| # taz.de -- Weltkonferenz zur Telekommunikation: Schach dem freien Internet | |
| > Wie viel Einfluss darf eine UN-Behörde auf das bisher nicht-staatlich | |
| > kontrollierte Internet haben? Und soll Google für den Netzausbau zahlen? | |
| > Darüber wird in Dubai verhandelt. | |
| Bild: Warmlaufen für die WCIT: Die ITU-Konferenz „Telecom World", die im Okt… | |
| Es war im Juni 2011, als der damalige russische Ministerpräsident Wladimir | |
| Putin der Genfer Zentrale einer wenig bekannten Organisation einen Besuch | |
| abstattete: der Internationalen Fernmeldeunion ITU, einer | |
| UN-Unterorganisation, die bislang vor allem die technischen Aspekte des | |
| grenzüberschreitenden Telefonverkehrs regelt. Vor der Presse erklärte Putin | |
| den Grund seiner Mission: Er unterstütze das Ziel „internationaler | |
| Kontrolle über das Internet mithilfe der Kontroll- und | |
| Überwachungsmöglichkeiten der ITU“. | |
| Was etwas umständlich klingt, ist inhaltlich hochbrisant: Bislang wird das | |
| Internet von einem losen Netzwerk nichtstaatlicher Organisationen | |
| verwaltet. Wenn es nach Putin geht, würden in Zukunft Staaten die Kontrolle | |
| über das Netz übernehmen – mithilfe der ITU. | |
| Die Chance dafür bietet die Reform des zentralen ITU-Vertragswerks, über | |
| die ab Montag bis zum 13. Dezember von 193 Staaten auf der Weltkonferenz | |
| zur internationalen Telekommunikation (WCIT) in Dubai verhandelt wird. | |
| Nötig ist die Vertragsreform, weil sich die Welt der Telefonie seit der | |
| letzten Änderung im Jahr 1988 radikal gewandelt hat. Statt im Festnetz wird | |
| heute vor allem mobil telefoniert, statt Telefonleitungen nutzen | |
| Internettelefonie-Anbieter wie Skype die Datenleitungen des Internets. | |
| Es liegt daher nahe, der ITU auch Regelungskompetenz für das Netz zu geben. | |
| Russland, China und einige arabische Länder planen sogar, zentrale Aspekte | |
| über die ITU regeln zu lassen: beispielsweise die Verteilung der | |
| IP-Adressen, den Inhalt von Webseiten oder Fragen der Internetsicherheit. | |
| ## Zensur und technologischer Stillstand? | |
| Für Netzaktivisten ist das ein Horrorszenario: „Die Vorschläge von China | |
| und Russland bedrohen die Freiheit und die Menschenrechte im Netz“, | |
| fürchtet die Bürgerrechtsgruppe Access. Der US-amerikanische Informatiker | |
| Vint Cerf, er gilt als einer der Entwickler des Internets, erklärte im Mai | |
| vor dem US-Kongress: „Das offene Netz war nie in größerer Gefahr als | |
| jetzt.“ Die Kritiker befürchten neue staatliche Überwachungsmöglichkeiten, | |
| Zensur und technologischen Stillstand. Die bisherige dezentrale Verwaltung | |
| des Internets seien die wesentlichen Grundvoraussetzungen für ein kreatives | |
| und freies Netz. | |
| Diese Haltung vertreten auch die meisten westlichen Länder, allen voran die | |
| USA und Europa. Sie haben angekündigt, auf jeden Fall gegen Vorschläge für | |
| mehr Internetkontrolle zu stimmen. Die Bundesregierung will sich bei der | |
| Konferenz für „Offenheit, Transparenz und die Freiheit des Internets“ | |
| einsetzen. | |
| Entsprechend rechnen Beobachter nicht damit, dass sich die Chinesen und | |
| Russen durchsetzen werden. Denn weil technologische Übereinkünfte nur dann | |
| Sinn ergeben, wenn sich alle daran halten, treffen die 193 | |
| ITU-Mitgliedstaaten ihre Beschlüsse einstimmig. | |
| „Es wird im Moment viel Feuer entfacht und viel Rauch gemacht, aber am Ende | |
| wird man die bestehenden Regeln nicht in Frage stellen“, sagt Wolfgang | |
| Kleinwächter, der an der Universität Aarhus zu Internetpolitik forscht. | |
| Kleinwächter glaubt aber dennoch, dass das Thema Netzkontrolle noch für | |
