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# taz.de -- Dickmacher in Softdrinks: So süß, so schädlich
> Mit Verkaufsverboten und Sondersteuern soll versucht werden, den
> Zuckerkonsum einzuschränken. Es geht vor allem um bei Kindern und
> Jugendlichen beliebte Softdrinks.
Bild: Äffchen, Äffchen ... Das tut dir nicht gut!
„The toxic truth about sugar“ – so betitelten Robert Lustig und seine
Kollegen von der University of California einen Kommentar, der im Februar
im Fachblatt Nature erschien und heftige Debatten in der Fachwelt nach sich
zog.
Mit dem Titel ist eigentlich schon alles gesagt: Lebensmitteln zugesetzter
Zucker gilt den US-Wissenschaftlern als der Übeltäter schlechthin für das
Metabolische Syndrom, ein Krankheitskomplex, der neben Übergewicht auch
Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Herzkrankheiten und die
sogenannte nichtalkoholische Fettleber umfasst.
Aber nicht nur das. Lustig zieht auch Vergleiche zu Suchtmitteln wie
Alkohol und Zigaretten und fordert daher gesellschaftliche Maßnahmen wie
etwa Verkaufsverbote von Süßkram und Softdrinks an Kinder und Jugendliche,
um den Konsum einzuschränken.
„Diese Aussagen sind natürlich sehr zugespitzt“, urteilt Hans Hauner,
Ernährungsmediziner von der TU München. Und auch Andreas Pfeiffer,
Diabetologe an der Charité in Berlin sagt: „Die Bezeichnung ’Sucht‘ ist …
Zusammenhang mit Essen unzutreffend, denn man kann es im Gegensatz zu
Zigaretten oder Rauschmitteln ja schlecht weglassen.“
Trotzdem entbehren Lustigs Hypothesen nicht auch wissenschaftliche Fakten.
Bei Zigaretten- und Drogenkonsum oder auch beim Sex sorgt der Botenstoff
Dopamin im körpereigenen Belohnungssystem für den besonderen Kick. Fett-
und zuckerreiches Essen führt ebenso zur Ausschüttung von Dopamin.
Zumindest in Rattenversuchen konnte man nachweisen, dass kalorienreiches
Essen süchtig machen kann. Exzessive Zuckermengen im Futter lösten
Veränderungen im Gehirn aus, die ähnlich sind wie bei Suchtkrankheiten.
Auch bei einer normalen Diät fraßen zuckersüchtige Ratten dann sehr viel
mehr als vor dem Experiment.
## Zuckersucht nicht nachgewiesen
Beim Menschen sind solche Suchterscheinungen durch dauernd hohen
Zuckerkonsum jedoch bislang nicht nachgewiesen. Thomas Ellrott,
Ernährungspsychologe an der Universität Göttingen sieht Lustigs Hypothese
daher kritisch: „Bei Zuckerhaltigem gibt es weder Entzugserscheinungen noch
eine Gewöhnung und Dosissteigerung.“ Zudem müssen persönliche und soziale
Faktoren dazukommen.
„Übermäßiger Verzehr von zuckerreichen Lebensmitteln führt ja nicht
automatisch in die Sucht“, gibt Iain Mattaj, Wissenschaftler am European
Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg zu Bedenken. „Das Umfeld
spielt auch eine erhebliche Rolle.“ Dass Menschen eine Vorliebe für sehr
kalorienreiche Speisen und Getränke haben, ist eine Tatsache und Folge von
vielen zehntausend Jahren Mangel. „Süßes zeigt an, dass ein Lebensmittel
sicher ist“, so Ellrott. Daher sind vor allem Kinder so wild auf
Süßspeisen.
Richtig ist, dass man in epidemiologischen Studien kaum Beweise findet,
dass Zuckerkonsum zu Stoffwechselkrankheiten führt. Mit einer Ausnahme:
zuckergesüßte Getränke, dazu zählen nicht nur Limonaden und Colagetränke,
sondern auch Fruchtsaftgetränke und Eistees.
Hier mehren sich laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) die
Hinweise auf einen Zusammenhang mit Übergewicht und Diabetes. In der 2011
aktualisierten DGE-Leitlinie „Kohlenhydrate“ gilt ein hoher Softdrinkkonsum
als wahrscheinlich für die Entstehung dieser Krankheiten.
## Täglich einen Liter Zuckergesüßtes
Was bei einem übermäßigen Softdrinkkonsum im Körper abläuft, hat
beispielsweise letztes Jahr eine Studie der Züricher Medizinerin Isabelle
Aeberli aufgedeckt. Nach einer dreiwöchigen Diät mit täglich gut einem
halben Liter zuckergesüßten Getränken hatten die Probanden mehr kleinere
Cholesterinpartikel im Blut schwimmen, die als besonders aggressiv gelten.
Zudem war der Nüchternblutzucker, eine Vorstufe des Diabetes, und der
Entzündungsmarker CRP erhöht. Dabei sind die in der Studie verwendeten
Mengen nicht unrealistisch: 14- bis 18-Jährige Jungen trinken hierzulande
täglich rund 0,5 Liter Zuckergesüßtes, gleichaltrige Mädchen rund die
Hälfte, belegt die Nationale Verzehrsstudie II. Das entspricht einer
Energiezufuhr von etwa 250 beziehungsweise 120 Kilokalorien.
