# taz.de -- Kommentar Sicherungsverwahrung: Die SPD spielt Rechtsaußen | |
> Die Sozialdemokraten setzen auf Populismus bei der Sicherungsverwahrung | |
> von Straftätern. Zum Glück finden sie derzeit damit wenig Beachtung. | |
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat sich vorerst | |
durchgesetzt. Am Donnerstagabend hat der Bundestag die Neuregelung der | |
Sicherungsverwahrung beschlossen – ohne die Möglichkeit, sie nachträglich | |
anzuordnen. Ausgerechnet die SPD spielte in der Debatte den Rechtsaußen. | |
Um einen Keil in die Koalition zu treiben, stellte sie einen Antrag mit | |
CDU-Rhetorik, dem die Union dennoch nicht zustimmen wollte. Die | |
Sozialdemokraten forderten eine Möglichkeit wenigstens zur „nachträglichen | |
Therapieunterbringung“. | |
Damit soll eine „Schutzlücke“ geschlossen werden, die angeblich seit Anfang | |
2011 besteht, als auf Betreiben von Leutheusser-Schnarrenberger die | |
nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung für Neufälle abgeschafft | |
wurde. Bei der Sicherungsverwahrung muss ein Täter auch nach Verbüßung der | |
Haftstrafe im Gefängnis bleiben, solange er noch als gefährlich gilt. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch im Mai 2011 deren gesetzlichen | |
Grundlagen für verfassungswidrig erklärt, weil sich die Verwahrung nicht | |
genug von der Strafhaft unterscheidet und den Betroffenen zu wenig | |
therapeutische Angebote gemacht werden. Zunächst muss nun der Bund den | |
Rahmen einer Neuregelung abstecken, dann müssen die Länder bis Mai 2013 die | |
Details umsetzen. | |
## Von fast allen Fraktionen mitgetragen | |
Der Bundestag hat nun eine Therapie-orientierte Sicherungsverwahrung | |
beschlossen, die von fast allen Fraktionen mitgetragen wurde. Nur die Linke | |
lehnt Sicherungsverwahrung generell ab. Strittig blieb nur ein Punkt: eben | |
die Wiedereinführung der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung. | |
Normalerweise wird die Sicherungsverwahrung schon im Strafurteil angeordnet | |
oder zumindest vorbehalten. | |
Wird die andauernde Gefährlichkeit aber erst in der Haft deutlich, ist eine | |
nachträgliche Anordnung erforderlich. Derzeit ist sie nur noch für Altfälle | |
möglich, also wenn die Tat vor dem 31. Dezember 2010 begangen wurde und | |
auch dann nur, wenn der Täter eine psychische Störung aufweist. Diese kann, | |
wenn gewünscht, aber leicht konstruiert werden. | |
Die SPD spricht, sich auf diese Regelung beziehend, daher jetzt von | |
nachträglicher „Therapie-Unterbringung“ statt von Sicherungsverwahrung. | |
Leutheusser-Schnarrenberger hält die nachträgliche Anordnung von Verwahrung | |
für überflüssig. Die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung habe in | |
der Praxis bisher keine große Rolle gespielt. | |
Eine Schutzlücke gebe es deshalb nicht. Tatsächlich entpuppt sich ein | |
Straftäter nur ganz selten erst in der Haft als nachhaltig gefährlich. Doch | |
eine nachträgliche Korrektur des Strafurteils ist aus rechtsstaatlichen | |
Gründen nicht möglich. Da waren die Gerichte bisher streng und würden es | |
wohl auch bei einer Neuregelung bleiben. Es würde also tatsächlich nur ganz | |
wenige Anwendungsfälle für den SPD-Vorschlag geben. | |
## Kriminalpolitische Symbolik | |
Hier wird von beiden Seiten vor allem kriminalpolitische Symbolik gepflegt. | |
Die SPD sieht im Stile der Bild-Zeitung die Sicherheit der Bevölkerung | |
bedroht. Und die Justizministerin unterschlägt, dass es für Altfälle die | |
nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung weiter geben soll, sich in | |
den nächsten Jahren also an diesem Punkt kaum etwas ändert. | |
Zum Glück ist die Sicherungsverwahrung derzeit kein Prime-Time-Thema mehr. | |
Die Neuregelung wurde gestern abend im Bundestag vor leeren Rängen | |
debattiert. Selbst der Dokumentationssender Phoenix hatte sich | |
abgeschaltet. Und diesmal durfte man das als gutes Zeichen sehen. Die | |
SPD-regierten Länder wollen dennoch im Bundesrat einen neuen Anlauf für | |
ihren Vorschlag unternehmen. | |
9 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
Christian Rath | |
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