| mehrere Jahre auf der Agenda stehen wird: „Dubai ist eher der Eröffnungszug | |
| in einer langen Schachpartie um die Frage, wie das Internet reguliert wird. | |
| Das ist eine der großen Fragen der Weltpolitik.“ | |
| ## Google Onlinepetition | |
| Doch nicht nur um politische, sondern auch um wirtschaftliche Interessen | |
| geht es in Dubai. Unter dem Stichwort #FreeAndOpen lancierte Google im | |
| November eine Onlinepetition gegen das Vorhaben einiger Länder, auf der | |
| WCIT in Dubai das Internet unter verstärkte staatliche Kontrolle zu | |
| bringen. | |
| „Eine freie und offene Welt braucht ein freies und offenes Internet“, heißt | |
| es da; und etwas konkreter: Würden bestimmte Vorschläge für die | |
| Vertragsänderung in Dubai Wirklichkeit, „müssten Dienste wie YouTube, | |
| Facebook und Skype Gebühren entrichten, um für Menschen überall auf der | |
| Welt zugänglich zu sein“. | |
| Der Verweis auf mögliche finanzielle Belastungen für die Konzerntochter | |
| YouTube zeigt: Die Kampagne gegen die ITU, gegen mögliche staatliche Zensur | |
| und für Freiheit im Netz, hat für Google auch einen wirtschaftlichen | |
| Hintergrund. Es geht um die Frage, ob die Internetfirmen, die immer größere | |
| Datenmengen durchs Netz schicken, für den dafür nötigen Ausbau der | |
| Infrastruktur zahlen sollen. Dieser Vorschlag steht in Dubai auf der | |
| Tagesordnung. | |
| Hinter der Idee steht federführend die Vereinigung der europäischen | |
| Telekommunikationsnetzbetreiber Etno. Sie repräsentiert unter anderem die | |
| Deutsche Telekom, France Télécom und Telecom Italia – allesamt ehemalige | |
| Monopolisten, deren althergebrachtes Geschäftsmodell bedroht ist, weil | |
| Auslandstelefonate zunehmend kostengünstig über Internetanbieter wie Skype | |
| abgewickelt werden. | |
| ## Gebühren für große Datenmengen | |
| Der Etno-Vorschlag sieht vor, von Anbietern großer Datenmengen wie YouTube | |
| oder Skype für jeden Besucher Gebühren zu verlangen. Kritiker halten das | |
| für wenig praktikabel. Etno schlägt außerdem vor, eine Art | |
| Zweiklasseninternet einzuführen und damit zusätzliche Erlöse für den | |
| Netzausbau zu generieren. Dabei würden Anbieter, die große Datenmengen | |
| schnell befördern wollen, zur Kasse gebeten. | |
| „Wir wollen ein Preismodell, das die Einkünfte von Netzbetreibern sichert | |
| und das den Anbietern von Inhalten erlaubt, besser auf dem Markt | |
| konkurrieren zu können“, fordert der Etno-Vorsitzende Luigi Gambardella. | |
| Das Zweiklasseninternet würde allerdings mit dem Prinzip der | |
| Netzneutralität brechen, das bislang dafür sorgt, dass es unter den im | |
| Internet verschickten Datenpaketen keine Vorzugsbehandlung gibt. | |
| Das Vorhaben der Europäer, so erklärt Milton Mueller von der | |
| US-amerikanischen Syracuse University, stehe „in einer Reihe andauernder | |
| Kämpfe darüber, wie das Internet die traditionellen Telekomgeschäfte und | |
| -märkte zum Erliegen gebracht hat“. Allerdings stehen die Chancen schlecht, | |
| dass sie damit in Dubai Erfolg haben werden. | |
| Zwar steht die ITU selbst der Idee wohlwollend gegenüber, doch europäische | |
| Regierungen wollten den Vorschlag nicht übernehmen. Mittlerweile hat sich | |
| offenbar das ITU-Mitgliedsland Kamerun bereit erklärt, die | |
| Etno-Formulierungen in ihrem Änderungsantrag aufzunehmen. Bleibt die | |
| Konferenz aber bei ihrem Konsensprinzip, hat der Antrag keine Chance. | |
| Google hat dafür seinen Teil geleistet. | |
| 3 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Niklas Wirminghaus | |
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