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# taz.de -- Urteil zu Arbeitskampf in Kirchen: Ein bisschen streiken ist erlaubt
> Ein schaler Sieg für die Gewerkschaft Ver.di: Mitarbeiter von Kirchen
> dürfen auch in Zukunft nur ausnahmsweise streiken, urteilt das
> Bundesarbeitsgericht.
Bild: Beten und arbeiten ist nicht für alle ausreichend.
ERFURT taz | Das Streikverbot an kirchlichen Einrichtungen kann bestehen
bleiben. Das entschied gestern das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem
Grundsatzurteil. Die Aushandlung der Arbeitsbedingungen ohne Arbeitskampf
sei vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gedeckt. Die Kirche müsse diesen
"dritten Weg" nur etwas gewerkschaftsfreundlicher ausgestalten, erklärte
Ingrid Schmidt, die BAG-Präsidenten, bei der Urteilsverkündung.
Die Kirchen lehnen traditionell das übliche staatliche Arbeitsrecht ab. Mit
dem christlichen Verständnis einer "Dienstgemeinschaft" sei es nicht zu
vereinbaren, durch Streiks Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Stattdessen
gilt meist ein so genannter "Dritter Weg". Löhne und Arbeitsbedingungen
werden in Kommissionen festgelegt, die paritätisch von Arbeitgebern und
Beschäftigten besetzt werden. Kann man sich nicht einigen, wird ein
Schlichter bestimmt, dessen Spruch verbindlich ist.
2009 hatte die Gewerkschaft Ver.di in Bielefeld dennoch zu Warnstreiks in
Einrichtungen des Diakonischen Werks aufgerufen. Rechtlich war das zunächst
ein Erfolg. Das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass
Diakonie-Beschäftigte in "verkündungsfernen" Tätigkeiten, etwa in der Küche
oder der Verwaltung, durchaus streiken dürften. Hiergegen ging die Kirche
zum BAG in Revision.
Der zweite Fall betraf einen Warnstreik der Ärztegewerkschaft Marburger
Bund gegen Krankenhäuser der Diakonie in Hamburg, ebenfalls 2009. In
Norddeutschland ist die Diakonie zwar ausnahmsweise bereit, direkt mit
Gewerkschaften zu verhandeln und Tarfiverträge abzuschließen ("zweiter
Weg"), aber nur wenn zuvor ausdrücklich auf Streiks verzichtet wird. Diese
Vorbedingung lehnte der Marburger Bund ab und rief Ärzte zum Warnstreik.
Das Landesarbeitsgericht Hamburg hatte dagegen keine Einwände; wer
Tarifverträge abschließe, müsse auch Streiks zulassen. Auch hiergegen ging
die Diakonie in Revision.
## Doch es kam ganz anders
Die Gewerkschaften hofften, dass das BAG die streikfreundlichen Urteile von
Hamm und Hamburg bestätigt. Dann wäre der "Dritte Weg" ebenso wie der
"Zweite Weg" vorerst Geschichte gewesen. Doch es kam ganz anders. In der
Sache bekam die Kirche nun weitgehend Recht, die Gewerkschaften waren die
großen Verlierer des Tages.
Richterin Schmitz betonte, dass man hier zwei Verfassungswerte
gegeneinander abwägen müsse. Auf der einen Seite stehe die Freiheit der
Gewerkschaften, sich für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten
einzusetzen und dafür auch zu streiken, die so genannte Koalitionsfreiheit.
Auf der anderen Seite stehe das Selbstbestimmusgrecht der Kirchen, zu dem
auch die Entscheidung gehört, wie sie ihre "tätige Nächstenliebe"
organisieren will.
Das Bundesarbeitsgericht versuchte einen Ausgleich der konkurrierenden
Grundrechte von Gewerkschaft und Kirche vorzunehmen. Hierbei kamen die
Richter zum Schluss, dass das Grundgesetz nicht nur den konflikthaften
Arbeitskampf schütze, sondern auch die partnerschaftliche Aushandlung von
Arbeitsbedingungen, wie sie die Kirchen für nötig halten. Deshalb hielt das
BAG im Ergebnis das Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen weiter für
zulässig.
Allerdings müssten die Ergebnisse des dritten Wegs künftig verbindlich
sein. Bisher hatten kirchliche Einrichtungen die Wahl zwischen
verschiedenen auf diesem Weg ausgehandelten Vertragswerken. Außerdem
konnten sie sich bei finanziellen Schwierigkeiten auch recht leicht davon
lossagen. Solange die Kirchen soviele Freiheiten hätten, müssten
Gewerkschaften auch streiken können. Nur deshalb wurden die Klagen der
Kirchen gegen den konkreten verdi-Streikaufruf diesmal abgelehnt. Die
Kirchen werden das sicher bald anders organisieren, um den "dritten Weg" zu
retten.
Natürlich wollen die Gewerkschaften nun das Bundesverfassungsgericht
anrufen, um ihr Streikrecht doch noch durchzusetzen. Der ver.di-Anwalt
Henner Wolter hatte in der Verhandlung erklärt: "Verhandlungen ohne
Streikrecht sind wie kollektives Betteln". Es sei völlig unzumutbar, wenn
nur die Verhandlungsposition der Gewerkschaften im dritten Weg etwas
verbessert werde, ohne dass sie Druck durch Arbeitskämpfe machen können.
Allerdings muss ver.di nun auf einen neuen Fall warten. Denn formal hat die
Gewerkschaft den gestrigen Prozess ja gewonnen. (Az.: 1 AZR 179/11)
20 Nov 2012
## AUTOREN
Christian Rath
Christian Rath
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Streikrecht
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