„Diese Getränke haben keine Sättigungswirkung und sind damit überwiegend
unnötige zusätzliche Kalorien, die allein dadurch zu Gewichtszunahme führen
können“, erklärt der Münchner Wissenschaftler Hauner. Da auch unverdünnte
Fruchtsäfte und alkoholische Getränke erhebliche Mengen an Kalorien
liefern, zählen viele Experten sie zu den Getränken, die nur in Maßen
genossen werden sollten – also nicht zum Durstlöschen.
## Giftige Wirkung
Handelsüblicher Haushaltszucker, wie er auch in gesüßten Getränken zu
finden ist, besteht zu gleichen Teilen aus Glukose und Fruktose, ebenso der
in USA für Softdrinks verwendete High-fructose corn syrup. Der
US-Wissenschaftler Lustig spricht neben der geringen Sättigungswirkung von
Softdrinks vor allem der darin enthaltenen Fruktose eine giftige Wirkung
zu.
Zwar wird Fruktose insulinunabhängig verstoffwechselt, weswegen der
Süßstoff jahrelang Diabetikerlebensmitteln zugesetzt wurde. Fruktose
fördert jedoch in Leberzellen, wo der Zucker abgebaut wird, die Neubildung
von Fetten, was zu erhöhten Blutfettwerten und Insulinresistenz führt.
Zudem sendet Insulin dem Gehirn Sattsignale, das Hormon fehlt jedoch beim
Fruktosekonsum. Und der Fruchtzucker selbst unterdrückt im Gehirn einen
Signalweg der Ich-bin-satt-Botschaften vermittelt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält einen Zuckerkonsum von 10
Prozent der Energiezufuhr für vertretbar. Laut verschiedener Studien
konsumieren aber gerade Kinder bis zu dreimal mehr als empfohlen, bei Vier-
bis Fünfjährigen sind es etwa 40 Gramm Süßes pro Tag.
Dabei gibt es Unterschiede je nach sozialer Herkunft: Höhere Bildung der
Familien geht mit größerem Süßigkeitenkonsum einher, während Kinder aus
prekären Verhältnissen eher zu viel flüssigen Zucker trinken.
## Softdrink-Steuer gefordert
Deswegen schlagen auch in Europa Kinderärzte Alarm: Kürzlich forderte der
Vorstandschef der Diabetes-Hilfe Thomas Danne eine Softdrinksteuer. In
Frankreich ist eine Sonderabgabe bereits durch das Parlament gekommen, in
Italien, dem Land mit den meisten übergewichtigen Kindern, ist sie geplant.
„Eine spezielle Steuer könnte vielleicht den Konsum solcher Getränke
einschränken“, meint der Münchner Ernährungsmediziner Hauner. Allerdings
nur, wenn diese hoch genug sei.
Kürzlich haben Wissenschaftler im British Medical Journal (BMJ) nämlich
vorgerechnet, dass wohl Zuschläge von mindestens 20 Prozent notwendig
wären, um das Kaufverhalten signifikant zu verändern.
Zudem wird gefordert, zuckergesüßte Getränke zumindest nicht mehr in der
Schule zu verkaufen. Die Diabetes-Hilfe hat im März eine Online-Petition
unter dem Motto „Schulfrei für zuckerhaltige Getränke“ veröffentlicht.
„Genauso wie in Schulen keine Zigaretten verkauft werden, sollte es
selbstverständlich sein, dass dort auch keine zuckergesüßten Getränke
angeboten werden“, meint Danne.
Eine Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung hat im Jahr 2009
ergeben, dass kostenlose Wasserspender in Schulen zumindest das Gewicht der
Kinder in einem Jahr konstant halten kann. „Nur leider sind diese Automaten
nicht kostenlos, was ihre Verbreitung verhindert“, sagt Danne.
## Keine Belege
Bei der Industrie hält man von all dem wenig. Stefanie Effner von Coca-Cola
Deutschland verweist etwa darauf, dass Softdrinks ja immer Teil einer
Ernährungsweise seien und darum nicht allein für Übergewicht oder Diabetes
verantwortlich gemacht werden könnten. Zudem gäbe es keine Belege dafür,
dass ein reduzierter Zuckerkonsum die Bevölkerung wirklich gesünder mache.
Was allerdings nicht ganz stimmt: Einige neuere US-Studien zeigen, dass
allein durch ein Weniger an Softdrinks Übergewicht verringert werden kann.
Unumstritten ist dabei, dass vor allem auch die Eltern als Vorbild
vorangehen müssen: „Sie sollten zu Hause den Konsum solcher Getränke
einschränken, dafür regelmäßig Wasser oder verdünnte Fruchtsäfte anbieten…
rät der Ernährungsmediziner Hans Hauner von der TU München. Zudem könne man
auch auf die zuckerreduzierten Varianten zurückgreifen. Strikte Verbote
sind dagegen jedoch fast immer kontraproduktiv.
2 Aug 2012
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Diabetes
Indien
Mexiko
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Softdrinks
Lebensmittel
Zucker
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