | |
dafür zahlen, dass YouTube-Videos verlässlich und ohne Stottern beim Kunden | |
ankommen. | |
Die Telekom versucht unterdessen die Öffentlichkeit zu beruhigen. Die | |
Nachrichtenagentur dpa zitiert einen Sprecher des Unternehmens: „Wenn wir | |
Qualitätsstufen im Netz einführen, dann brauchen wir Standards. Das läuft | |
aber nicht über eine Deep Packet Inspection.“ Die Datenpakete müssten | |
lediglich markiert werden. Doch das mehr als 100-seitige ITU-Dokument | |
spricht eine ganz andere Sprache. | |
So sind ausdrücklich Beispiele vorgesehen, wie man einen Bittorrent-Nutzer | |
identifizieren kann oder wie man die digitalen Signaturen von | |
urheberrechtlicher Musik geschützt werden kann. Die Telekom mag kein | |
Interesse haben, den Datenverkehr ihrer Kunden nach Urheberrechtsverstößen | |
zu durchsuchen – die Technik ist jedoch die gleiche. | |
Die Verabschiedung des Standards bedeutet freilich nicht, dass die ITU | |
quasi im Alleingang Internetüberwachung und die Abkehr von der | |
Netzneutralität durchgesetzt hat. Es gibt keine Pflicht für | |
Internetprovider künftig den Internetverkehr zu durchleuchten. Doch mit dem | |
Standard werden die Weichen für die Zukunft gestellt. | |
Selbst wenn man das DPI als nützliche Technologie ansieht – schließlich | |
können damit lästige Folgen von Datenstaus abgemildert werden – bleibt es | |
eine missbrauchsanfällige Methode. So nutzen bereits Diktatoren DPI sehr | |
gerne, um den Internetverkehr zu durchleuchten. Zum Beispiel nutzte die | |
Regierung von Muammar al-Gaddafi DPI, um die Facebook-Konten von | |
Oppositionellen zu identifizieren und zu übernehmen. | |
Wer sich bei Facebook einloggte, konnte gezielt umgeleitet werden, so dass | |
die Regierung genau wusste, wer was sendete. Die ITU betont zwar gerne, | |
dass sie wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen gar nicht in | |
die Meinungsfreiheit eingreifen könne. Auf technischer Ebene zeigt sie | |
jedoch, dass sie das sehr wohl kann. | |
7 Dec 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.heise.de/netze/meldung/WCIT-Transparenz-bleibt-ein-Reizthema-fue… | |
[2] http://www.theregister.co.uk/2012/12/06/dpi_standard_leaked/ | |
## AUTOREN | |
Torsten Kleinz | |
Torsten Kleinz | |
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