# taz.de -- Debatte Rentenpläne: Auf dem Holzweg | |
> Ursula von der Leyen hat sogar die SPD zum Jagen getragen. Aber ihre | |
> Mittel sind nicht geeignet, die Altersarmut entscheidend zu verringern. | |
Bild: Werden die Hände nicht in den Schoß legen können, wenn die Rentenplän… | |
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gebührt schon jetzt ein Orden. Sie | |
hat die Debatte über die künftige Altersarmut regierungsamtlich in Gang | |
gesetzt und endlich auch die SPD aufgescheucht. | |
Leider präsentiert sie mit der Zuschussrente aber die falsche Lösung, | |
ebenso wie Sigmar Gabriel mit seiner Solidarrente. Beide sind in der | |
Rentenfrage wie der Großteil der Gesellschaft einer perfiden Meinungsmache | |
aufgesessen. In der Bevölkerung werden mehrere sogenannte Rentenwahrheiten | |
fast wie Naturgesetze akzeptiert: | |
1. Die demografische Entwicklung („zu wenige Junge – zu viele Alte“) brin… | |
die gesetzliche Rente in Schieflage. Eine Senkung des bisherigen | |
Rentenniveaus ist unausweichlich. | |
2. Bleiben die Renten auf dem aktuellen Niveau, steigen die Beiträge | |
künftig in unzumutbare Höhen. Die heute Jungen werden überfordert, die | |
Generationengerechtigkeit verletzt. | |
3. Nur durch eine stärkere private Altersvorsorge kann künftig Altersarmut | |
vermieden werden. | |
All das klingt plausibel, ist aber dennoch falsch. Schlimmer noch: Diese | |
Thesen führten die prekäre Situation der deutschen Altersversorgung erst | |
herbei. Wie konnte das passieren? Zunächst machte nur eine kleine Clique | |
von Wissenschaftlern, allesamt mit der Finanzwirtschaft verbandelt, die | |
angeblich ruinöse Bevölkerungsentwicklung zum Thema. | |
## Raffelhüschens Lobbysieg | |
Ihr prominentester Vertreter: Bernd Raffelhüschen, seit vielen Jahren | |
Mitglied im Aufsichtsrat der Ergo-Versicherung, daneben als | |
Vortragsreisender für Versicherungen und Finanzdienstleister unterwegs. Mit | |
Kampfbegriffen wie „demografische Katastrophe“ wurde der Boden bereitet. | |
Dankbar griffen Lobbygruppen wie das von der Deutschen Bank finanzierte | |
Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA), die Initiative Neue Soziale | |
Markwirtschaft und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft | |
(GDV) die Thesen auf und verwandelten sie durch Wiederholung zu | |
unumstößlichen Wahrheiten. | |
Es war schließlich die rot-grüne Bundesregierung, die 2001 mit der | |
Riester-Reform die Axt an die staatliche Rente legte und den privaten | |
Versicherungskonzernen einen Milliardenmarkt eröffnete. Dank der | |
Riester-Rente sollte es allen künftigen Rentnern sogar besser gehen als | |
zuvor, versprachen Gerhard Schröder und Walter Riester. Das glaubt heute | |
niemand mehr. | |
Die traurige Wahrheit sieht so aus: Bis 2030 wird das Rentenniveau durch | |
die seit 2001 beschlossenen Maßnahmen um rund 30 Prozent sinken. | |
Gleichzeitig zahlen die Riester-Sparer 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens in | |
private Verträge, von denen derzeit niemand sagen kann, ob sie jemals eine | |
positive Rendite abwerfen werden. Damit tritt für die heutigen | |
Beitragszahler die absurde Situation ein, dass sie trotz der beschlossenen | |
Maßnahmen deutlich mehr zahlen als im alten System und dennoch erheblich | |
weniger herausbekommen werden. | |
## Mit dem Föhn gegen Feuer | |
Von der Leyen legt das Elend nun offen: Ein Normalverdiener mit monatlich | |
