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# taz.de -- Protest wird sesshaft: Das Zelt bleibt
> Der Flüchtlingsstreik am Brandenburger Tor wird zum Dauerwiderstand.
> Nicht nur dort: Auch in Kreuzberg wird gecampt. Warum der Protest in
> Berlin sesshaft wird.
Bild: Oh, wie schön ist Protestzelten: Idylle am Oranienplatz.
Auch sie also wollen bleiben. Bis zum 15. November, mindestens, wollen sie
am Brandenburger Tor ausharren, kündigten die 20 Asylbewerber am Montag an.
Seit zwei Wochen protestieren sie dort für bessere Lebensbedingungen, Tag
und Nacht, anfangs im Hungerstreik. Und ihre Forderungen, sagt Arash
Dosthossein, 32-jähriger Iraner, seien noch längst nicht erfüllt.
Es wird zum Trend: Der Protest in Berlin wird sesshaft. Denn auch in
Kreuzberg campieren seit Monaten Mieter am Kottbusser Tor und Flüchtlinge
am Oranienplatz. Den Reigen eröffnete bereits vor über einem Jahr die
Occupy-Bewegung mit ihren Protestzelten am Hauptbahnhof. Was sagt das über
die Stadt?
## Druck schafft Dialog
Matthias Klaudin lehnt sich aus dem Fenster seines blauen
Protest-Containers am Kotti. Ein Jahr, erzählt der Mittzwanziger mit
Lockenkopf, hätten sich die Anwohner gegen die ständigen Mieterhöhungen
gewehrt – erfolglos. „Erst durch den Druck des Camps sind hier alle ins
Gespräch gekommen.“ Die Nachbarn, die Hausverwaltungen und der Senat, der
sich am 13. November nun gar an einer Mieten-Konferenz der Kotti-Leute
beteiligt.
Seit Mai, 22 Wochen, steht das Protestlager am Kotti. Inzwischen ist der
Bretterverschlag winterfest mit ausrangierten Altbau-Fenstern verglast, den
Container hat ein Unternehmen gesponsert. Nur unweit am Oranienplatz
campieren seit Anfang Oktober Asylbewerber, Mitstreiter der Protestler vom
Brandenburger Tor, in einem ganzen Zeltdorf, samt Sanitärcontainer und
blau-weißem Zirkuszelt. Anfang August hatten sie bereits ein Protestlager
am Kreuzberger Heinrichplatz aufgebaut.
Protestforscher Dieter Rucht erklärt den geballten Dauerwiderstand mit
dessen Symbolcharakter. „Die Wirkung einer Demo ist nach kurzer Zeit
verpufft, das Zelt aber bleibt.“ Entschlossenheit, Disziplin, das
Reklamieren des öffentlichen Raumes – dafür stehe das Camp. Die Botschaft:
Wir lassen uns mit unserem Anliegen nicht vertreiben.
Bisher war das Protestzelten ein außerstädtisches Phänomen: gegen
Atomkraftwerke, gegen Flughafen-Startbahnen. Zwar errichtete auch in Berlin
Autonome 1988 ein Zeltdorf direkt an der Mauer am Potsdamer Platz,
campierten Milchbauern 2009 vorm Bundestag. Für Rucht war es aber der
„Knalleffekt“ der Platzbesetzungen im Arabischen Frühling, öffentlich
„hochgradig positiv besetzt“, der die jetzigen Stadtcamps motiviert.
Nur: Hiesig sind die Besetzungen in ihrem Ungehorsam eher harmlos, stören
den Stadtalltag kaum. So sind die Camps in Kreuzberg vom Bezirk geduldet.
Die Anliegen träfen ein öffentliches Interesse und seien zu unterstützen,
erklärt Bürgermeister Franz Schulz (Grüne). Die CDU stellte dagegen bereits
im Oktober Anzeige wegen Untreue, da der öffentliche Platz nicht kostenfrei
vergeben werden dürfe.
Am Pariser Platz wird den Flüchtlingen die Sondernutzung bisher verwehrt,
um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Nur eine Mahnwache ohne Aufbauten ist
genehmigt, die aber unbefristet. Anders als in Kreuzberg durchbricht der
Dauerprotest hier das Bild, wird zum Störpunkt im Touri-Strom. Die
Flüchtlinge bekräftigen: Man wolle im Zentrum der Stadt bleiben, auch im
politischen. Und die Größe ihrer Forderungen spricht für ein längeres
Verweilen: einen Abschiebestopp, gegen Sammelunterkünfte, Arbeitsverbote
und Residenzpflicht.
Auch am Kotti sieht man noch kein Ende. Die Mietsituation sei ja
unverändert, sagt Matthias Klaudin. Also schlecht. „Wir machen weiter, bis
unsere Probleme gelöst sind.“ Dass es nun auch Konkurrenz durch andere
Camps gibt? Ist super, sagt Klaudin. "Je mehr, je besser."
6 Nov 2012
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Österreich
Residenzpflicht
Braunkohle
Asylsuchende
Flüchtlinge
Flüchtlinge
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