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# taz.de -- Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen: „Wir reden, bis es ein…
> Streiks passen nicht zur „christlichen Dienstgemeinschaft“ sagen
> Kirchenvertreter – schlechte Bezahlung offenbar schon. Seit Jahren
> streiten deshalb Kirche und Ver.di.
Bild: „Was würde Luther sagen?“ Ver.di-Protest für das Streikrecht
BERLIN taz | Michael Passior, Mitarbeitervertreter in der Dachstiftung der
Diakonie Niedersachsen, muss gut verhandeln. Mit den kirchlichen
Dienstgebern saß er bisher regelmäßig in der sogenannten Arbeitsrechtlichen
Kommission am Tisch, um die Arbeitsbedingungen für sich und seine Kollegen
in den Altenpflegeheimen und Jugendhilfeeinrichtungen des Stephansstiftes
Hannover und der Diakonie Kästorf auszuhandeln. Denn direkte Gespräche mit
Gewerkschaften sieht der sogenannte Dritte Weg der Kirchen nicht vor.
Wird sich die Arbeitsrechtliche Kommission nicht einig, kann Passior wenig
tun: Das Kirchenrecht verbietet ihm, zum Streik zu rufen. Auch Betriebsräte
sind in den diakonischen Krankenhäusern, Altenpflegeheimen oder
Kindergärten nicht zugelassen.
Doch in Niedersachsen war 2011 Schluss mit den Verhandlungen. Nachdem
Ver.di die Mitarbeitervertreter schon zwei Jahre lang aufgefordert hatte,
die Arbeitsrechtlichen Kommissionen nicht mehr zu besetzen, verweigerten
die Beschäftigtenvertreter die Mitarbeit. „Wir wollen nicht mehr mittragen,
dass die Altenpfleger keine Gehaltssteigerung bekommen. Wir haben
Unterschriften dagegen gesammelt und in Mittagspausen debattiert“, sagt
Passior.
Konfrontationen sind kein Einzelfall, seitdem Ver.di vor drei Jahren eine
Kampagne gegen das kirchliche Arbeitsrecht begonnen und zu Protesten
aufgerufen hat. Anfang August schloss Ver.di einen Tarifvertrag für das
diakonische Albertinen-Krankenhaus in Hamburg ab. Auch mit den
Behinderteneinrichtungen der Diakonie Himmelsthür in Hildesheim gelang ein
Vertrag, ebenso mit dem Evangelischen Krankenhaus Oldenburg.
## Arbeitsstandards stark aufgeweicht
Die EKD-Synode, das evangelische Kirchenparlament, erlebte bereits 2011,
dass das Thema Arbeitsrecht Wucht entwickelt hat. Synoden-Präses Katrin
Göring-Eckardt (Grüne) wurde in Magdeburg von 1.500 Demonstranten
ausgebuht. Die Synode bestimmte, dass dauerhafte Leiharbeit nicht mit dem
Kirchenrecht vereinbar sei, bekräftigte aber das Streikverbot.
„Wir in der Kirche reden so lange miteinander, bis wir zu einer Lösung
kommen. Streiks und Aussperrung passen nicht zur christlichen
Dienstgemeinschaft“, sagt Hartmut Spiesecke, Sprecher des Verbands
diakonischer Dienstgeber. Das Thema kochte vor Jahren hoch, da sich die
Finanzierung der Sozialwirtschaft verändert hat. Jahrelang ging es in den
Arbeitsrechtlichen Kommissionen nur darum, den Tarifvertrag des
öffentlichen Dienstes (TVöD) auf kirchliche Einrichtungen zu übertragen.
Doch seit Mitte der 1990er Jahre erstatten die Sozialkassen die Kosten von
Alten- und Krankenpflege nicht mehr komplett, sondern zahlen
Fallpauschalen. Seither sparen die Träger bei den Personalkosten, der
flächendeckend übertragene TVöD ist passé. Eine Studie der
gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung stellte fest, dass es insbesondere
bei der Diakonie zu einer „starken Aufweichung bislang gültiger Arbeits-
und Entlohnungsstandards“ komme.
Laut Ver.di erhält eine Alten- und Krankenpflegerin zu Berufsbeginn in der
Kirche einen höheren Lohn. Doch ab dem 16. Berufsjahr geht sie mit rund 250
Euro Brutto weniger nach Hause, als nach dem TVöD. Noch schlechter stehen
Pflegehelfer da: Sie verdienen in der Kirche nach 15 Berufsjahren rund 550
Euro weniger im Monat als im öffentlichen Dienst.
„Der TVöD als Leitwährung ist ein schöner Gedanke“, sagt Hans-Peter Hopp…
Vorstand der Dachstiftung Diakonie Niedersachsen. Aber: „Die Kirche hat das
fortschrittlichere Modell, bei dem Arbeitgeber und -nehmer gleichberechtigt
miteinander verhandeln.“ Ver.di-Chef Frank Bsirske hingegen pocht darauf,
dass das Streikrecht ein Menschenrecht ist – und unteilbar für alle gelten
muss.
20 Nov 2012
## AUTOREN
Eva Völpel
## TAGS
Verdi
Streikrecht
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Prekariat
Eurokrise
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