2.500 Euro brutto kann 2030 nach 35 Arbeitsjahren auf 688 Euro Rente | |
hoffen. Man kann die Zahl auch anders interpretieren. Das halbe Volk müsste | |
im Alter Grundsicherung beantragen – was wohl das Ende der gesetzlichen | |
Rente bedeuten würde. Die Lösung der Arbeitsministerin: für langjährig | |
Beschäftigte eine Aufstockung auf maximal 850 Euro, die Zuschussrente. Aber | |
nur wenn die Versicherten private Vorsorge, etwa mit der Riester-Rente, | |
betrieben haben. Das klingt so absurd wie der Versuch einer Feuerwehrfrau, | |
einen Brand mit einem Föhn auszublasen. War es doch die Einführung der | |
Riester-Rente, die die Kürzungen der gesetzlichen Rente mit sich brachte. | |
Auch Gabriels Ansatz führt in die Irre. Statt in die Riester-Rente will der | |
SPD-Chef die Versicherten in die Betriebsrente zwingen. Dabei sorgt jede | |
Einzahlung in die betriebliche Altersversorgung für eine fiktive Absenkung | |
des Bruttolohns und damit für eine weitere Absenkung der gesetzlichen Rente | |
– und zwar für alle Versicherten. Also Rettung durch Zerstörung? Diese | |
Logik war einer der Geburtsfehler der Riester’schen Rentenreform. | |
Wenn also nun die fatalen Folgen dieser missglückten Reform offenkundig | |
werden, hilft nur die Rentenrolle rückwärts. Wir müssen zum alten | |
Rentenniveau zurückkehren. Mit einer Steigerung um rund 30 Prozent wäre der | |
Vorteil für die meisten deutlich größer als bei der Zuschussrente. Zudem | |
sollten die Ansprüche der Bezieher kleiner Einkommen aufgewertet werden, | |
wie es bis 1992 mit der „Rente nach Mindesteinkommen“ üblich war. | |
## Ausgeriestert | |
Die Beitragssätze würden zwar steigen, doch wegen der paritätischen | |
Finanzierung müssten die Arbeitnehmer nur die Hälfte tragen. Für sie würde | |
es nicht teurer als nach heutiger Gesetzeslage, die Arbeitgeber würden | |
hingegen mehr belastet. Die Riester-Rente dürfte nicht mehr länger | |
staatlich gefördert werden. Die Subventionen, die derzeit indirekt der | |
Finanzwirtschaft zugute kommen, sollten direkt in die Rentenkasse fließen. | |
Weitere Maßnahmen sind sinnvoll: Die Beitragsbemessungsgrenzen von derzeit | |
monatlich 5.600 Euro West und 4.800 Euro Ost könnten deutlich erhöht | |
werden. Sehr hohe Einkommen sollten daraus nur degressiv fallende | |
Rentenansprüche erwerben. Jeder, der mehr verdient, bekäme zwar mehr Rente, | |
doch der Anstieg fiele geringer aus. Das bringt Spielräume zur | |
Rentenerhöhung bei Kleinverdienern. | |
Ferner könnte der Kreis der Rentenversicherten ausgeweitet werden. Die 2,5 | |
Millionen Soloselbstständigen sollten versicherungspflichtig werden, | |
versicherungsfreie Minijobs zurückgedrängt und langfristig auch Beamte in | |
das gesetzliche Rentensystem eingegliedert werden. | |
Gelänge es zudem, die Arbeitslosigkeit drastisch zu reduzieren und die | |
Erwerbstätigkeit der über 55-Jährigen deutlich auszuweiten, ergäbe sich | |
insgesamt ein Potenzial von über zwölf Millionen neuen Beitragszahlern. | |
Könnte man nur die Hälfte davon aktivieren, wäre das zusammen mit den | |
anderen Maßnahmen mehr als genug, damit auch im Jahr 2030 das | |
Umlageverfahren in der gesetzlichen Rente noch funktioniert und für | |
armutsfeste Renten sorgen wird. | |
1 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Holger Balodis | |
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Minijob | |
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