| # taz.de -- Diabetes als Volkskrankheit: „Heilungschancen gibt es derzeit nic… | |
| > Der Diabetologe Peter Sawicki spricht über Ursachen und | |
| > Behandlungsmethoden bei Diabetes. Medizinische Durchbrüche erwartet er | |
| > nicht. | |
| Bild: Gesteigertes Diabetesrisiko: Die Deutschen sitzen zu viel. | |
| taz: Herr Sawicki, die Zahlen des Robert-Koch-Instituts alarmieren. Warum | |
| wurde Diabetes so lange als Volkskrankheit unterschätzt? | |
| Peter Sawicki: Diabetes wird nicht unterschätzt. Die Qualität der | |
| Behandlung dieser Erkrankung in Deutschland wird nur nicht systematisch | |
| erhoben. | |
| Aber die Daten sind doch neu? | |
| Die Daten sind nicht überraschend, wir kennen sie gut aus anderen Ländern. | |
| Sie bringen wenig neue Erkenntnisse. Wichtiger wäre zu erfassen, wie viele | |
| Menschen mit Diabetes nicht ausreichend behandelt sind. | |
| Woran liegt es, dass so viele Diabetes-Fälle unerkannt bleiben? | |
| Mäßig erhöhte Blutzuckerwerte, wie sie ja am Anfang der Erkrankung | |
| regelmäßig vorliegen, verursachen keine Beschwerden. Somit können die | |
| Betroffenen die Erkrankung nicht so einfach erkennen. Erst später führen | |
| sehr hohe Blutzuckerwerte zu starker Urinproduktion, Durst und | |
| Abgeschlagenheit. | |
| Was sind die Ursachen für die Zunahme von Diabetes bei Erwachsenen? | |
| Die Diabeteserkrankungen nehmen weltweit zu. Verantwortlich dafür werden | |
| vor allem die Zunahme stark übergewichtiger Menschen und abnehmende | |
| körperliche Belastung zum Beispiel bei der Berufstätigkeit gemacht. In den | |
| Industrieländern ist die stetig zunehmende Lebenserwartung auch ein Faktor, | |
| da der „Altersdiabetes“ oder Typ 2 Diabetes vor allem eine Erkrankung des | |
| fortgeschrittenen Lebensalters ist. Es spielen aber sicher auch genetische | |
| Faktoren eine wichtige Rolle. | |
| Welche Personengruppen sind besonders gefährdet? | |
| Gefährdet sich vor allem Menschen, in deren Familie der Diabetes | |
| aufgetreten ist, stark übergewichtige Menschen. Ess- und Trinkgewohnheiten | |
| spielen kaum eine Rolle, wenn man nicht mehr isst, als man an Kalorien pro | |
| Tag benötigt. Ganz wichtig: weder von Zucker noch von Schokolade bekommt | |
| man Diabetes, aber natürlich können diese Nahrungsmittel zu einer zu hohen | |
| Kalorienaufnahme beitragen, zu Übergewicht führen und dann zu Diabetes. | |
| Wäre es sinnvoll, über Gentests frühzeitig festzustellen, wer eine | |
| Disposition für Diabetes hat? | |
| Gentests sind unsicher und überflüssig; sie lassen keine sichere Aussage | |
| zu, wer einen Diabetes mellitus bekommen wird und wer nicht. Wenn aber in | |
| der Familie bei nahen Verwandten Diabetes aufgetreten sich, so ist dies | |
| sicher ein wichtiger weiterer Grund, auf ein normales Gewicht zu achten. | |
| Welche Folgeerkrankungen drohen? | |
| Langfristig erhöhte Blutzuckerwerte können Schädigungen der kleinen Gefäße | |
| verursachen, die dann zu Erkrankungen des Augenhintergrundes, der Nieren | |
| und der Nerven führen. Betroffen sind hiervon vor allem Menschen, die den | |
| Diabetes in einem relativ jungen Alter bekommen, also grob circa vor dem | |
| 60. Lebensjahr. Das Risiko, infolge des Diabetes zu erblinden oder an die | |
| Dialyse zu kommen, nimmt mit dem Alter bei Diagnosestellung ab. | |
| Darüber hinaus besteht bei sehr vielen zuckerkranken Menschen ein | |
| Bluthochdruck; wenn dieser nicht ausreichend behandelt wird, drohen | |
| Herzinfarkte und Schlaganfälle. Und ganz wichtig: Bei allen Menschen mit | |
| Diabetes sind die Füße besonders gefährdet. Unbehandelte Verletzungen zum | |
| Beispiel durch zu kleine Schuhe, was man aufgrund der Nervenschädigung - | |
| und der damit verbundenen Empfindungsstörung - häufig nicht wahrnimmt, | |
| können übersehen werden. Nachfolgende schwerwiegende Entzündungen der Füße | |
| bringen ein Amputationsrisiko mit sich. | |
| Ist Diabetes vererblich? | |
| Beide Diabetesformen sind erblich. Somit tragen die Kinder von Diabetikern | |
| ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. | |
| Gibt es Heilungschancen? | |
| Heilungschancen gibt es derzeit nicht, und trotz aller | |
| Durchbruch-Ankündigungen wie „bald heilbar“ ist aus meiner Sicht damit in | |
| den nächsten Jahrzehnten auch nicht zu rechnen. Die besten | |
| Therapiemöglichkeiten für Typ 2 Diabetes kennt man seit über 150 Jahren: | |
| Gewichtsabnahme, verbunden mit körperlicher Bewegung. Die vielen neuen | |
| blutzuckersenkenden Pillen haben – wenn überhaupt – nur einen relativ | |
| geringen Nutzen. Und für alle Menschen mit Typ 1 Diabetes und einige mit | |
| Typ 2 Diabetes steht dankenswerterweise in Deutschland Insulin zur | |
| Verfügung. | |
| Welche ökonomischen Folgen ergeben sich daraus für das Gesundheitssystem in | |
| Deutschland? | |
| Es gibt hierzu bislang nur bereits abgeschlossene, aktuelle und relativ | |
| gute Berechnungen aus England, wo die laufenden Kosten für das gesamte | |
| Gesundheitswesen besser analysiert werden, da die Datengrundlage solider | |
| ist als bei uns. Ich denke aber, dass man diese Berechnungen mit einigen | |
| Einschränkungen auch auf Deutschland übertragen kann. Demnach werden sich | |
| die Gesamtkosten für das Gesundheitswesen und für die Gesellschaft – also | |
| indirekte und direkte Kosten – für Typ 1 und Typ 2 Diabetes mellitus in den | |
| nächsten 25 Jahren in etwa verdoppeln. | |
| 14 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
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